Salzgras & Lavendel. Gabriele Behrend. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Behrend
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658838
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an ihm vorbei, und nein, was Douglas da fühlt, ist nicht weiblich. Für einen Moment kotzt ihn die Welt an, in der er lebt. »Lady!« Er schnaubt verächtlich.

      Douglas hat Glück, der Wachhund des fetten Typs hat es nicht gehört. Beschwingt verlässt der die Bahn und wendet sich dem Ausgang zu. Mit einem verruchten Lächeln auf den wulstigen Lippen fährt der Fremde auf dem Rollband der Oberfläche entgegen. Die Lady ist ein Vamp.

      Douglas steigt eine Station später aus. Die Mauern des Gettos kann man von hier aus nicht mehr sehen, aber sie sind dennoch nahe und manchmal, wenn der Wind von Süden kommt, kann man es riechen. Es ist Douglas immer eine Mahnung, noch härter zu arbeiten, damit er niemals wieder dort landen wird. Denn es ist wahr – er wurde dort geboren.

      Douglas wischt sich über die Augen. Er will nicht an das Getto denken. Er will vor allem nicht an seine Eltern denken. Ohne ihren Tod wäre er vielleicht niemals in Suburbia gelandet. Müsste jeden Morgen um den streng reglementierten Einlass in die City kämpfen, um irgendeinen Job zu machen. Douglas sperrt diese Gedanken endgültig aus.

      Er schließt die Tür auf, tritt in das Halbdunkel seiner halbwegs komfortablen Einraumvierzonenwohnung. Es geht eine Stufe hinunter, schon steht er im Wohnzimmer, eine Couch, ein Sessel, ein Tisch auf einem verschlissenen Läufer. Sechs Schritte geradeaus ist er am Arbeitsplatz vorbei in der Küche angelangt. Diese besteht aus einer Spüle, einem halbhohen Schrank, auf dem zwei Induktionskochplatten und ein kleiner Ofen stehen, sowie einigen Regalen, mit Lebensmitteln gefüllt. Rechter Hand liegt die Schlafnische mit Bett und Kleiderschrank, mit einem halbhohen Bücherregal vom Rest der Wohnung abgetrennt. Von dort aus geht es ins angrenzende, schlauchförmige Badezimmer.

      Douglas hat seine Tasche auf dem Schreibtischstuhl abgelegt, seine Jacke auf das Bett gepfeffert und wäscht sich nun im Badezimmer das Gesicht mit kaltem Wasser ab.

      Wie soll es weitergehen? Er würde gerne reden. Aber mit wem? Wer wird zuhören wollen, wenn er von Programmen erzählt, die Zahlen und Informationen verwalten?

      Er trocknet sich ab, geht zum Arbeitsplatz. Er nimmt sein Smartphone aus dem Office-Bag und steckt es in die Dockingstation. Mit einem Brummen erwacht es zum Leben. Der gläserne tischbreite Monitor schnurrt in die Höhe, bis er mit einem leisen Klacken in der Endposition einrastet. Einen Moment später erscheint die Benutzeroberfläche auf der Scheibe. Douglas greift hinter sich und öffnet den Kühlschrank. Tastet im Türregal herum, erwischt einen kalten Flaschenhals, zieht das Bier heraus und tritt mit dem linken Fuß hinter sich. Die Kühlschranktür ist wieder geschlossen.

      Auf dem Bildschirm tummeln sich Werbung und eine KI-generierte Übersicht über Themen, die Douglas interessieren könnten. Heute jedoch will er nicht einem einzigen Link folgen. Mechanisch öffnet er sein Bier und nimmt den ersten Schluck. Setzt die Flasche ab und lauscht in sich hinein. Noch ist alles still. Zu still.

      2.

      Der Sturm treibt mich vor sich her, ich taumle durch die Dunkelheit. Ein Brausen umgibt mich, es tost, es rauscht. Der Atem wird mir von den Lippen gerissen. Ich schnappe nach Luft, laufe, renne. Reiße die Augen auf, doch es bringt nichts. Um mich herum ist alles tintenschwarz. Irgendwann verliere ich die Schuhe, erst den linken, ein paar Stolperer später den rechten. Festgebackener Sand scheuert an den nackten Sohlen. Ich bleibe stehen, stemme mich gegen den Wind. Schmerz schießt mir ins rechte Knie und ich schreie ihn in den Sturm hinaus.

      Als beides vergangen ist, Schmerz und Schrei, weggefegt von einer Böe, verändert sich die Geräuschkulisse. Der Sturm nimmt ab, dafür höre ich jetzt Wellen, die donnernd an den Strand schlagen. Salz legt sich auf die trockenen Lippen, verkrustet dort. Alles wird klamm und kalt, ich zittere. Meeresschaum und Sand fegen über den Boden und brechen sich nass und körnig an meinen Knöcheln.

      Dieses Aufatmen währt nicht allzu lange, schon gewinnt der Wind wieder an Stärke und schiebt mich über den Strand. Der Sand wird feuchter, die Brandung klingt näher. Wenn ich mich nicht endlich aufbäume, werde ich ins Meer gejagt. Werde zum Spielball der Wellen, die mich über den nassen rauen Sand schleifen, solange bis nichts mehr von mir übrig bleibt. Zerrieben, zerstört, vernichtet.

      Inmitten des Tohuwabohus erklingt ein Lachen. Ein hämisches, keckerndes Lachen.

      Ich erkenne es wieder und frage mich für einen Moment, auf welchem Weg es an diesen verfluchten Ort gefunden hat.

      Sollte es nicht in mir eingesperrt sein?

      Der Wind flaut ab. Die Wellen ziehen sich zurück. Die Dunkelheit reißt auf und gibt den Blick auf einen einsamen Strand frei. Das Lachen springt über Muschelschalen und angelandetes Treibgut. Es flieht einen schmalen Pfad hinauf, der sich über Felsen windet und bis zum Scheitelpunkt der Steilklippen hinaufführt. Dort verliere ich es aus den Ohren.

      Ein Hauch von Lavendel weht mir um die Nase und ich weiß, dass ich den gleichen Weg werde nehmen müssen. Wer weiß schon, was mich hinter den Klippen erwartet …

      Als Douglas am Morgen in die Bahn steigt, ist er unruhig. Noch immer spürt er den Sand an den Knöcheln, ein Mitbringsel des verwirrenden Traumes der letzten Nacht. Das Lachen beunruhigt ihn. Es hat sich fortgestohlen, ist verschwunden. Er weiß nicht, was er davon halten soll, ob er sich befreit fühlen darf oder ob er besorgt sein soll. Was wird es ohne ihn anstellen. Wird er Dinge tun, an die er sich nicht erinnern kann? Hat er die Kontrolle verloren?

      Abwesend starrt er aus dem Fenster. Die Bahn taucht in die Tiefe ab, rast an den inzwischen verwaisten Stationen vorbei, mit denen das Getto einst an die Strecke angeschlossen war. Die Namen sind ausradiert worden, jetzt sind es nur noch römische Ziffern, die die Abfolge kennzeichnen. Bei VI schreckt Douglas auf. Sie befinden sich unter dem Herzen des Gettos. Seine Eltern haben hier gelebt, genau hier. Mommy? Douglas beißt die Zähne zusammen. Er will sich nicht an sie erinnern. Das hat noch nie gutgetan.

      Schon will er die Augen verschließen vor den ungewollten Bildern, als ihm jäh bewusst wird, dass dies zwar ein probates Mittel ist, um der Außenwelt zu entfliehen, den Erinnerungen aber Tür und Tor öffnet. Also zieht er die Augenbrauen hoch, damit die Lider nur ja nicht zueinanderfinden und ihn in der Dunkelheit mit sich selbst allein lassen. Übelkeit überfällt ihn. Die Regung, einfach auszusteigen, um die nächste Bahn zurück zu nehmen, wird schier übermächtig.

      Aber die Bahn rast weiter durch die Dunkelheit, vorbei an den vernagelten Stationen. Ein simples Umsteigen ist hier schon lange nicht mehr möglich. Er wird diesen Druck aushalten müssen, bis zum bitteren Ende. Seine Hand verkrampft sich um den Haltegriff, er schaukelt mit der Bahn, die sich in die Kurve legt. Irgendjemand hat weiter vorne das Fenster aufgemacht, Fahrtwind springt ins Abteil, zieht mit kalten Geisterfingern über Dougs Gesicht. Er wird diese Berührung den ganzen Tag spüren.

      Kaynee liebt ihr Bett, an freien Tagen sogar mehr als üblich, denn niemand zwingt sie aus den Federn. Das ist ihr ganz persönlicher Luxus in den Zeiten, in denen sie keinen Besucher zu betreuen hat. Heute ist Freitag – und es fühlt sich an wie Sonntag. Kaynee blinzelt aus den Federn in die helle Sonne und lächelt.

      Nach Santanas Abschied gestern hat ihr die Professorin noch keinen neuen Menschen an die Seite gestellt. Professorin Paulson ist es wichtig, dass man die Seelen, die sich hier einfinden, niemals als Nummer oder als Fall sieht. Sie betont immer, dass es sich hier um Menschen handelt – Menschen mit Wünschen, Sorgen, Nöten.

      Für Kaynee war das eine Umgewöhnung gewesen. Bevor sie nach Zenith gekommen war, hatte sie für ein kleineres städtisches CADIAS gearbeitet, in dem sie kaum eine Minute für sich gefunden hatte. Dort musste sie bisweilen drei Fälle gleichzeitig betreuen. Irgendwann hatte Karen gestreikt und Kora die Kündigung schreiben lassen. Als Kaynee sich unverhofft auf der Straße wiedergefunden hatte, war ihr dann die Anzeige von Zenith in die Hände gefallen. Was hatte sie schon zu verlieren gehabt? Nichts. Also war sie mit ihrem Koffer hierhergekommen, bereit, alles auf eine Karte zu setzen.

      Kaynee schiebt den Arm unter das Kissen, dreht sich auf die Seite und schließt die Augen. Ihre Gedanken kehren wieder in die Vergangenheit zurück.

      Als