Der die Träume hört. Selim Özdogan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selim Özdogan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542032
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hatte sie mir das nicht zugetraut? Was war falsch an mir?

      Ich trank Kaffee und surfte. SPON, buddhistgeeks, reality-sandwich, rap.de, als hätte ich mich nicht die letzten Stunden schon durchs Netz bewegt. Ich wusste, was als Nächstes zu tun war, doch ich schob es auf, vielleicht weil ich der Idee nicht ganz traute und auch keine andere hatte.

      Ich fuhr den Rechner runter, schloss das Büro ab und ging rüber.

      Lesane lag auf der Couch und spielte einen Egoshooter, den ich nicht kannte. Es war sein dritter Tag bei mir, er hatte eine Sporttasche mit Klamotten und Schuhen mitgebracht, vier verschiedene Paar Jordans, den Vierer, den Sechser und den Zwölfer, wenn ich das richtig sah, den Dreiunddreißiger hatte er schon beim ersten Treffen getragen, dazu noch vier Paar verschiedene LeBrons, alles in allem Basketballschuhe für gut anderthalbtausend Euro, Zahnbürste, Duschgel, Haargel, Shampoo, Nassrasierer, Aufladegerät, tragbare Lautsprecherbox, Konsolenspiele, Schulsachen. Meistens hing er an der Playstation oder an seinem Smartphone.

      Er wurde schnell einsilbig oder ganz still, wenn ich ihn nach der Schule fragte, nach seinem Streit mit Sami, nach seinen Freunden, danach, woher er all die Schuhe hatte. Billig auf eBay gekauft, sagte er, und natürlich war das eine Lüge.

      Ich hatte ihn nicht dazu bewegen können, mit joggen zu gehen oder auch nur ein paar Übungen gemeinsam in der Wohnung zu machen. Er schien es interessant zu finden, dass ich in meinem Alter noch Basketball spielte, war aber nicht dazu zu überreden, mit mir auf den Freiplatz zu gehen. Basketball fand er langweilig.

      – Und die Schuhe?, sagte ich. Du hast so viele Basketballschuhe, wir müssen doch auch mal spielen.

      – Die Schuhe sind einfach nur cool, sagte er. Ich spiel nicht Basketball. Und meine Fußballschuhe habe ich zu Hause.

      – Was für Fußballschuhe hast du denn?

      – Den Puma Future 18.1 und den Adidas Predator Accelerator in gelb-rot.

      Billig bei eBay gekauft?

      – Ja.

      Musik war das Einzige, über das wir reden konnten. Hip-Hop. Der Sampler 4 von 187 Strassenbande war vor wenigen Wochen erschienen und Lesane hörte ihn oft und gerne. Zeig keinem Interesse, »fick die Welt« ist meine Message, das Einzige, was zählt – lila Scheine scheffeln, Party und Exzesse, »fick die Welt« ist meine Message.

      Mehr musste man über die Texte nicht wissen. Die Jungs waren keine schlechten Rapper und wir hatten früher auch Gangsterrap gehört. Vielleicht hatten damals auch ältere Leute geglaubt, er sei eine Karikatur seiner selbst. Ich freute mich, als Lesane sich für das Album Blackout 2 von Chakuza und Bizzy Montana begeistern konnte. Das Album war auch prollig, sexistisch, vulgär und glorifizierte Gewalt, aber die Texte waren etwas klüger gemacht und es blieb noch Platz für ein Augenzwinkern.

      Hip-Hop war das Einzige, was uns ein wenig verband, er hörte gerne meine CDs, vor allem die neueren. Für die Bücher im Regal interessierte er sich nicht, mein Essen schmeckte ihm nicht, doch er beschwerte sich auch nicht. Einige Male hatte er draußen eine Runde gedreht und war nach ein, zwei Stunden wiedergekommen, bekifft, aber nicht mehr total offensichtlich bekifft.

      – Hallo, sagte er, als ich jetzt reinkam.

      – Hallo, sagte ich, ließ mir ein Glas Wasser aus der Leitung ein und setzte mich neben ihn.

      – Wie war der erste Schultag nach den Ferien?

      – Nichts Besonderes, sagte er. Neuer Stundenplan und ein bisschen Gelaber.

      Ich wusste nicht, ob er mich für dumm hielt oder ob er es nicht besser konnte.

      – Haste ein Rennen, das wir spielen könnten?

      Lesane lächelte und ich hatte den Eindruck, dass es aufrichtig war. Es war lange her, dass ich an einer Konsole gesessen hatte.

      Er kannte die Strecke viel besser als ich. Dennoch war der Abstand, mit dem er gewann, nicht allzu groß. Bei der Revanche sah ich schon besser aus. Und war auch voll dabei. Das dritte Rennen gewann ich.

      – Respekt, sagte er. Andere Strecke?

      – Warum hast du dich eigentlich mit Sami gestritten?, fragte ich.

      – Wegen der Fernbedienung, habe ich doch schon erzählt.

      – Ja, hast du. Aber ich würde gerne wissen, warum hast du diesen Streit vom Zaun gebrochen?

      – Wie, vom Zaun gebrochen?

      – Du hast es absichtlich gemacht.

      – Ja, keiner streitet sich aus Versehen.

      – Lesane, sagte ich, du wusstest, dass du dich streiten würdest, noch bevor du die Wohnung betreten hattest. Warum?

      – Wie soll ich das gewusst haben? Bin ich Hellseher?

      – Du bist seit drei Tagen hier und …

      – Ja? Soll ich wieder gehen? Ist es das, was du mir sagen willst? Dann sag einfach, ich gehe, kein Problem.

      – Du hast Freunde, sagte ich, du spielst gerne Fußball, du gehst gern feiern, du kletterst wahrscheinlich über den Zaun vom Freibad, du …

      – Geht mir gerade alles auf die Eier, unterbrach er.

      – Okay, neue Strecke, sagte ich und sah wieder nach vorne.

      Er gewann das erste Rennen knapp, das zweite ließ ich ihn noch mal gewinnen, aber eigentlich nur, weil ich keine Lust mehr hatte weiterzuspielen.

      – Kanntest du eigentlich Kamber?

      – Ja, sagte ich überrascht.

      – Alle erzählen immer noch von ihm und wie krass er war, sagte er.

      – Echt?

      – Ja. War der wirklich so krass?

      – Ja. Hat aber auch krass lang gesessen. Insgesamt mehr als fünf Jahre.

      – Kennst du so Storys, was der so gemacht hat?

      Ich überlegte kurz, dann sagte ich:

      – Kamber war ja nicht nur hart. Der hatte keinen Schiss, allein gegen acht Mann zu gehen, aber der war auch clever. Einmal kam so ein Schnösel zu ihm und wollte Haschisch kaufen. Eine Platte. Reicher Papa, und er wollte einen auf dicker Mann machen vor seinen Freunden. Hundert Gramm. Kamber hat ihm gesagt, dass er zwei nehmen soll, weil er ihm dann einen besseren Kurs machen kann. Zweihundert Gramm Hasch für 1.300 Mark. Typ hat gesagt, okay, Kamber hat die Kohle eingesteckt und gar nichts getan, hat das Geld einfach verjubelt. Dann ist er zwei Wochen später zu dem Kerl und hat gesagt: Du, der Fahrer ist erwischt worden, als er mit deinem Hasch aus Holland kam. Und die wollen jetzt wissen, mit welchem Geld er die Ware bezahlt hat. Wir brauchen unbedingt nen guten Anwalt, damit wir deinen Namen aus dem Spiel halten können, aber wir haben nicht die Kohle dafür. Der Typ hat Schiss bekommen und noch mal 1.000 Mark für einen Anwalt abgedrückt.

      – Cooler Move, sagte Lesane, was ein Opfer. Aber warum Hasch?

      – Keine Ahnung. Damals gab es weniger Gras auf dem Markt. Das Meiste, was gedealt wurde, war Hasch.

      Ich hatte mich für eine Geschichte ohne Gewalt entschieden, aber ich bereute es, überhaupt was erzählt zu haben. Eben weil die Geschichte cool war. Weil es so aussah, als sei da jemand clever. Weil sie Anziehungskraft hatte.

      Immerhin hatte ich verschwiegen, dass Kamber damals jünger gewesen war als Lesane jetzt. Aber vielleicht gab es nur über solche Geschichten einen Kontakt zu ihm, einen, der ihn bewegte. Ich hatte gesehen, wie alles Klagen, Mahnen, Drohen, Lieben, Betteln, Reden nicht geholfen hatte, ich hatte gesehen, wie Sevgi es nicht geschafft hatte, Kamber von diesem Weg abzubringen.

      Ich erinnerte mich daran, wie wir zu Tarkan aufgeblickt hatten, als wir noch nicht dazugehörten. Nach seinem Tod war auch sein Ruf verblasst. Über Kamber wurde offensichtlich noch geredet. Über mich nicht. Hoffentlich nicht.

      Da war dieser Wunsch, dass Lesane mich cool fand. Oder die Person, die