Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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sie ist keineswegs leeres Wort, sondern es gibt ein Zugrundeliegendes, obgleich es unsichtbar und größelos ist. Andernfalls müßten wir mit derselben Begründung auch die Wiebeschaffenheiten und die Größe leugnen; alles derartige wäre dann, wenn man es allein an sich selbst betrachtet, ebenfalls ein Nichts. Wenn aber diese existieren obgleich sie im einzelnen schwer erfaßbar sind, so existiert erst recht die Materie, mag sie auch nicht augenfällig sein, da sie mit den Sinnen nicht erfaßbar ist; das können weder die Augen, denn sie ist farblos, noch die Ohren, denn sie ist ohne Laut; sie hat auch keinen Geruch und Geschmack, also kann auch Nase und Zunge sie nicht erfassen; vielleicht der Tastsinn? Nein, sie ist ja nicht körperlich; der Tastsinn geht auf den Körper, denn er erfaßt dicht und dünn, weich und rauh, feucht und trocken; und all das fehlt der Materie; sondern sie ist erfaßbar nur durch einen Schluß, der nicht aus der Vernunft kommt, sondern leer schließt, weshalb er, wie gesagt, ‘unecht’ heißt. Nicht einmal die Idee der Körperlichkeit hat die Materie; denn wenn die Idee der Körperlichkeit Begriff ist, ist sie von der Materie verschieden, also ist die Materie etwas anderes; denkt man aber an sie im Zustand des Schaffens und gleichsam schon Gemischtseins, dann ist sie offenbar schon Körper und nicht mehr allein Materie.

      [13]Wenn man aber das Zugrundeliegende als eine Art Wiebeschaffenheit ansehen will, die den einzelnen Elementen etwa gemeinsam sei, so sage man erstlich welches diese sein sollte. Wie kann ferner Wiebeschaffenheit ein Zugrundeliegendes sein, und wie kann man sich ein Wiebeschaffenes an einem Größelosen vorstellen, wenn es keine Materie und also keine Größe hätte? Weiter, Wiebeschaffenheit ist bestimmt; wie kann sie da Materie sein? Soll sie aber irgendwie unbestimmt sein, dann ist es keine Wiebeschaffenheit, sondern eben das Zugrundeliegende, die gesuchte Materie.

      ‘Aber warum soll nicht ihre Qualitätslosigkeit darin bestehen, daß sie mit ihrem Sein an keiner der Wiebeschaffenheiten teilhat, daß sie aber eben vermöge dieses Nichtteilhabens wiebeschaffen ist, indem sie durchaus eine bestimmte, von den andern verschiedene Eigentümlichkeit hat, nämlich sozusagen die Beraubung (Privation) aller andern? Ist doch auch der Beraubte wiebeschaffen, zum Beispiel der Blinde. Trägt also die Materie die Privation der Wiebeschaffenheiten an sich, so muß sie wiebeschaffen sein; wenn aber die Privation schlechthin, so erst recht, wenn anders auch die Privation ein Wiebeschaffenes ist.’ – Wer das behauptet der tut nichts andres als alle Dinge zu wiebeschaffenen und zu Wiebeschaffenheiten zu machen. Es wäre dann auch die Wievielheit Wiebeschaffenheit, ja auch die Seinsheit. Aber wenn etwas wiebeschaffen ist, muß an ihm doch Wiebeschaffenheit vorhanden sein! Es ist lächerlich, das was gerade ein anderes als wiebeschaffen, nämlich nicht wiebeschaffen ist, zu einem Wiebeschaffenen zu machen. Wenn es wiebeschaffen sein soll, weil es ein anderes ist, so ist das entweder Andersheit als solche; dann ist es nicht wiebeschaffen, denn auch die Wiebeschaffenheit als solche ist nicht wiebeschaffen; oder es ist ein bloßes Anderssein, dann ist es nicht durch sich selbst, sondern durch die Andersheit anders und durch die Identität identisch. So ist auch die Privation keine Wiebeschaffenheit und kein Wiebeschaffenes, sondern die Abwesenheit von Wiebeschaffenheit oder eines Andern, wie die Lautlosigkeit Abwesenheit von Laut, oder was es sonst sei; denn die Privation ist Aufhebung, während das Wiebeschaffene eine Bejahung enthält. Ferner ist das Spezifische der Materie die Formlosigkeit, indem sie nämlich keine Qualität und keine Gestalt hat; da ist es doch ein Unding, sie, weil sie nicht wiebeschaffen ist, wiebeschaffen zu nennen; das wäre dasselbe als wollte man ihr, weil sie keine Größe hat, eben deswegen Größe zuschreiben. Ihr Spezifisches nun ist nicht von ihrem Sein verschieden, und ist keine Zutat, sondern besteht vielmehr in ihrem Verhältnis zu den andern Dingen, daß sie nämlich ein anderes als die andern ist. Die andern Dinge sind nicht nur andere, sondern außerdem noch jedes ein Etwas, ein Geformtes, sie aber könnte man passend bezeichnen als ‘nur anderes’; oder vielleicht als ‘andere’, um sie nicht durch den Singular ‘anderes’ zu determinieren, sondern durch den Plural ‘andere’ ihre Bestimmungslosigkeit anzudeuten.

      [14]Jedoch das ist noch zu untersuchen, ob sie Privation ist oder ob die Privation nur an ihr ist. Die Lehre die meint daß Materie und Privation dem Substrat nach eines, dem Begriff nach aber zwei seien, ist verpflichtet darzulegen, wie man den Begriff beider so fassen muß, daß er die Materie definiert ohne irgendeine Beiziehung der Privation und entsprechend die Privation. Entweder ist beides nicht im Begriff des andern enthalten, oder beides ist im Begriff des andern enthalten, oder drittens nur eins von beiden, gleichgültig welches. Wenn beide völlig gesondert sind und keines des andern bedarf, dann müssen sie zwei sein und die Materie etwas anderes als die Privation, wenn auch die Privation ein Prädikat von ihr sein mag, und dann darf man in dem einen Begriff das andere auch nicht potential enthalten sein lassen. Verhalten sie sich aber zueinander wie die Stumpfnase und das Stumpfe, so sind sie auch so ein Doppeltes und sind zwei. Wenn es aber ist wie bei Feuer und Hitze, wo nämlich die Hitze im Feuer enthalten, das Feuer aber in der Hitze nicht mitgesetzt ist, und ist die Materie in dem Sinne Privation wie das Feuer heiß ist, dann muß die Privation sozusagen ihre Gestalt sein, das Zugrundeliegende also etwas anderes, und dies andere muß man dann als die Materie ansetzen; übrigens sind sie auch so nicht eins. Ist also diese Einheit des Zugrundeliegenden und Zweiheit des Begriffs so zu verstehen, daß die Privation nicht die Anwesenheit von etwas, sondern die Abwesenheit bezeichnet, und gewissermaßen eine Negation des Seienden ist, so wie bei der Aussage ‘nicht seiend’ die Verneinung nichts hinzutut sondern aussagt daß etwas nicht ist, und ist also die Materie in dem Sinne Privation daß sie ‘nicht ist’? Wenn sie ‘nicht ist’, sofern sie nicht das Seiende, sondern etwas andres ist, dann sind die Begriffe immer noch zwei verschiedene, der eine erfaßt das Zugrundeliegende, der der Privation aber bezeichnet das Verhältnis zu den andern Dingen. Oder der Begriff Materie bezeichnet das Verhältnis zu den andern Dingen, wie auch der des Zugrundeliegenden, der Begriff der Privation aber könnte vielleicht, wenn er die Unbestimmtheit der Materie bezeichnet, schon als solcher an das Wesen der Materie heranreichen? Allerdings sind auch so noch beide dem Zugrundeliegenden nach eins aber dem Begriff nach zwei. Wenn jedoch die Privation, dadurch daß sie Unbestimmtheit und Grenzenlosigkeit und ohne Wiebeschaffenheit ist, mit der Materie identisch ist, dann können [15]die Begriffe nicht mehr zwei sein. Es muß also nochmals geprüft werden, ob das Unbegrenzte und Unbestimmte als Accidens der Materie als einer von ihm verschiedenen Wesenheit anhaftet und in welchem Sinne es Accidens sein kann und ob die Privation ein Accidens der Materie ist. Wenn alles was Zahl und Proportion ist, außerhalb des Unbegrenzten steht – denn es ist Grenze und Ordnung, und die andern Dinge erhalten ihre Geordnetheit erst von ihm, sie werden nicht geordnet vom Geordneten sondern das Geordnete ist etwas anderes als das Ordnende, es ordnet sie vielmehr die Grenze die Bestimmung die Proportion –, dann muß notwendig das was geordnet und bestimmt wird, unbegrenzt sein. Geordnet aber wird die Materie, und das was nicht Materie ist, sofern es an ihr Teil hat oder ihre Stelle einnimmt. Folglich muß notwendig die Materie das Unbegrenzte sein. Nicht aber ist sie unbegrenzt im Sinne eines Accidens als hafte das Unbegrenzte ihr als Accidens an. Denn erstens muß das was Bestimmung von etwas ist, ein Begriff sein; das Unbegrenzte aber ist nicht Begriff. Zweitens, welcher Art soll das sein, dessen Bestimmung das Unbegrenzte wäre? Doch wohl Grenze und Begrenztes; aber die Materie ist nicht Begrenztes oder Grenze. Ferner, wenn das Unbegrenzte an das Begrenzte kommt, muß es dessen Wesen vernichten. Folglich ist das Unbegrenzte kein Prädikat der Materie. Die Materie ist also selbst das Unbegrenzte. Auch in der geistigen Welt ist ja die Materie das Unbegrenzte; es ist eine Hervorbringung aus der Grenzenlosigkeit des Einen, oder aus seiner Kraft oder seiner Ewigkeit, da es im Einen keine Grenzenlosigkeit gibt, sondern es sie nur schafft. Wie kann nun aber das Unbegrenzte dort oben und hier unten sein? Nun, auch das Unbegrenzte ist doppelt. Und wie unterscheiden sich beide? Wie Urbild und Abbild. So ist also das irdische Unbegrenzte in geringerem Grade unbegrenzt? Nein, in höherem; denn um so mehr es zum Abbild wurde, auf der Flucht vor dem Sein und dem Wahren, so viel mehr ist es unbegrenzt; denn die Unbegrenztheit ist in dem weniger Begrenzten mehr; das Weniger im Guten ist ein Mehr im Schlechten. In Bezug auf die Unbegrenztheit ist also das Obere mehr Abbild und das Irdische weniger, und um so viel es das Sein und das Wahre geflohen und in die Seinsform des Abbildes hinabgesunken ist, ist es in umso wahreren Sinne unbegrenzt. – Ist nun ‘das Unbegrenzte und das Unbegrenztsein’ dasselbe? Wo Form und Materie vorhanden ist, sind jene verschieden; wo aber Materie allein, da muß man sie entweder für identisch halten, oder, und besser, annehmen, daß es da überhaupt kein Unbegrenztsein gibt; denn das wäre ein begrifflich Geformtes und das