Der die Träume hört. Selim Özdogan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Selim Özdogan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960542032
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einer Hose geguckt, aber dann hatte ich doch keinen Bock mehr.

      Er geriet nicht in Verlegenheit, er musste nicht kurz überlegen, was er sagen sollte. Offensichtlich log er regelmäßig.

      – Mit mir wolltest du nicht joggen gehen.

      Er zog die Schultern hoch.

      – Hab nicht immer Bock.

      – Und Jogginghosen hast du auch.

      – Ich wollte ne kurze.

      – Machst du das zu Hause auch?

      – Was?

      – Lügen.

      – Wieso lügen? Wo lüge ich denn? Ich habe nach einer Jogginghose geschaut. Ich hätte es ja gesagt, aber dann habe ich es vergessen.

      – Du hättest anrufen können.

      – Mein Akku hat gerade rumgespackt.

      – Lügst du Ayleen auch so an?

      Er sprang auf.

      – Ich schwör, Mann. Vallah, ich lüg nicht.

      – Setz dich, sagte ich, aber er blieb stehen. Setz dich, wiederholte ich und war selber erstaunt über meinen Tonfall beim zweiten Mal. Als sei ich über zwanzig Jahre jünger und dabei, eine Schlägerei anzuzetteln.

      Er schien ein wenig erschrocken, setzte sich.

      – Vielleicht merke ich nicht jede Lüge, die du mir auftischst, sagte ich, aber …

      – Ich … fiel er mir ins Wort, doch ich sagte:

      – Du hältst jetzt den Mund und hörst zu. Ich weiß genau, dass du am ersten Schultag nicht in der Schule warst. Deine Schuhe standen noch genauso vor der Haustür wie morgens, die Schnürsenkel zusammengeknotet – das war ich. Ich weiß auch, dass du keine Jogginghose gesucht hast. Ich weiß, dass du hier am offenen Fenster kiffst und ich bin mir ziemlich sicher, dass du noch einen anderen Grund hattest, Sami eine Kopfnuss zu geben, als diese Fernbedienung. Ich weiß, dass du mir nicht vertraust, und das würde ich an deiner Stelle vielleicht auch nicht. Aber ich habe die Schnauze voll davon, dass du glaubst, ich bin so dumm, dass ich das alles nicht merke.

      Er war eingeschüchtert. Oder tat nur so, weil er wusste, dass man das von ihm erwartete. Ich wusste es nicht.

      – Was schlägst du vor? Soll ich einfach aufhören, dir Fragen zu stellen? Stell keine Fragen, hör keine Lügen. So einfach. Oder hast du einen anderen Vorschlag?

      Er sah zu Boden. Und wartete. Als sei das eine Art Regenschauer, der vorbeiziehen würde, und dann konnte man so weitermachen wie bisher. Bestimmt drei Minuten schwiegen wir, ohne dass er auch nur hochsah.

      – Hast du einen Vorschlag?, wiederholte ich.

      Er hob den Kopf und sah mir in die Augen.

      – Gib mir einfach noch drei Tage. Bitte.

      Wie hätte ich nein sagen sollen?

      8

      – Kann ich mit ins Büro?, fragte Lesane mich morgens. Es war Samstag, ich nickte.

      Während ich etwas ziellos nach Anhaltspunkten suchte, die mir weiterhelfen konnten herauszufinden, wer Toni war, tippte und scrollte Lesane auf seinem Handy herum.

      Bei fraudsters hatte ich zwei Antworten auf meine Frage nach einem Chemiker. Die erste von corebox war: Guter Witz, Uwe, aber wir wissen, wo dein Auto steht.

      Uwe war ein Szenewort für Polizei. Ich hatte geahnt, dass diese Reaktion kommen konnte. Um das zu verhindern, hätte ich erst wochenlang im Forum posten und mehr Vertrauen gewinnen müssen. Die zweite Antwort von HideAll lautete: Mephedron in Deutschland? Vergiss es. Der dritte Post von Flexking: Hast PN.

      Ich klickte auf Private Nachrichten, Flexking schrieb: Proofpic vom Labor, dann reden wir weiter.

      Ich wusste nicht, ob ich mich über diesen kleinen Erfolg freuen konnte.

      – Nizar?, sagte Lesane.

      – Ja.

      – Guck mal bitte.

      Er schob mir sein Handy über den Tisch. Es war ein Foto von zwei Wettscheinen, bei denen jeweils 50 Euro eingezahlt worden waren. Für den ersten wurden nun 3488,59 ausgezahlt, für den zweiten 2477,12. Es war auf das Ergebnis von Fußballspielen gewettet worden.

      – Haufen Asche, sagte ich und schob das Handy zurück. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass Sevgi etwas über einen Typen erzählt hatte, der Geld mit Wettscheinen machte.

      – Das ist Maverick, ein Undergroundrapper aus Neukölln, sagte Lesane. Der hat in den letzten Wochen über zehn Riesen mit Wetten gemacht.

      – Und jetzt möchtest du auch wetten?

      – Der hat einen YouTube-Kanal, da gibt er Tipps. Tipico hat wegen dem schon 340.000 Euro Verlust gemacht.

      – Dann wette.

      – Will ich ja. Kannst du mir 500 Euro leihen?

      – 500?

      – Du kriegst sie wieder.

      – Auf den Scheinen war weniger Einsatz.

      – Ich muss das Risiko verteilen, deswegen. Du kriegst 1.000 wieder. Versprochen.

      – Was willst du mit so viel Geld?

      – Wetten, sagte er.

      – Nein, was willst du mit dem Geld, das du dann gewonnen hast?

      – Ne Rolex kaufen. Rolex Daytona. Wenn ich mit der zum Vorstellungsgespräch gehe, nimmt mich jeder.

      – Rolex?

      – Daytona.

      Ich sah ihn an. Wenn man an seinem Kind etwas sieht, das einem gefällt, ist man wahrscheinlich stolz. Als könnte man was dafür. Vielleicht kann man ja wirklich was dafür. Wenn man etwas sieht, das einem nicht gefällt, schiebt man es vielleicht auf jemand anderen. Ist dieser Junge wirklich so dumm, fragte ich mich.

      – Erstens, sagte ich, hast du nicht mal eine Bewerbung geschrieben, soweit ich weiß, geschweige denn ein Vorstellungsgespräch für irgendetwas. Zweitens hast du in der Schule außerdem jede Menge Fehlzeiten, wenn ich das richtig sehe, ich weiß nicht, ob du überhaupt einen Abschluss kriegst. Drittens würdest du gerade mit der Rolex den Ausbildungsplatz nicht kriegen, weil der Mensch auf der anderen Seite sofort wüsste, dass du krumme Dinger drehst.

      – Wetten ist kein krummes Ding.

      – Er würde dich trotzdem nicht nehmen.

      – Bitte, sagte er. Bitte, leih mir das Geld.

      – Wofür?

      – Boah, warum muss ich denn immer alles erklären? Mann, ich will wetten, weil man damit Kohle machen kann.

      – Kannst gerne wetten, aber nicht mit meinem Geld.

      – Ich gebe es dir wieder. Echt. Wort drauf.

      Ich dachte nach. Ich hatte gesehen, was alles bei Kamber nicht geholfen hatte. Wenn ich ihm das Geld nicht gab, würde er wahrscheinlich andere Wege suchen, um es aufzutreiben. Wenn ich es ihm gab, würde es auch nicht helfen, sondern wahrscheinlich auf irgendeine Art schaden. Aber vielleicht würde ich ihn dann besser verstehen, weil ich ihn näher bei mir hatte.

      Er versuchte sich das Grinsen zu verkneifen, als ich meine Geldbörse hervorzog und ihm zwei Scheine gab.

      – Das sind nur 100, sagte er. Es klang nicht enttäuscht, sondern vorwurfsvoll.

      Kurz war ich versucht, ihm das Geld wieder aus der Hand zu ziehen.

      – Geh, bevor ich es mir anders überlege, sagte ich, doch noch während er die Tür zuzog, fragte ich mich, was mit mir nicht stimmte, dass ich mich mit einem Siebzehnjährigen anlegen wollte. Was sollte das bringen?