Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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Denkweise zu dämpfen. In den englischen Jahren warf er sich ihr aber mit Entschiedenheit in die Arme. Bedeutete sie doch eine reife Betätigung und Erfüllung der ringenden Bestrebungen, deren jähes gewaltsames Aufflackern der heranwachsende Knabe im Jahre 1848 staunend, wenn auch wohl nicht verstehend, miterlebt, für die der junge polytechnische Student dann im engen Kreise mitgekämpft hatte. Das waren Erinnerungen, die in der englischen Luft wieder aufgewacht waren und ihm manche Einrichtungen der englischen Bürgerfreiheit als glücklich und nachahmenswert erscheinen ließen. Auch die Freihändlerlehre mochte sich dem jungen Deutschen damals so tief ins Gemüt gesenkt haben, daß er Zeit seines Lebens nie so recht von ihr loskam, auch hier allerdings später die Theorie den Zweckmäßigkeitsgründen seiner besonderen Interessensphäre anpassend.

      Nun machte Emil Rathenau zum ersten Mal den Versuch, seßhaft zu werden und sich eine Position zu schaffen, wie sie den Augen der Familie wohlgefiel. Ein wohlsituierter Bürger und tüchtiger Fabrikbesitzer, das war das Ziel, das den Eltern vorschwebte und das sich immerhin um eine wesentliche Spielart von den Lebens- und Wirtschaftsbedingungen unterschied, die sonst in den damaligen jüdischen Kreisen Berlins und Deutschlands üblich waren. In der Industrie hatten die jüdischen Kaufleute damals erst in geringem Umfange Fuß gefaßt. Handel und Finanz waren noch ausgesprochener als heute die Hauptgebiete ihrer Betätigung, und die kombinierten, großkapitalistischen und großgewerblichen Methoden, durch die sie späterhin den Übergang auch in die Industrie fanden, erschienen damals noch wenig ausgebildet. Allerdings fehlte es nicht an Ausnahmen. Der Stern des industriellen Gründers Strousberg, der allerdings durch eine Welt von dem soliden deutschen Industrietypus geschieden war, stand damals noch im Zenith. In Berlin waren es gerade Rathenaus Verwandte, die Liebermanns und Reichenheims, die als Industrielle sich bereits einen soliden Reichtum und ein großes bürgerliches Ansehen geschaffen hatten. Mitglieder der Familie Liebermann besaßen neben der schon erwähnten Wilhelmshütte in Sprottau eine bedeutende Tuchweberei, die Familie Reichenheim gleichfalls eine blühende Textilfabrik im schlesischen Wüste-Giersdorf. Auch die noch jetzt als Aktiengesellschaft bestehende Textil-Firma Anton und Alfred Lehmann befand sich im Besitz von Verwandten Rathenaus. Gerade diese Beispiele aus der Familie, die sich allerdings nach dem Tode des Großvaters Liebermann nicht mehr allzuviel um Emil Rathenau und sein Elternhaus kümmerte, werden dazu beigetragen haben, den jungen Rathenau der industriellen Laufbahn zuzuführen. Nach der Rückkehr aus England begab er sich auf die Suche nach einem geeigneten, bereits bestehenden und eingeführten Unternehmen. Durch Familienbeziehungen gelangte Rathenau an eine Fabrik, die damals verkäuflich war und auch den Eltern eine geeignete Grundlage für eine Selbständigkeit zu bieten schien. Es war die kleine Maschinenfabrik von M. Webers, die in der Chausseestraße, dem damaligen Berliner Maschinenfabrikenviertel, unweit der alten Berliner Anstalten von Schwartzkopf, Borsig, Wöhlert und Engells gelegen war. Die Fabrik beschäftigte nicht mehr als 40–50 Arbeiter und betrieb neben dem Bau von Dampfmaschinen die Herstellung von Einrichtungen für Gas- und Wasserwerke. Auch Zentrifugalpumpen, Lokomobilen und was sonst zu dem Betrieb einer damaligen Maschinenfabrik gehörte, wurde gelegentlich hergestellt. Daneben führte das Unternehmen, gewissermaßen als Monopol, sämtliche Apparaturen aus, die die Königlichen Theater brauchten. Emil Rathenau prüfte die Grundlage des Betriebes, von denen die technische trotz ziemlich primitiver Methoden einen besseren Eindruck machte als die kaufmännische, und war grundsätzlich zu einem Erwerb bereit. Die Verfassung, in der sich das Unternehmen damals befand, wurde von ihm wie folgt geschildert:

      „Aus einem früheren Vergnügungslokal, Bella Vista, war ein hübsches Wohnhaus mit Vorgarten stehen geblieben, das sich durch schmuckes Äußeres hervortat; hinter diesem lag die Fabrik in dem früheren Tanzsaal, der sich als Seitenflügel dem einstöckigen Wohnhause anschloß; Dampfkessel, wie sie unter bewohnten Räumen zu jener Zeit zulässig waren, und eine ihrer Größe entsprechende Dampfmaschine trieben vermittels Wellentransmission die einfachen Werkzeugmaschinen, wie sie Chemnitzer und Berliner Fabriken herstellten. Die Fabrik hatte einen guten Ruf. Der spätere Rektor der technischen Hochschule in Darmstadt hatte als technischer Leiter die Bügel- und Balanziermaschinen etwas modernisiert und mit einer Expansionsvorrichtung versehen, die sich recht bewährt hat. Ein Glockenventil, das auf und mit dem Schieber sich bewegte, wurde von dem unrunden Konus auf der Spindel des Zentrifugalregulators geöffnet und geschlossen.“ — Der junge Ingenieur konnte und wollte das Wagnis, das auch über die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Kräfte hinausging, nun allerdings nur in Gemeinschaft mit einem tüchtigen und gleichgesinnten Kaufmann übernehmen. Für die Fabrik mit Grundstücksgebäuden und Inventar — dazu gehörte ein großer Garten mit schönen alten Bäumen — wurden 75000 Taler gefordert und von dem Käufer eine Anzahlung von einem Drittel dieses Betrages verlangt, über das Emil Rathenau nur zum Teil verfügte. An Geldmännern, die sich an dem Geschäft beteiligen wollten, fehlte es nicht. Doch konnte sich Rathenau nicht zur Wahl eines stillen Teilhabers entschließen. Ein Sozius fand sich aber bald in der Person des um zwei Jahre jüngeren Julius Valentin, den Rathenau als Nachbarkind vom Monbijouplatz und als jüngeren Schulgenossen vom Grauen Kloster her kannte. Die beiden jungen Männer trafen sich ganz zufällig. Auf der Straße begegnete Rathenau einige Zeit nach seiner Rückkehr aus England dem jungen Valentin, der ihm den Eindruck eines intelligenten, offenen Menschen machte. Den ersten gegenseitigen Fragen nach dem „Woher“, nach den Lebensschicksalen beider seit der gemeinsamen Schulzeit, folgte bald die Frage nach dem „Wohin“, den Plänen für die Zukunft.

      Rathenau erzählte schließlich, daß er etwas Eigenes unternehmen wolle, auch schon eine bestimmte Sache in Aussicht habe, daß ihm aber noch der Kaufmann fehle. Auf die Frage, ob er dieser Kaufmann sein wolle, und ob er sich mit einem bestimmten Kapital beteiligen könne, bat sich Valentin Bedenkzeit aus, gestand auch ganz offen, daß er nicht nur über die zu erwerbende Maschinenfabrik, sondern auch über Rathenau selbst vorher Erkundigungen einziehen müsse. Einige Tage nachher bat sich Valentin von Rathenau eine schriftliche Erklärung aus, daß er ihn zum Sozius bei der Fabrik nehmen wolle. Den jungen Ingenieur verstimmte diese Vorsicht ganz und gar nicht, sie gefiel ihm sogar, und man vereinbarte weitere Besprechungen. Diese fanden statt, und man wurde miteinander einig. Rathenau und Valentin erwarben gemeinsam die Maschinenfabrik, und der Jugendbekanntschaft folgte eine enge, fast zehnjährige Geschäftsgenossenschaft und bald eine herzliche Freundschaft, die auch die geschäftliche Trennung überdauerte, in manchen späteren gemeinsam geplanten, wenn auch nicht ausgeführten Projekten ihren Ausdruck fand, und das ganze Privatleben der beiden trefflich zueinander passenden Männer durchzog. Wenn man den glaubhaften Schilderungen des in seinem Verhältnis zu Rathenau selten bescheidenen Valentin folgt, so ist Emil Rathenau schon in der damaligen gemeinsamen Tätigkeit der führende, aktive und bestimmende Teil gewesen, während Valentin sich anpaßte und bemüht war, die Gedanken und Anregungen Rathenaus, so gut ihm das möglich war, auszuführen. Daß auch Valentin kein gewöhnlicher Mensch gewesen ist, zeigen die immerhin respektablen Erfolge in seiner späteren eigenen Tätigkeit. In der Leitung der Maschinenfabrik Webers jedenfalls vereinigten und ergänzten sich die beiden Charaktere auf das beste, und es ist vielleicht nie wieder ein äußerlich Gleichgeordneter mit Rathenau, der im Verkehr mit Menschen als eigenwillig, rücksichtslos, ja manchmal sogar als hart galt, so gut und glatt ausgekommen wie Valentin. Dieser rühmt besonders die feine, taktvolle Art, mit der sein damaliger Sozius bei gemeinsamen Verhandlungen und Beratungen jedes Pochen auf seine Überlegenheit, jede besserwisserische Art vermied. „Ja sogar, wenn man Aufklärung, Belehrung bei ihm suchte, hatte man am Ende den Eindruck, als ob Rathenau, der klar und mit ausgeprägtem Sinn für das Wesentliche auseinanderzusetzen und zu antworten verstand, als der Gewinnende, Belehrte und Dankbare aus der Unterhaltung schied.“ — Ungefähr zu derselben Zeit, als die Maschinenfabrik M. Webers in den Besitz der beiden Freunde überging, heiratete Rathenau Mathilde Nachmann, die Tochter eines angesehenen und wohlhabenden Bankiers, und die Mitgift, die er erhielt, bildete zum Teil die finanzielle Einlage, die er in die Sozietät mit einbrachte. Mathilde war Emil Rathenau sein ganzes Leben hindurch eine treue und kluge Lebensgefährtin, die in den jungen Jahren der ersten kaufmännischen Tätigkeit an den Plänen und Arbeiten ihres Mannes ihren beratenden Anteil nahm und ihm später in den Jahren des beschäftigungslosen, manchmal unbefriedigten Suchens stützend und anspornend zur Seite stand. Als dann das Lebenswerk Rathenaus auf fester Grundlage errichtet war, die Tätigkeit wuchs, sich verzweigte und die Tages-, manchmal auch die Nachtstunden des Mannes in immer zunehmenden Umfange fortnahm,