Der die Träume hört. Selim Özdogan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selim Özdogan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542032
Скачать книгу
mit Drogen verbunden war, sondern an den Drogen selber.

      Ich saß da und fragte mich mal wieder, warum ich das alles gemacht hatte. Warum war ich weggezogen? Ich hatte es vergessen. Ich vergaß es immer wieder. Dabei war es einfach. Jeder, der Leid erfuhr, gab es auch weiter, ob er wollte oder nicht. Und es schien mir wahrscheinlich, dass man in Westmarkt mehr Leid erfuhr, obwohl ich mir nicht mal da sicher war.

      Ich hatte raus gewollt, nicht weil ich reich werden wollte, nicht weil ich mir Glück erhoffte, Ruhm, Frauen, Bequemlichkeit. Wahrscheinlich hatte ich nicht mal wegen Rahel raus gewollt. Ich hatte raus gewollt, weil ich weg wollte von dem Leid. Und jetzt gab ich es mir jeden Sonntag.

      Man musste arbeiten, wenn man draußen sein wollte. Eine Arbeit, bei der man vielleicht jemanden suchte, der auch nur raus gewollt hatte, aber auf eine ganz andere Art.

      Ich bin kein Detektiv, dachte ich. Ich tue nur so. Und meistens kaufe ich es mir ab. Doch ich kann mich kaum motivieren. Geld, Geld war meine Motivation, Geld, um mir dafür ein wenig Ruhe zu kaufen.

      Ich stand auf, stellte den Stuhl für die Kunden auf den Schreibtisch, weil ich sonst nicht genug Platz hatte, nahm mein Springseil, stellte den Timer auf zwei Minuten Aktion und dreißig Sekunden Pause. Nach vier Runden hörte ich auf. Mein Herz pumpte, Schweiß sammelte sich in den Achseln, mein Atem ging schwer.

      Ich gab Mephedron synthesis in die Suchmaschine ein. Ich konnte mich nicht mal erinnern, ob wir in der Schule Chemie gehabt hatten oder nicht. Ich wurde nicht schlau aus dem, was ich da las.

      Es schien mir nicht vielversprechend, aber irgendetwas musste ich ja tun. Bei fraudsters postete ich unter Blackmarket/Suche/Services: Jemand hier, der Mephedron synthetisieren kann? Labor und Ausgangsstoff sind vorhanden, aber der Koch ist auf einem Hollandtrip spurlos verschwunden. Zahle gut, auch für eine Vermittlung, Cash oder BTC.

      Sonst wurden in dieser Rubrik häufig Filler gesucht, Menschen, die ein Bankkonto, das mit falschen Personalien erstellt worden war, mit Geld auffüllten und dafür in Bitcoins bezahlt wurden. Derjenige, der das Bankkonto zur Verfügung stellte, wusch so sein Geld. Ich rechnete mir nicht viele Chancen aus, auch wenn die Anzahl der Menschen, die in Deutschland tatsächlich Mephedron synthetisieren konnten und wollten, relativ klein sein durfte.

      Danach schrieb ich Toni auf Dream Market eine private Nachricht, machte ein Häkchen in dem Kästchen für die Verschlüsselung. So wurde die Nachricht mit Tonis öffentlichem PGP-Schlüssel chiffriert und war für niemanden lesbar, der nicht den privaten PGP-Schlüssel hatte. Asymmetrische Verschlüsselung, zum Chiffrieren einen Schlüssel, aber zum Dechiffrieren einen anderen, den man idealerweise an niemanden herausgab. Ich schrieb: Hi, bin an vier Kilo Mephedron interessiert, möglichst bald. Packstation leider gestern gebusted. Geht direct Deal? Übergabe RL, Geld bar.

      Und kopierte meinen öffentlichen Schlüssel unter den Text. Niemand in diesem Spiel, der nicht nicht dumm war oder nur kleine Mengen für den Eigenkonsum wollte, bestellte zu sich nach Hause. Sondern zum Beispiel zu Adressen, wo man wusste, dass die Bewohner tagsüber nicht da waren und die Briefkästen von außen zugänglich. Für Bestellungen, die nicht in einen Briefkasten passten, oder aus reiner Bequemlichkeit konnte man auch an eine Packstation liefern lassen, eine, die nicht auf den eigenen Namen lief. Wenn die Polizei mitbekam, dass die Packstation für illegale Zwecke verwendet wurde, wurde sie beschlagnahmt. Schlimmster Fall wäre, dass sie observiert wurde, um denjenigen zu schnappen, der sie öffnete. Was bei großen Mengen aber ein Läufer sein sollte, und nicht man selber.

      Es wäre dumm von Toni, einem persönlichen Treffen zuzustimmen, auch wenn ich es damit begründete, dass meine Packstation aufgeflogen war. Er schien mir nicht dumm zu sein, aber versuchen, versuchen konnte man es.

      Danach rief ich Ergün auf der Arbeit an.

      – Baltschi, meldete er sich.

      Kein Wunder, dass Armbruster seinen Namen falsch aussprach, wenn er es selber auch tat.

      – Hallo Ergün, Nizar hier. Wie geht’s?

      – Nizar, hamudi, lange nicht gehört, was geht bei dir, habibi?

      Ich stellte mir vor, wie er in einem Großraumbüro saß und wie ihn die Kollegen ansahen, wenn er so sprach. Ich wusste, wie die anderen Kinder ihn ansahen, wenn er seine Söhne mit dem Polizeiauto von der Schule abholte.

      – Hier ist alles gut.

      – Wie geht es Sevgi Teyze?

      – Sie klagt. Sie klagt über Arthrose, über Osteoporose, über Herzschmerzen, Nierenschmerzen, der Kardiologe sagt, sie hat eine Herzkranzgefäßverengung, sie ist aber fit wie eh und je, wenn du mich fragst.

      – Immer noch jeden Tag in Westmarkt unterwegs?

      – Ja, das hört wohl nicht mehr auf.

      – Du kriegst die Mutter aus dem Ghetto, aber nicht das Ghetto aus der Mutter. Richte ihr schöne Grüße aus.

      – Mach ich. Bei dir?

      – Alles fit im Schritt.

      – Frau und Kinder?

      – Alles roger.

      Ich dachte an den Jungen, der er gewesen war. Wir hatten alle zu den Älteren aufgeschaut und hatten so sein wollen wie sie. Wir hatten alle cool sein wollen, hart und furchteinflößend. Aber bei Ergün hatte es immer aufgesetzter gewirkt als bei den anderen. Über ihn hatten alle gelacht, er lief als eine Art Maskottchen mit, niemand nahm ihn für voll. Und dann hatte er sich später still und leise den uncoolsten Job gesucht, den, den wir am meisten verachteten: Polizist.

      Doch es schien ihm gutzugehen, ihm und seiner Familie. Ihm gebührte Respekt, er hatte eine eigene Entscheidung getroffen, eine, von der er genau wusste, dass die Leute, deren Anerkennung er gesucht hatte, sie missbilligen würden. Ihm gebührte Respekt, selbst wenn man ihm vorwerfen wollte, dass er nur Gendarm geworden war, weil er zum Räuber nicht getaugt hatte.

      – Wollen wir morgen essen gehen?, fragte ich.

      – Klar, sagte er, und nach einer kleinen Pause: Hast du nur deswegen angerufen?

      – Ich weiß, sagte ich, eine WhatsApp hätte es getan, aber ich bin halt alte Schule.

      Er lachte, als hätte ich einen Witz gemacht.

      – Bis morgen, habibi, sagte er.

      – Bis morgen, moruk, sagte ich. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal moruk zu jemand gesagt hatte, es hörte sich falsch an aus meinem Mund, aber ich glaubte, er würde sich freuen.

      Lesane saß auf der Couch und zockte, als ich die Tür aufmachte. Ich wusste nicht, ob ihm jemand das Gras vorbeibrachte oder ob er rausging und es besorgte. Ich hatte ihm einen Schlüssel gegeben, doch meistens hockte er drinnen.

      – Weiß eigentlich jemand von deinen Freunden, dass du hier bist?

      – Nur Fayaz.

      – War er hier?

      – Nein, wieso?

      – Fragt sich keiner, wo du bist?

      – Vielleicht. Geht mir am Arsch vorbei.

      – Ayleen hat mich angerufen, Sami würde eine Entschuldigung annehmen …

      – Warum soll ich mich entschuldigen?

      – Weil du ihm eine Kopfnuss gegeben hast.

      – Ja, aber der hat ja …

      Er verstummte, weil ich den Kopf schüttelte.

      – Vielleicht … kann ich noch ein paar Tage bleiben? Nicht viel. Zwei vielleicht. Ich entschuldige mich dann auch.

      Ich überlegte und dann nickte ich. Wir konnten über Hip-Hop reden, wir konnten zusammen an der Konsole sitzen. Ich hatte kein Wort zur Kifferei gesagt. Ich hatte versucht, ihn nicht in eine Ecke zu drängen. Aber mittlerweile war ich genervt.

      – Was hast du eigentlich gesucht?, fragte ich.

      – Was soll ich gesucht haben?