Der die Träume hört. Selim Özdogan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selim Özdogan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542032
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du, bei wem ihr das Mephedron bestellt habt?

      – Toni_meow.

      – Sicher?

      – Ja.

      – Warum bei ihm?

      – Weil es aus Deutschland kam. Und weil es billig war. Und gute Bewertungen hatte.

      – Und hast du das auch der Polizei erzählt?

      – Nein. Ich habe gesagt, dass Fynn das alles mit dem Darknet gemacht hat. Ich will keinen Ärger.

      – Du wirst keinen kriegen. Du bist dir absolut und hundert Prozent sicher? Toni_meow?

      Er nickte.

      Ich stand auf und gab ihm die Hand.

      – Du warst mir eine große Hilfe, Niklas. Eine sehr große. Vielen Dank.

      6

      Toni_meow aus Deutschland, ich hatte den Dealer. Er war seit März 2016 Verkäufer bei Dream Market, verkaufte Gras, Mephedron und MDMA in Pulverform. Verschickte aus Deutschland, sprach Deutsch, auch sein Englisch war ziemlich gut. Er hatte 2.972 Bewertungen, fast alle 5 Sterne, ein Durchschnitt von 4,9. Seine Kunden kamen anscheinend zu einem großen Teil aus Deutschland und der EU, doch er verschickte weltweit, mit Ausnahme der USA. Viele Händler hielten es so, um möglichst nicht ins Visier der Strafverfolgungsbehörden dort zu geraten. Die DEA verfügte über Geld und Ressourcen, man wusste nicht, wie eng sie mit der NSA zusammenarbeitete und wie viel besser sie den Internetverkehr überwachen konnte. Außerdem waren es Amerikaner gewesen, die damals Silk Road hochgenommen hatten.

      Ich stöberte im Forum von Dream Market, wo Käufer sich über Händler austauschen konnten, und nachdem ich einen Thread von über dreißig Seiten über Toni_meow gelesen hatte, wusste ich nicht nur, dass seine Kunden zufrieden waren mit seiner Ware, seiner Freundlichkeit, den schnellen Lieferungen, sondern auch, dass er eifrig im Thread mitdiskutierte und genau wusste, wie man sich beliebt machte. Einem Kunden, der gerade von einem anderen Verkäufer betrogen worden war, schickte er einfach so, zur Aufmunterung, eine kleine Probe seiner Waren. Anderen legte er bei Mephedronbestellungen schon mal kleine Mengen Gras bei, als Gratisprobe. Bei allen Bestellungen lag er immer mehr oder weniger deutlich über der bezahlten Grammzahl. Wenn unklar war, ob die Post etwas verbummelt oder der Zoll es abgefangen hatte, gab es häufig vollen Ersatz auf Kulanz, obwohl in seinem Profil stand, dass er höchstens fünfzig Prozent erstattete. Er war überzeugt von der Qualität seines Mephedrons, beanspruchte, das beste auf dem Markt zu haben, PreBan 1a Qualität, wie er immer wieder schrieb. Er wirkte ehrlich, weil er zugab, dass sein MDMA nicht das reinste und beste auf dem Markt sein mochte, betonte aber sein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis. Er machte den Eindruck, ein freundlicher, charmanter Mensch zu sein, doch er beschimpfte auch gerne andere Mephedronhändler, weil sie minderwertigen Stoff verkauften und nur auf Geld aus wären und keine Ehre hätten, alles Abzocker und Ripper, denen die Kunden scheißegal wären. Er postete gerne und viel, doch er schien genau zu wissen, was er da machte, denn obwohl er offen wirkte, fanden sich in seinen Beiträgen keinerlei Hinweise auf seine Person, egal wie genau ich las. Seine Posts ließen nicht mal Vermutungen zu, keine regionalen Wendungen, die ihn verraten hätten, keine Angaben zum Hintergrund. Je nach Situation schrieb er ich oder wir, und es machte den Eindruck, als würde er mit einem Team arbeiten, dessen Boss er war.

      In der Vergangenheit waren Leute gefasst worden, weil sie den selben Nutzernamen auf verschiedenen Plattformen benutzt hatten, auf legalen Datingportalen oder gar bei eBay. Ich googelte Toni_meow, doch ohne relevante Treffer. Das wäre auch zu einfach gewesen.

      Doch konnte er nicht einfach aus dem Nichts aufgetaucht sein. Ich ging zu fraudsters.is, einem deutschsprachigen sogenannten Szene-Forum. Hier wurde mit allem gehandelt, was nicht legal war. Man konnte Kreditkartendaten kaufen, gefälschte Ausweise, Packstationen, an die man sich Drogen liefern lassen konnte, eBay-Accounts, über die man Käufer betrügen konnte, Paypal-Accounts, die nicht zu einem zurückverfolgt werden konnten, Zugangsdaten zu Bankkonten mit anonymer SIM-Karte für die TAN, Mailaccounts, Drogen, Medikamente, Steroide, Gutscheine für Bahnfahrkarten, Bot-Netze, Hacking Tools.

      Man konnte einen gehackten Account bei einem großen Onlinehändler kaufen, dazu am besten noch eine Packstation, dann einfach bestellen und an die Packstation liefern lassen. Die Waren konnte man weiterverkaufen oder selber verwenden. Und wenn man so etwas in ganz großem Stil machte, ging man auch nicht selber zur Packstation, sondern schickte einen sogenannten Läufer.

      Für fast alle möglichen kriminellen Handlungen gab es hier ein Angebot. Was sich nicht fand, waren Waffen und Kinderpornografie. Hier ging es in erster Linie um Bereicherung und um Drogen aller Art, oft Kokain von angeblich hohem Reinheitsgrad, aber auch Speed, Gras und MDMA. Manchmal Crystal und LSD, doch exotischer wurde es nicht.

      Da war es, das Darknet. Aber nicht erreichbar über den Tor-Browser, sondern einfach, indem man wusste, welche Adresse man eingeben musste. Weder fraudsters.is noch crimenetwork.to noch chemical-revolution.to, was kein Forum war, sondern eine Seite, die Drogen verkaufte, wurden von Suchmaschinen gelistet. Die Szene war überschaubar und man bekam schnell mit, wann ein neues Board auftauchte oder eines offline ging, sei es, weil die Behörden den Betreiber geschnappt hatten, sei es, weil er über Nacht mit dem Geld der Nutzer spurlos verschwand oder aus anderen nicht ganz nachvollziehbaren Gründen.

      Ich gab Toni_meow bei fraudsters ins Suchfeld ein, erfolglos. Ich suchte nach Hinweisen, ob er dort auch verkaufte, vielleicht unter anderem Namen, die meisten Händler beschränkten sich nicht auf eine Plattform. Doch es gab niemanden, der einen ähnlichen Mitteilungsdrang und Schreibstil hatte. Und es hatte niemand Mephedron im Angebot.

      Es war nicht strafbar, diese Art von Seiten zu besuchen, aber es war klüger, wenn niemand wusste, wo man sich überall herumtrieb. Ich hatte einen VPN-Anbieter, der meine reale IP-Adresse auch auf Anfrage von Strafverfolgungsbehörden nicht rausgegeben hätte.

      Über den Tor-Browser rief ich Grams auf, eine Suchmaschine für den Teil des Darknets, der tatsächlich nur über das Tor-Netzwerk zu erreichen war. Ich gab Toni_meow ein. Alle Suchergebnisse verwiesen auf Dream Market, unter diesem Namen war er auf keiner anderen Plattform aktiv.

      Den Account bei fraudsters hatte ich schon seit einiger Zeit, aber ich war wegen zu weniger Posts noch sogenanntes Pre-Member, also schrieb ich ein wenig im Off-Topic-Bereich und verteilte ein paar Bedankungen, zum Beispiel an den Mann, der den Link zu einer Doku über Silk Road gepostet hatte. Sich als Mitglied einfinden, sichtbar werden, Vertrauen gewinnen. Dann stand ich auf, um mir einen Kaffee zu machen.

      Meine Chancen standen schlecht, viele Menschen arbeiteten Tag und Nacht daran, Plattformen wie Dream Market hochzunehmen. Ich suchte alleine nach einem Händler, der keine offensichtlichen Mängel bei seiner OpSec hatte. OpSec, Operational Security, die Fähigkeit, dem Feind keine Informationen zukommen zu lassen, die er gegen einen verwenden könnte.

      Ich dachte an die 17.000 Euro und fragte mich, was ich getan hatte. In der Regel bearbeitete ich ganz andere Fälle, und kaum eine Leistung kostete mehr als 500 Euro. Und jetzt gleich 17.000, 7.000 davon halbwegs sicher in der Tasche. Glaubst du, das war Habgier? Ich wollte nur meine Ruhe haben. Aber dafür brauchte man Geld. Und für Geld musste man arbeiten. Und irgendwie sollte die Arbeit ein Teil deiner Identität sein, du solltest einen Sinn in ihr sehen. Und wenn der Sinn nur das Geld war, mit dem man sich Freiheit kaufte. Du solltest frei sein. Frei, dir abends den Wecker zu stellen, frei, dein Leben nach deinem Kontostand einzurichten, frei, zwischen hundertachtzig verschiedenen Sorten Brot zu wählen und noch mehr Sorten Bier, frei, jeder Mode zu folgen und frei, dich frei zu fühlen, weil du Moden verweigerst. Frei, dich wohlzufühlen, weil du Fairtrade-Produkte kaufst und auf diese Weise dazu beiträgst, dass Ausbeutung gerechter erscheint. Frei, dir einen Platz zu wählen, an dem du dich halbwegs sicher und geborgen fühlst. Frei, dich zu entscheiden, dass dieser Platz, wie für die meisten von uns, vor einem Monitor war.

      Und ich hatte mich frei gefühlt, doch dann kam auf einmal ein Sohn und ich durfte mich fragen, ob mein Platz nicht an seiner Seite gewesen wäre und warum die Frau, mit der ich geschlafen hatte in einer Nacht voller Nähe, ihn mir verschwiegen