Salzgras & Lavendel. Gabriele Behrend. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Behrend
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658838
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stutzt Kandy, mustert ihn und fängt an zu lachen. Sie taumelt ein, zwei Schritte zurück, zeigt mit dem Finger auf ihn und lacht, als sei er der Witz des Tages.

      Stan hat nur zwei Möglichkeiten – entweder zieht er zurück, bevor noch irgendjemand von diesem Korb Wind bekommt, oder er setzt sich über Kandys Meinung hinweg und holt sich, was er will.

      Da nimmt Kaynee ihm die Entscheidung ab. Karl hat Karen auf den Plan gerufen, nachdem er Stans Züge studiert hat. »Wag es nicht«, blafft er dem Techniker ins Gesicht. Das reicht schon, um ihn zurückweichen zu lassen.

      Danach bringt Karen ihre Entität ins Bett.

      Stan steht auf dem Flur und sieht Kaynee nach. Sie ist aus den Heels geschlüpft, tappt auf bloßen Sohlen den Gang entlang und schlenkert die Sandaletten mit der linken Hand herum. Seine Chance ist vorbei. Die Traumfrau hat anscheinend keinen Ausgang mehr. Stan wird per Schalter mit einem bedauernden Seufzen ins Repertoire zurückgeschoben und Sudresh erscheint auf der Bildfläche.

      Nach einer kleinen Ewigkeit beginnt Douglas, zu frösteln. Er gräbt seine Zehen in den weichen Boden, lässt die Arme sinken und öffnet wieder die Augen. Es ist ihm, als würde er diesen Ort zum ersten Mal sehen. Er scannt Halm um Halm, dreht sich dabei um die eigene Achse und hält erst inne, als der Damm in das Blickfeld gerät. Er sieht sein Fahrrad links neben dem Stein. Rechts neben dem Stein steht ein Mensch.

      Wie lange steht der schon da? Hat er ihn beobachtet? Hat er den Sicherheitsdienst des Agrarunternehmens benachrichtigt? Douglas greift sich unbewusst wieder hinter das Ohr und legt den Schalter um. Das Sozial-Ich lädt sich in den Vordergrund. Nur schön ruhig bleiben.

      Douglas macht sich auf den Rückweg. Schritt für Schritt stapft er durch das Feld, doch diesmal ist er mit den Gedanken ausschließlich bei der Person, die noch immer neben dem Stein steht. Im Näherkommen sieht er, dass es sich um eine Frau handelt. Wieso geht sie nicht weiter? Stattdessen steht sie dort wie angewurzelt und starrt ihn an.

      Douglas steht schließlich am Fuß des Dammes. Er legt den Kopf in den Nacken und schirmt seine Augen ab. Als Erstes bemerkt er, dass die Frau ihn doch nicht ansieht. Vielmehr sind ihre Augen auf das Feld gerichtet, wobei der Blick merkwürdig ziellos ist. Sie scheint tatsächlich nicht viel mehr zu sein als eine leere Hülle.

      Douglas mustert sie eingehend. Lange blonde Haare fallen glatt auf schmächtige schmale Schultern, umrahmen dabei ein längliches eckiges Gesicht, das von großen Augen dominiert wird. Welche Farbe sie haben, kann Douglas von seinem Standort nicht ausmachen. Sein Blick scannt sie weiter ab. Die Oberweite ist kaum ausgeprägt, vielleicht eine Handvoll, mehr nicht. Mehr ist nicht von ihrer Figur zu sehen. Ein langes weißes Kleid mit buntem Blumendruck am Saum fällt gerade zu Boden. Nur die Füße schauen unter dem Stoff hervor. Sie stecken in einfachen Sandalen, die vom Alter schon dunkel sind. Bei näherem Hinsehen fällt ihm auf, das sie leicht vor und zurückwankt.

      »Hallo?« Douglas nimmt die Hände herunter und stützt sie in den Seiten ab. »Geht es Ihnen gut?« Keine Antwort. Das Schwanken verstärkt sich.

      Douglas zögert nicht. Er klettert, so schnell es geht, den Damm hinauf. Schließlich kommt er schnaufend neben der Frau zum Stehen. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?« Er fasst sie leicht am Ellenbogen, um sie zu stabilisieren.

      »Wo kommen Sie her? Wo gehören Sie hin?« Er weiß nicht, was er sonst sagen oder fragen soll. Schon will er nach seinem Smartphone greifen und Hilfe herbeirufen, da fällt ihm etwas ein.

      Es sieht alles danach aus, dass hier ein Reset ausgeführt werden muss. Vorsichtig streicht er der Frau die Haare über die Schulter und tastet hinter ihr rechtes Ohr. Nach einem Moment der Suche findet er den Schalter des Sockets.

      Für einen Augenblick zögert er. Eigentlich ist er zu einem Eingriff dieser Art nicht befugt. So etwas ist nur den Mitarbeitern der MedCon gestattet. Aber es geht nur darum, einen Schalter umzulegen, nicht mehr. Danach kann er der Fremden immer noch sagen, dass sie zum Sanitätsdienst vor Ort gehen soll. Das würde beiden Zeit sparen.

      Er holt tief Luft und schiebt den Schalter vor, bis er einrastet. Einen Wimpernschlag lang tut sich nichts. Dann sieht man förmlich, wie das Leben in ihre Augen schießt.

      »Finger weg«, bellt sie, reißt sich los und tritt zu. Sie trifft sein Schienbein. Douglas taumelt nach hinten. Er will protestieren, doch er erhält keine Gelegenheit dazu. Der nächste Tritt trifft genau ins Schwarze. Und während Douglas sich keuchend am Boden windet, dreht sich die Fremde wortlos um und verschwindet in den Straßen Suburbias.

      Als die dunkelroten Schmerzwellen nachlassen, kämpft sich Douglas langsam wieder auf die Beine. Er taumelt zum Stein hinüber, lehnt sich dagegen und zieht sich sehr langsam und hoch konzentriert die Socken und die Sneakers wieder an. Jede hastige Bewegung lässt den Schmerz wieder aufflammen, der ansonsten einem dumpfen Brandungsrauschen gleicht. Flüchtig denkt er daran, dass er den Sanitätsdienst jetzt tatsächlich in Anspruch nehmen könnte. Aber wie soll er den Vorgang erklären, ohne dabei zuzugeben, dass er sich in Sachen eingemischt hat, die ihn nichts angehen? Dass er das Persönlichkeitsrecht eines anderen auf seelische und geistige Unversehrtheit verletzt hat?

      Er schüttelt den Kopf. Sie hat sich gewehrt. Besser gesagt, ihre Beschützerpersönlichkeit hat sich gewehrt. Das ist zwar ihr gutes Recht, aber ihm ist das jetzt gerade scheißegal. Soll sie doch mitsamt all ihren Facetten vor einen Bus laufen!

      Douglas beißt die Zähne zusammen. Dann greift er sich sein Rad, schiebt es neben sich her und macht sich so auf den langen Heimweg. Er hat weniger gesehen als geplant und dabei mehr gefühlt als beabsichtigt, aber sei’s drum. Douglas kühlt seinen Schmerz in eisigem Sarkasmus. Der Trip hat genug Ablenkung mit sich gebracht. Douglas denkt an nichts anderes als seine schmerzenden Hoden und den nächsten Schritt. Einen Fuß vor den anderen setzen, nur das zählt jetzt. Die Stimmen in ihm schweigen. Das Lachen aus dem Salzmeertraum hat keinen Platz in seinem Hirn. Douglas verzerrt die Lippen zu einem schwachen Grinsen. Gut so.

      Kaynee liegt in der Wanne und spürt den letzten Stunden nach. Kandy hat sich ausgetobt – auf der Tanzfläche in den verschiedenen Clubs. Im Letzten hat sie sich selbst an die Stange gestellt. Mit Kandy ist es immer ein Ritt auf der Achterbahn. Während die Fahrt in die Stadt die Spannung aufbaut, ist der Eintritt in den ersten Club der Anfang des Abstiegs. Mehr Musik, mehr Alkohol, mehr Männer. Und je länger Kandy unterwegs ist, desto mehr verliert sie den Halt. Das ist einer der Gründe, warum ihr Ausgang so reglementiert wird.

      Kaynee schließt die Augen. Sie erinnert sich an die letzte Notiz im Übergabeprotokoll. »Stan is’n Arsch. Wovon träumt der nachts? Entwarnung: Da war nichts. K.« Also hat Kandy nicht die Beine für ihn breitgemacht.

      Kaynee legt aus einem Reflex heraus die rechte Hand über ihre Scham. Rot schießt es ihr in die Wangen. Sanders? Nein! Aber wenn nichts war, dann kann sie ihm morgen ja ganz unbefangen gegenübertreten. Was für ein Glück.

      Sie entspannt sich wieder und zieht die Hand zurück. Einen Moment später lässt sie sich noch tiefer in das warme Wasser gleiten.

      Sanders mit den Hundeaugen. Sanders mit seiner klebrigen Freundlichkeit. Sanders ist eigentlich nur dann erträglich, wenn er als Sudresh durch die Gänge geistert oder in seinem Labor residiert. Oder, wenn er als Steward mit den Besuchern arbeitet. Sanders’ Sozial-Ich ist ihr viel, viel lieber als sein Privat-Ich.

      Professorin Paulson hat recht – man muss nicht jeden mögen. Die Chemie muss nicht stimmen. Aber seit der Effizienzdiversität kommen alle viel besser miteinander klar. Denn auf der Arbeit herrscht Neutralität, Objektivität, Professionalität.

      Kaynee lächelt leicht. Sie selber hat noch nicht den Einen getroffen, der sie von den Füßen haut – oder auch nur einen Teil ihrer selbst um den Verstand bringt. Wer weiß, kann es das überhaupt geben in einer derart aufgespaltenen Welt? Dass jemand wirklich jeden Aspekt des Anderen mit offenen Armen aufnimmt?

      Kaynee holt tief Luft und taucht in das Badewasser ab. Hat’s doch noch nie gegeben! War doch alles immer nur ein Kompromiss gewesen, schon damals.

      Nach