Der die Träume hört. Selim Özdogan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selim Özdogan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542032
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beschatten. Ich war mir trotzdem sicher, dass Lesane mich nicht bemerkte. Er fuhr mit der Straßenbahn ins nächste Viertel, in dem es Wettbüros gab. Er kam mit Wettscheinen in der Hand wieder raus. Ich fuhr zu meiner Verabredung mit Ergün.

      Er bestellte anderthalb Adana Iskender, ich eine Gemüsepfanne.

      – Was ist, habibi, unter die Vegetarier gegangen?, fragte Ergün und lachte.

      Ich lächelte einfach nur und ließ die Frage untergehen. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen und er war arg gealtert. Doch vielleicht dachte er das Gleiche von mir. Seine Geheimratsecken waren fast so groß wie seine Hände, da waren Falten um die Augen und tiefe Furchen von der Nase zu den Mundwinkeln. Er war früher dünn gewesen, dünner als die meisten, aber jetzt sah er aus wie eine Kugel, auf die man einen Kopf gesetzt hatte und zwei Beine druntergeklebt, Beine, die nicht so aussahen, als könnten sie das Ganze tragen.

      – Warum hast du Armbruster eigentlich zu mir geschickt?

      – Der sah nach Geld aus und ich dachte, vielleicht könntest du ein wenig davon gebrauchen.

      Ich sah ihn an. War da etwas Überhebliches in seiner Stimme? Etwas, das mir zeigen sollte, dass er es geschafft hatte und ich nicht? Der ehemals uncoole Junge gab sich nun gönnerhaft. Oder bildete ich mir das gerade ein?

      – Weißt du etwas, das mir weiterhelfen könnte?

      Er lächelte.

      – Es ist ziemlich aussichtslos, das ist dir klar, oder?

      Ich machte eine Kopfbewegung, die alles heißen konnte.

      – Ich habe ihn über die Einzelheiten nicht ausgefragt, sagte ich. Sein Sohn tot, genug Schmerz, ich dachte, ich frage dich.

      – Sie waren bei Armbrusters zu Hause, Vater übers Wochenende auf Motorradtour, Mutter mit einer Freundin im Harz. Als sie Sonntag Nachmittag nach Hause kommt, sind die beiden voll drauf, Riesenteller, Kiefermahlen, unwillkürliche Zuckungen, nicht mehr gesprächsfähig. Mutter ruft den Notarzt, als der kommt, ist Fynn bereits tot. Spurensicherung findet weißes Pulver, der Freund sagt, es ist Mephedron, Laboruntersuchung bestätigt reines Mephedron. In ein paar Wochen wird die Familie einen Brief bekommen, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Der Freund wird nicht belangt.

      – Kein Umschlag, in dem das Mephedron verschickt wurde? Keine Informationen über einen Anstieg von Mephedronkonsum in der Stadt? Kein Detail, das für mich noch interessant sein könnte?

      – Nizar, wie ich ihn kenne. Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. Der Dealer ist nicht zu fassen, nicht für einen allein. Ich hoffe, du hast Armbruster eine gute Pauschale berechnet.

      – Ich danke dir, sagte ich, aber ich war mir nicht mal sicher, ob ich es wirklich meinte.

      Er lächelte.

      – Wir haben den Umschlag, in dem das Mephedron angekommen sein soll. Abgeschickt aus Duisburg.

      – Das schränkt die Suche doch ein.

      – Klar, sagte er, vielleicht fünfhundert Briefkästen, knapp zwanzig Postfilialen, dreißig Packstationen, schätze ich mal einfach so grob. Kann man alles rund um die Uhr bewachen. Weißt du jetzt, wie man sich klont?

      Er lachte.

      – Ich habe noch eine Bitte, sagte ich. Kannst du mir ein Foto von einem Labor schicken, das ihr hochgenommen habt?

      – Wofür?

      – Für genau diesen Job.

      Er sah mich prüfend an.

      – Ich suche in einem Kriminellenforum jemanden, der mir Mephedron kocht. Ist keine gängige Droge, können sich nicht so viele mit auskennen, habe ich gedacht. Jemand hat angebissen, möchte aber ein Beweisfoto, dass ich tatsächlich ein Labor habe. Egal, was ich im Netz finden würde, er könnte es auch finden.

      – Er wird auf dem Foto vom Labor einen Zettel mit deinem Nick haben wollen, wenn er kein Dummkopf ist.

      – Proofpic, ja, vielleicht finde ich jemanden, der mir das photoshopt.

      – Ich schaue mal, ob ich das hinkriege, sagte er. Wie ist dein Nick im Forum?

      – Bushwick.

      Er lachte.

      – Du machst dir zu viel Arbeit, habibi, aussichtslose Arbeit. Er hatte ein wenig Joghurtsoße am Kinn und war mit seiner Portion fertig. In meiner dünnen Blechpfanne war noch ein Drittel übrig und ich schob sie weg. Alles schwamm in Fett und war versalzen.

      – Mir schmeckt’s auch nie, wenn kein Fleisch dabei ist, sagte Ergün.

      Auf dem Heimweg war ich versucht, ihm Recht zu geben. Ich machte mir zu viel Arbeit. Wofür genau? Meine Aussichten waren wahrscheinlich schlechter als Lesanes beim Wetten. Viel schlechter. Ich konnte auch einfach ein paar Wochen absitzen und mich mit dem Festhonorar zufrieden geben.

      Trotzdem erstellte ich mir im Büro einen neuen Account bei Dream Market, weil Toni bestimmt auffallen würde, wenn ich vom selben Account eine geringe Menge bestellte, nachdem ich vier Kilo angefragt hatte. Ich transferierte die nötigen Bitcoins auf mein neues Dream-Market-Konto und legte 3,5 Gramm Mephedron von Toni in den Warenkorb. Ich bemerkte, dass Lesane die Tür öffnete, klickte noch auf Bestellen und sah dann erst hoch. Er war im Türrahmen stehen geblieben und jetzt erst sah ich, wie blass er war. Und unsicher auf den Beinen. Da war Angst, nicht nur in seinen Augen, sondern in seinem ganzen Körper. Ich stand auf, legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn zum Stuhl. Ich gab ihm ein Glas Wasser. Ich fragte nicht, was passiert war, ich wartete. Er nahm einen Schluck, dann noch einen und sah mich dann an. Ich wusste nicht, ob er losheulen würde, schreien oder lügen. Vielleicht wusste er es selbst nicht.

      – Ich habe Scheiße gebaut.

      Wie oft hatte Sevgi diesen Satz von Kamber gehört. Ich sah Lesane an, so freundlich wie möglich.

      – Aber ich war nicht alleine schuld, echt nicht.

      – Was immer es ist, es lässt sich bestimmt regeln, wenn wir nur reden.

      Er senkte den Kopf.

      – Ich schulde Dilovan 20.000 Euro, sagte er.

      – Dilovan? Dem Dilovan?

      Er nickte.

      Ich ging auf die andere Seite des Schreibtischs und setzte mich auf meinen Stuhl. Was immer es war, er steckte mit dem ganzen Schädel drin.

      Nachdem er mir erzählt hatte, was passiert war, fragte ich mich, wo der sicherste Ort für ihn war. Mir fiel nur Rahel ein. Ich hatte sie seit bestimmt zehn Jahren nicht mehr angerufen.

      9

      Es war halb sechs, als ich aufwachte, es gab nichts, was zurück in den Schlaf führte, das wusste ich, aber es hinderte mich nicht daran, mich noch mal umzudrehen und es trotzdem zu versuchen. Ich hatte unruhig geschlafen, in der Erwartung, die Tür könnte jederzeit aufgebrochen werden.

      Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, nach Westmarkt zu fahren und Dilovan zu suchen, anstatt zu warten, bis er oder einer seiner Leute hier aufkreuzte, weil Fayaz ihnen verraten hatte, wo Lesane gerade wohnte.

      Ich fragte mich, ob ich Lesane abholen und ihn mit zu Sevgi nehmen sollte. Er kann kein Türkisch, sagte ich mir, es wäre nicht sinnvoll. Außerdem hatte ich ihn bisher mit keinem Wort erwähnt, ich wusste selber nicht genau warum. Vielleicht weil ich mich schämte, dass ich nie für ihn da gewesen war. Dass ich nicht gespürt hatte, dass er existiert. Nein, das war es nicht, es war, weil ich ahnte, an wen er Sevgi erinnern würde.

      Ich würde ihn bei Rahel lassen, bis ich mit Dilovan geredet hatte, aber was dann? Ins Wettbüro gehen? Sevgi um Geld bitten? Dilovan um Aufschub? Erst mal war mir wichtig gewesen, Lesane aus der Schusslinie zu haben.

      Ich fragte mich, wie Lesane jetzt schlief. Ob er sich sicher fühlte. Ob Rahel ihm ansehen konnte, dass er 20.000 Euro Schulden bei einem Kriminellen hatte, vor dem man Angst haben musste. Wie gerne