Wenn Mommy alleine ist, dann ist sie ganz anders. Sie nennt Douglas ihren kleinen Prinzen. Er weiß nicht, was das bedeutet, aber sie klingt warm und weich, wenn sie das sagt, also muss es etwas Gutes sein. Douglas ist vergnügt, als er in den Schrank krabbelt. Es ist dunkel hier und alles riecht nach Mommy. Er greift mit beiden Händen in die Kleider, sodass die Bügel aneinander klicken. Seine Finger sind vom synthetischen Honig verklebt. Das erste Kleid rutscht vom Bügel, dann das zweite. Douglas verschwindet unter einem Haufen Tüll und Chiffon. Es wird stickig. Douglas beginnt zu greinen.
»Was in Teufels Namen?« Mommy ist plötzlich da. Sie brüllt, das Gesicht ist wutverzerrt. »Satansbraten! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du hier drinnen nichts zu suchen hast?« Sie holt Luft. Der rechte Mundwinkel krampft spastisch. Sie fällt in sich zusammen.
»Das sind meine Sachen. Alles, alles meine Sachen.« Mommy brüllt nicht mehr, Mommy quengelt. Mit einem Ruck zerrt sie ihm den Chiffonalbtraum vom Kopf. Douglas sieht, wie sich ihre schlanke Silhouette gegen das helle Rechteck der geöffneten Schranktüren abhebt. Mit dem Licht kehren auch die Farben zurück. Mommy fällt auf die Knie und birgt das Gesicht in dem hellblauen Stoff.
Sie holt tief Luft, hebt wieder den Kopf und lächelt auf das Kleid hinunter. Da krampft es erneut in ihrem Gesicht. Der rechte Mundwinkel verzerrt sich.
Mommy dreht und wendet das Kleid in den Händen. »Wann habe ich das gekauft? Wo habe ich es gekauft? Und warum?« Auf ihrem Gesicht spiegelt sich Erstaunen wider. Verwunderung. Schließlich Ekel. »Das trägt doch nur eine Nutte. Eine billige Nutte, die sich als reiche Frau tarnt. Aber letztlich geht es immer nur um das eine. Beine breitmachen.«
Douglas ist längst vergessen. Mommy steht auf, zerrt den Stoff hinter sich her ins Badezimmer und stopft ihn in die Badewanne. Aus dem Waschbeckenunterschrank greift sie sich das Waschbenzin, kippt es über die Chiffonfederwolke. Douglas ist ihr gefolgt. Mit großen Augen steht er im Türrahmen und sieht, wie sie ein Zündholz anreißt und in die Wanne fallen lässt. Die Flammen schlagen hoch. Es riecht nach geschmolzenem Plastik. Mit einem Ausdruck katzenhafter Zufriedenheit steht Mommy daneben.
Da. Der Mundwinkel zuckt spastisch.
»Nein, nein, nein!« Wieder das kleinkindhafte Greinen. »Meine Sachen, meine wunderschönen Sachen!« Mommy wirft sich auf die Knie. Versucht, die Flammen mit der bloßen Hand auszuschlagen.
Da hält sie für einen Moment inne. Holt Luft. Spastischer Krampf. Mundwinkel außer Kontrolle.
»Verdammt noch mal. Wer hat diese Sauerei angestellt?« Mommy ist wieder auf die Füße gesprungen und dreht den Wasserhahn auf. Die Flammen ersaufen unter dem sprudelnden Strahl. Sie lässt sich schwer atmend auf den Toilettendeckel sinken. Birgt das Gesicht in den Händen. Wischt sich über die Augen. »Scheiße«, murmelt sie. »Was ist nur passiert?«
Douglas verliert den Halt und plumpst auf den Hosenboden. Schon will er losgreinen, doch er verschluckt sich an der ersten ungeheulten Träne.
Mommy sieht unwirsch zu ihm hinüber, als wüsste sie nicht, was sie nun auch noch mit ihm anstellen soll. Hat sie nicht genug Sorgen? Sie holt tief Luft, muss sich sortieren. Da zuckt es erneut um ihren Mundwinkel. Sie springt von ihrem Sitz auf, den Blick auf Douglas geheftet, warm jetzt und liebevoll.
Sie klaubt ihn vom Boden auf und wiegt ihn in ihren Armen. »Shhh, mein Prinzchen. Alles ist gut. Alles ist gut.«
Douglas windet sich in ihrem Griff. Er hat Angst vor ihr.
Douglas presst sich die geballten Fäuste auf die Augen. Der Gegendruck vertreibt normalerweise diese Nachbilder. So auch heute. Aber das Gefühl der Unsicherheit bleibt. Douglas ist, als ob der Boden schwanken würde, als ob er weich und nachgiebig wäre. Das Stout, verordnet er sich selber eine Erklärung. Das war eine Flasche zu viel, definitiv.
Er dreht sich auf den Rücken. Schon kehrt die Übelkeit zurück. Wellenförmig drängt es ihm die Kehle hinauf. Er schluckt ein paar Mal trocken und säuerlich, fragt sich derweil, ob er den Weg zur Nasszelle schaffen würde, und entscheidet sich dagegen. Also aushalten. Immer aushalten. Er wird nicht kotzen, wenn er es nicht zulässt.
Er schwingt ein Bein aus dem Bett und presst die Fußsohle auf den Boden. Und tatsächlich, die Welt beruhigt sich um ihn herum, das Bett kreist immer langsamer. Nach ein paar Minuten zieht er sein Bein wieder ins Bett, dreht sich herum und schläft ein, ohne vorher vom Sozial-Ich in den privaten Modus zu wechseln.
Während Douglas schon eingeschlafen ist, gebeutelt von Bildern seiner Vergangenheit, steht Kandy nach einem Nachmittag der Muße und der lustvollen Zweisamkeit mit sich selbst vor dem Spiegel und ist sich weder Vergangenheit noch Zukunft bewusst, sondern sprüht und funkelt im Hier und Jetzt. Im Hintergrund war die demokratische Entscheidung getroffen worden, Kandy im Spiel zu behalten – schließlich war Freitagabend und wer konnte so einen Abend am besten gebrauchen, um auf ihre Kosten zu kommen?
Aber anstatt dankbar zu sein oder sich wenigstens darüber zu freuen, zickt der Sexualanteil von Kaynee unmotiviert herum. »Wurde ja auch mal wieder Zeit, ihr Sittenwächter. Moralapostel. Neidische Hühner.«
Kandy steht nackt im Raum, die Haare stecken noch in einem Turban. Sie greift zur Körperbutter und fängt an, die noch feuchte Haut einzucremen. Sie genießt es sichtlich.
»Wisst ihr«, sagt sie ins Blaue hinein, »Ich glaube, die anderen mögen mich nicht. Ich bin ihnen zu wild. Zu fordernd. Mir geht es um meine Bedürfnisse, klar.« Sie massiert die Creme sanft in ihre Haut, fährt dabei von ihrem Bauchnabel langsam höher, umkreist ihre Brüste und lässt die Hände dort schließlich ruhen. »Aber ich will doch nur spielen!«
Während Kandy die Augen schließt, lächelt sie leicht, denn in ihr erklingt zustimmendes Gezischel. Kandy verbringt viel Zeit mit Ken, sitzt vor der Tür im Keller. Dieser Tür, die Kora stets einen leichten Schauer über den Rücken sendet.
Kandy ist da anders. Sie sucht die Nähe zur Cloud, zu ihren Dämonen, denn sie sieht sie als Geschwister. Zudem – wenn sie sonst von niemandem Anerkennung bekommt, weil sie die meiste Zeit zugunsten der kleinen, harmlosen Katy verdrängt wird – an wen sollte sie sich sonst halten? Also sieht sie die Cloud als ihren höchst eigenen Hofstaat an und gibt demnach nicht Alarm, wenn der es hinter seiner Tür mal wieder bunt treibt. Sie vergisst ganz einfach, eine Notiz davon ins Übergabeprotokoll zu schreiben. So wie man manche Sachen einfach mal vergisst. Ganz bewusst.
Eine Dreiviertelstunde später verlässt Kandy das Zentrum, setzt sich ins Taxi und lässt sich in die Stadt bringen. Sie ist aufgerüscht im hautfarbenen, kurzen Chiffon, mit roségoldener Clutch und ebensolchen High Heels ausgestattet, die Haare sind groß gelockt und schimmern im Kunstlicht der Nacht. Kaynee ist zu einer Motte geworden und sie sucht die City Lights, denn alles in ihr will sich heute Nacht gehörig die Flügel verbrennen, damit sie sich selber wieder spürt. Einmal lebendig sein. Verdammt, wofür gibt es Kandy denn?
Am nächsten Morgen wacht Douglas um halb acht auf. Irgendjemand hat eine mittlere Metallstange auf seinem Kopf krumm gehauen, aber er kennt das Gefühl und weiß, dass es nach der richtigen chemischen Behandlung weichen wird. Dafür muss er aufstehen. Das sollte auch kein Problem sein, schließlich hat er gestern beschlossen, was er heute machen will. Den Ausflug in den Grüngürtel.
Douglas verzieht das Gesicht. Er will sich nicht auf das Rad schwingen. Er will stattdessen die Decke über das Gesicht ziehen und weiterschlafen.
Aber als er so da liegt, wandert sein Blick über die Decke. Da hängt eine schmucklose Lampe von der Decke, um deren unteres Ende ein Fliegenpärchen summt. Douglas sieht näher hin. Überall kleine braune Punkte. Fliegenkacke. Es kichert schrill in ihm. Das Lachen ist wieder da, voll Häme und mit voller Wucht fällt es über ihn her. Es lacht so sehr, dass es sich den Bauch halten würde, hätte es eine menschliche Gestalt. Douglas’ Kopf will explodieren. Doch das geht nicht, das Hirn will nicht aus dem Schädel