Salzgras & Lavendel. Gabriele Behrend. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Behrend
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658838
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der sich in blanker Wut gegen die gläserne Eingangstür warf. Kaynee konnte es sich selbst jetzt, drei Jahre später nicht erklären, warum ihre Meute so gehandelt hatte, aber letztlich hatte Katy, die jüngste unter ihnen, den Hünen an der Hand genommen und war mit ihm losgegangen. Sie umkreisten einmal den gesamten Komplex und Max, der Bär, redete, schwieg. Redete wieder. Katy hörte zu oder machte Witze. Max entspannte sich zusehends in ihrer Gegenwart. Sie funktionierten gut miteinander, und als sie wieder am Haupteingang eintrafen, wartete Professorin Paulson bereits auf das ungleiche Paar. Sie nickte Kaynee kurz zu, deutete an, dass sie doch bitte im Entree warten solle und verschwand an Max’ Seite in den Tiefen von Zenith.

      Kaynee lächelt, als sie sich an Max erinnert. Das erste Patenkind in einem neuen Zentrum vergisst man nie, heißt es, und da ist was Wahres dran.

      Da geht ein Zucken durch Kaynees Geist, es ist, als ob sich da jemand anderes in den Vordergrund schieben will.

      »Er war ein toller Kerl«, raunt es in ihrem Kopf. »So stark und so willig.« Ein dunkles Lachen folgt.

      »Oh nein«, murmelt Kaynee. »Halt dich zurück. Mach mir nicht den Morgen kaputt.«

      Ein missbilligendes Schnalzen klingt in ihr wider.

      Kaynee beschließt, es zu ignorieren. Schon seit einiger Zeit muss sie immer wieder zu diesem Trick greifen. Es ist, als ob Nachbilder ihrer verschiedenen Anteile durch ihren Geist ziehen oder, was schlimmer wäre, ein Eigenleben entwickeln.

      Sie streckt sich ausgiebig. Ein paar Tage Freizeit würden ihr und der Meute sicherlich guttun, einfach mal unbeschwert vor sich hinleben und sich dabei nur um sich selbst kümmern. Das wär’s!

      Kaynee schüttelt ihre Haare zurück. Die Sonne steht inzwischen kurz vor dem Zenit und ein lauer Wind lässt die Markise leise knattern. Es ist ein heißer Tag, ein trockener Tag, so wie der Tag zuvor und so wie wohl auch der nächste Tag sich zu werden anschickt. Tage, die das Leben ausdorren.

      Kaynee wirft sich wieder ins Kissen zurück, dreht sich auf den Bauch und greift sich hinter das Ohr. »Kora«, denkt sie kurz, dann switcht ihr Bewusstsein bereits in das der allgegenwärtigen Organisatorin.

      Die besieht sich die Werte, die durch die ständige Übermittlung an die Basisstation auf dem Nachttisch weitergeleitet werden. Nach der Beendigung der Analyse kommt Kora zu einem Schluss: Alles in allem ist ihre Entität eine gesunde junge Frau, die nur an einem, allerdings verzeihlichen Übel leidet. Faulheit. In milder Form, aber präsent genug, um einen Motivationsschub zu vertragen. Kurzum, Kora holt Luft, um Kaynee so richtig den Marsch zu blasen, doch da schaltet sich Karen ein und verordnet eine Runde Yoga für den allgemeinen Frieden.

      Während Kaynee nun doch die Beine aus dem Bett schwingt und sich sogar auf den Morgengruß freut, hört sie mit einem Mal ein wildes Gezischel.

      »Warum macht sie das denn jetzt?«

      »Sie will’s doch gar nicht. Sie will viel lieber an ihrem freien Tag rumgammeln und wieso auch nicht?«

      »Ist doch eh viel zu heiß für Sport!«

      Kaynee fährt erschrocken herum. »Was?«, ruft sie in den leeren Raum hinein.

      Alles ist still. Nach einem Moment des Zögerns, der angestrengten Wachsamkeit, entspannt sie sich wieder und geht zu ihrem Kleiderschrank hinüber. Sie will sich gerade die weit geschnittene Yogahose und das passende Top aus dem oberen Fach nehmen, da wird ihr schwarz vor Augen. Sie schwankt leicht, greift sich mit der einen Hand an die Stirn, mit der anderen stützt sie sich am Schrank ab, die Hose fällt dabei zu Boden. Sie schließt die Augen und zählt bis drei.

      Als sie die Augen wieder öffnet, findet sie sich auf dem Balkon wieder, der zu ihrem kleinen Apartment gehört. Sie trägt ein durchsichtiges Babydoll, keinen Slip und liegt wie hingegossen auf dem Liegestuhl. Halb im Schatten, sommerlich träge, wie eine Katze, die sich in der Sonne rekelt.

      »Scheiße«, entfährt es ihr leise. Wie viel Zeit ist ihr verloren gegangen? Und wer hat Kandy überhaupt auf den Plan gerufen?

      »Kora!«, denkt Kaynee, »Kora, bitte übernimm. Schaff Ordnung!«

      »Nein, Süße!« Eine dunkle Frauenstimme erklingt in Kaynees Kopf. »So schnell lasse ich mich nicht wieder einsperren.« Und anstatt wieder ins Zimmer zurückzukehren, rekelt sich Kandy, die nun vollends die Kontrolle über die Entität an sich genommen hat, tiefer in das Polster des Liegestuhls.

      Als Douglas sich abends wieder in die Menge der Heimkehrer einpasst und sich die Treppen zum Gleis hinunterschieben lässt, wischt er sich über das Gesicht, als ob ihn dies wieder zur Besinnung bringen könnte. Tut es nicht. Hat es den ganzen Tag über nicht getan. Die Menschen um ihn herum sind heiterer als während des Restes der Woche. Das freie Wochenende verleitet zu gepflegtem Übermut und angepasster Vorfreude im Rahmen der sozial verträglichen Normen.

      Douglas sieht sich um. Was den anderen so viel Spaß verspricht, macht ihn unsicher. Als er sich einen Sitzplatz gesucht hat, fängt er an, einen Achtundvierzigstundenplan zu entwerfen. Den Abend wird er so herumbekommen wie an jedem anderen Wochentag auch, da macht er keinen besonderen Unterschied. Er wird sich also vor seine Videowall setzen, ein Bier aufmachen und bis zur Besinnungslosigkeit Reiseberichte auf dem Traveller Guide oder Dokumentationen auf dem Science Channel sehen. Oder natürlich zocken. Alles andere ist ihm zu lästig, zu laut, zu aufdringlich. Am Samstag wird er früh aufstehen. Und dann? Douglas überlegt.

      Letzte Woche ist er im städtischen Freibad seines Quadranten abgetaucht. Diese Woche könnte er eine Radtour zum Grüngürtel machen. Wobei der Teil des Grüngürtels, den er von seiner Wohnung aus am schnellsten erreichen kann, seinem Namen zurzeit wenig Ehre macht. Da wellt sich nichts Grünes bis zum Horizont, da ist alles graubraun verdorrt. Der Boden ist nach intensiver Bewirtschaftung ausgelaugt und wird neu aufbereitet. Die saftigen Weidegründe wandern währenddessen gegen den Uhrzeigersinn um City, Getto und Suburbia herum.

      Im Augenblick befinden sie sich im zweiten Quadranten, im tiefen Südwesten. Er lebt im Nordwesten. Wenn er also wirklich Grün sehen will, dann hat er einen langen Weg vor sich. Oder er macht es sich einfach, schnappt sein Fahrrad, steigt wieder in die U-Bahn Richtung Süden und kürzt die Strecke auf diese Weise ab. Aber wer nimmt sein Rad schon mit in die Bahn? Das fällt doch nur unnötig auf.

      Douglas beschließt, hart zu sich zu sein. Das ist leichter, als sich den leeren Stationen und seinem leeren Leben zu stellen. Also nimmt er sich vor, während er auf seinem genormten Hartplastiksitz über die Schwellen und Weichen der U-Bahn hinwegrattert, am Samstagmorgen in den Westen zu fahren und von dort aus am Rand von Suburbia südwärts zu radeln, solange bis ihm die Puste ausgeht. Irgendwann wird er danach wieder zu Hause ankommen, halb tot zwischen die Laken kriechen und traumlos bis in den Sonntagvormittag hineinschlafen. Nach einer langen Dusche wird er sich an den Rechner setzen und die Arbeit der letzten Woche überprüfen, während die Wäsche in der Trommel rotiert. Vielleicht wird er hinterher noch einen Spaziergang durch sein Viertel machen. Vielleicht aber auch nur putzen.

      Douglas kraust die Stirn. Es sind ihm eindeutig zu viele »Vielleicht« in seinem Plan, aber der Tag war lang, er mag sich nicht mehr konzentrieren, er sehnt sich auf die Couch.

      Als er eineinhalb Stunden später dort liegt, ist er für einen langen Augenblick glücklich. Vier Flaschen Stout tragen dazu bei. Auf dem Bildschirm laufen Musikvideos ohne Ton. Douglas nickt dazu in dem Rhythmus, den ihm sein Pulsschlag vorgibt. Jetzt muss er es nur noch in sein Bett schaffen und einschlafen, bevor das allgegenwärtige Grübeln einsetzt.

      Bedächtig schwingt er die Beine über die Sofakante und setzt die bloßen Füße nebeneinander auf den kühlen Fließestrich. Nach drei Atemzügen erhebt er sich mit einem Ruck. Ein kurzer Schwindel erfasst ihn. Dann schleppt er sich ohne Umweg über das Badezimmer zu seinem Bett und fällt mit dem Gesicht voran in die Kissen. Schon glaubt er, gewonnen zu haben, da blitzt ein Bild vor seinem inneren Auge auf.

      Mommy!

      Douglas ist wieder Kind, ist wieder zweieinhalb Jahre alt. Er ist in den Kleiderschrank gekrabbelt, den Mommy aufgelassen