Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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so nimmt man denn auch an daß die obere Seele bis in die Pflanzenwelt hineinreicht; und in gewisser Weise tut sie das wirklich, weil die Wachstumskraft in den Pflanzen ihr angehört; aber sie ist nicht als ganze in den Pflanzen, sondern nur insofern als sie in die Pflanzen eintritt, als sie so weit nach unten fortgeschritten ist und dabei durch dieses Vorschreiten und ihre Bereitwilligkeit zum Geringen eine weitere Wesenheit zur Existenz brachte. Läßt doch auch ihr oberer Teil, der mit dem Geist verknüpft ist, den Geist in sich ruhend.

      [2]So läuft also dieser Prozeß vom Urgrund her bis zum Untersten hin, und jede einzelne Stufe verbleibt dabei immer auf dem ihr eigenen Sitz, während das Erzeugte eine andere Stelle, und zwar eine niedrigere erhält. Jedoch wird jeweils das Erzeugte mit demjenigen identisch, dem es sich hingibt, solange es sich ihm hingibt. Tritt also die Seele in eine Pflanze, so ist das in der Pflanze etwas von ihr, sozusagen ein Teil, und zwar ihr verwegenster, unbesonnenster, der bis zu dieser Tiefe sich herabgewagt hat; und tritt sie in ein vernunftloses Tier ein, so hat die Übermacht ihrer Wahrnehmungskraft sie dahin geführt; und wenn sie in einen Menschen eintritt oder überhaupt in ein vernunftbegabtes Wesen, so hat sie die vom Geist ausgehende Bewegung dahin geführt, da die Seele den Geist als eigen in sich hat und einen von ihr selbst ausgehenden Willen zum Denken oder überhaupt zur Bewegung. Kommen wir aber wieder auf die Pflanze zurück – wenn man ihr die Seitenschößlinge oder die Enden der Zweige beschneidet, wohin ist dann die Seele die in solchem Teil war, fortgegangen? Nun, zu ihrem Ursprung; denn sie ist von ihm nicht räumlich entfernt; sie ist also eines mit ihrem Ursprung. Und wenn man die Wurzel zerhaut oder verbrennt, wohin geht das was an Seele in der Wurzel ist? In die Seele, denn sie war ja gar nicht an einen andern Ort gegangen (?). Indessen mag sie auch am selben Ort geblieben sein, sie war doch in einem Andern, wenn sie ‘zurückkehrt’; kehrt sie nicht zurück, so geht sie auch dann in eine andere Pflanzenseele ein, denn sie ist nicht räumlich eingeengt (?); kehrt sie aber zurück, so geht sie in das Seelenvermögen ein das vor ihr ist. Aber wo bleibt dieses? Wiederum in dem vor ihm liegenden Vermögen; und das reicht schon an den Geist heran, nicht räumlich, denn wie wir sagten, ist die Seele überhaupt nicht im Raum, der Geist aber ist erst recht nicht im Raum, so daß sie also nicht räumlich an ihn heranreichen kann. Ist sie also nicht irgendwo sondern in dem das nirgendwo ist, so ist sie damit auch allerwärts; bleibt sie aber beim Aufstieg nach oben im Zwischengebiet stehen ehe sie gänzlich zur höchsten Stufe gelangt ist, so führt sie ein mittleres Leben und kommt in diesem Teil ihrer selbst zur Ruhe.

      Alle diese Stufen aber sind Jener und nicht Jener: Jener, weil sie aus ihm stammen, nicht Jener, weil Jener indem er sie dargibt bei sich selbst beharrt. Es ist wie ein lebendiger Lebensvollzug, welcher sich in die Weite erstreckt, jeder der hintereinander liegenden Abschnitte ist ein anderer, das Ganze ist ein in sich Zusammenhängendes, jedes Stück aber ist vom andern verschieden, und das frühere geht im späteren nicht verloren.

      Wie steht es denn nun mit der Seele die in die Pflanzen eingetreten ist? Zeugt sie nichts? Doch, das in dem sie ist. Wie das geschieht, das soll von einem andern Ausgangspunkt her untersucht werden.

       12

      Die beiden Materien

      Die sogenannte Materie denkt man sich als eine Art ‘Unterlage’ und als ‘Aufnahmeort’ für die Formen; diese Vorstellung ist allen gemeinsam die sich einer solchen Wesenheit überhaupt bewußt geworden sind, und soweit gehen sie alle denselben Weg; mit der Frage aber, was diese ‘zu Grunde liegende’ Wesenheit sei und wieso sie aufnehme und was, damit beginnen die Meinungsverschiedenheiten. Diejenigen welche die Dinge nur als Körper und die Substanz in die Körper setzen, behaupten daß die Materie eine sei und unter den Elementen liege; sie sei die Substanz, die andern Dinge aber seien alle nur gewissermaßen ihre Affektionen, und auch die Elemente seien nur eine bestimmte Befindlichkeit von ihr; ja sie erkühnen sich sie sogar bis zu den Göttern reichen zu lassen und schließlich soll sogar Gott selbst solche bestimmt befindliche Materie sein. Sie geben dieser Materie auch einen Körper indem sie sie als qualitätlosen Körper bezeichnen und auch quantitative Größe.

      Andre aber halten die Materie für unkörperlich; und einige von ihnen nehmen nicht nur eine Materie an; diese lassen unter den Körpern dieselbe Materie liegen wie jene ersten, aber es gebe noch eine andere, frühere Materie, die in der geistigen Welt unter den dortigen Formen und unkörperlichen Substanzen liegt. [2]Wir müssen also zunächst untersuchen ob es diese zweite Materie gibt, von welcher Art sie ist, und inwiefern sie ist.

      ‘Wenn denn ein Ding wie die Materie etwas unbestimmtes und ungestaltetes sein muß, es aber unter den Dingen der oberen Welt, die von höchster Vollkommenheit sind, nichts unbestimmtes und ungestaltetes gibt, so kann es dort keine Materie geben. Und wenn jedes intellegible Wesen einfach ist, bedarf es keiner Materie, die, mit einem andern zusammengesetzt, jenes intellegible Wesen ergäbe. Die Dinge ferner welche entstehen und aus einem in den andern Zustand überführt werden, bedürfen der Materie (von ihnen ist denn auch der Gedanke einer Materie der Sinnendinge ausgegangen), die aber nicht entstehen, nicht. Woher sollte sie denn auch gekommen sein und wie entstanden? Denn ist sie geworden, dann von jemandem; ist sie aber ewig, dann würde es mehrere Urprinzipien geben, und es herrschte Zufall unter den ersten Prinzipien. Ferner, auch wenn eine Form hinzutritt, müßte das aus Form und Materie Zusammengesetzte Körper sein; dann würde es also auch in der intellegiblen Welt den Körper geben.’ –

      [3]Zuerst nun ist hiergegen zu sagen, daß man das Unbestimmte nicht überall gering achten muß, so auch nicht das was seinem Begriff nach ungestaltet ist, wenn es sich nur darzubieten geneigt ist dem was über ihm steht, den Wesenheiten von höchster Güte; so verhält sich ja auch die Seele zum Geist und zur Vernunft, sie wird geformt von ihnen und in eine bessere Gestalt erhoben. Ferner, in der geistigen Welt versteht sich Zusammensetzung in einem anderen Sinne, nicht wie bei den Körpern. Denn die rationalen Formen sind zusammengesetzt, und sie machen durch ihre Wirksamkeit zusammengesetzt diejenige Wesenheit welche hinwirkt auf die Gestaltung (der Welt); wirkt sie aber auf ein andres und erhält von ihm Wirkungen, ist sie erst recht zusammengesetzt. Die Materie ferner der vergänglichen Dinge erhält eine immer neue Gestalt, die Materie der ewigen ist aber stets dieselbe und hat stets die gleiche Gestalt. Der irdischen Materie geht es wohl umgekehrt; denn hier unten ist sie der Reihe nach alles mögliche, und jedesmal nur ein einzelnes; so bleibt nichts in ihr, da eine Form die andere hinausdrängt, sie ist also immer verschieden. Die intellegible Materie aber ist alles zugleich; es gibt also nichts in das sie sich verwandeln könnte, denn sie hat schon alles in sich. Ungestaltet ist also auch dort oben die intellegible Materie niemals, sowenig wie die irdische – allerdings beide in verschiedener Weise. Die Frage endlich ob sie ewig oder geworden ist, wird sich klären wenn wir ihr Wesen erfaßt haben. –

      [4]Für den Weitergang der Untersuchung wollen wir die Existenz der Ideen für jetzt als gegeben annehmen; sie ist ja an andrer Stelle bewiesen worden. Wenn nun die Ideen viele sind, so muß es notwendig ein Gemeinsames in ihnen geben, und auch ein Eigenes wodurch sich die eine von der andern unterscheidet. Dies Eigene also, dieser absondernde Unterschied, ist die individuelle Gestalt der Idee. Ist aber eine Gestalt da, so gibt es etwas das gestaltet wird, an dem der spezifische Unterschied ist; es gibt dort also auch eine Materie, welche die Form aufnimmt und für jede das Substrat ist. Ferner wenn es in der oberen Welt einen intellegiblen Kosmos gibt, und der irdische sein Abbild ist, dieser aber zusammengesetzt ist unter anderm aus Materie, dann muß es auch dort oben Materie geben. Oder wie kann man ihn Kosmos nennen außer im Hinblick auf seine Gestalt, und wie kann er Gestalt haben wenn er nichts hat an dem die Gestalt ist? Ferner, die intellegible Welt ist durchaus und gänzlich teillos, aber doch wieder in gewissem Sinne teilbar. Wenn nämlich die Teile auseinander gerissen werden, so handelt es sich um eine Zerschneidung und Zerreißung, die nur Affektion einer Materie sein kann, denn sie ist diejenige die zerschnitten wird; ist aber der Gegenstand der Teilung zugleich unteilbar und Vielheit, so ist dies Viele, das in dem einen ist, in dem einen als in einer Materie, denn es ist seinerseits die Form des Einen. Denn dies Eine stelle dir vor als vielfältig und vielgestaltig; folglich ist es an sich gestaltlos, ehe es vielfältig ist; denn wenn man die Vielfältigkeit, die Formen, die Begriffe, die Gedanken die in dem Einen sind, wegdenkt, so