Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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die schönen Dinge denkt er nicht mehr, sondern über das Schöne ist er nun hinweggeeilt, hinausgeschritten nun auch über den Reigen der Tugenden, wie einer der in das Innere der unbetretbaren heiligen Kammer eingetreten ist und die Götterbilder im Tempel hinter sich gelassen hat, und wenn er aus der inneren Kammer wieder heraustritt, so begegnen sie ihm zuerst, nachdem die Schau da drinnen vorbei ist, die Vereinigung dort oben nicht mit einem Götterbild oder Gleichnis sondern mit Ihm selbst: so werden diese die zweiten Schaunisse. Jenes aber war wohl kein Schaunis, sondern eine andere Weise des Sehens, Aussichtreten, sich selbst Einfachmachen und Darangeben, Hinstreben zur Berührung und Stillestehen und Bedachtsein auf Anpassung; nur so kann man das in der innersten Kammer erblicken. Blickt er aber auf andre Weise, so erscheint ihm gar nichts.

      Indes all diese Dinge sind bloße Nachbilder, nur verborgene Hindeutungen der Weisen unter den Mysteriendeutern wie der wahre, obere Gott zu erblicken ist; ein weiser Priester der die Hindeutung versteht, mag wohl, wenn er in jene innere Kammer eintritt, zu einer wahrhaften Schau gelangen; aber auch wenn er sie nicht betritt – wenn er diese Kammer für etwas Unsichtbares hält, nämlich für den Urquell und Urgrund, so wird er wissen, daß nur der Urgrund den Urgrund erblickt, nur ihm sich vereinigt, und nur das Gleiche mit dem Gleichen; so wird er nichts von dem Göttlichen, welches die Seele schon vor der Schau innehaben kann, versäumen, und wird das Übrige von der Schau erwarten; und dies übrige ist für ihn, wenn er über alles hinausgeschritten ist, dasjenige was vor allem ist. Denn die Seele kann ihrem Wesen nach nicht in das schlechthin Nichtseiende gelangen; sondern wenn sie hinabschreitet, kommt sie ins Übel und insofern in Nichtseiendes, jedoch nicht in das schlechthin Nichtseiende; läuft sie dagegen in entgegengesetzter Richtung, so gelangt sie nicht zu einem Andern, sondern zu sich selbst, und so kann sie, da sie nicht in einem andern ist, nicht in einem Nichts sein; sondern nur in sich selbst; und nur in sich selbst und nicht in Jenem als in etwas Seiendem: man wird selber insofern man mit Jenem umgeht, nicht mehr Sein sondern Übersein. Sieht jemand sich selbst in diesem Zustand, so hat er an sich selbst ein Gleichnis von Jenem, und geht er von sich als einem Abbild zum Urbild hinüber, so ist er am Ziel der Reise. Und fällt er aus der Schau, so weckt er die Tugend in sich wieder auf, und nimmt er dann wahr, daß sein Selbst durch die Tugenden von Ordnung und Form durchdrungen ist, so wird er wiederum leicht werden und durch die Tugend zum Geist und zur Weisheit aufsteigen und durch die Weisheit zu Jenem. Das ist das Leben der Götter und göttlicher, seliger Menschen, Abscheiden von allem andern was hienieden ist, ein Leben das nicht nach dem Irdischen lüstet, Flucht des Einsamen zum Einsamen.

       10

      Die drei ursprünglichen Wesenheiten

      Was hat denn eigentlich die Seelen ihres Vaters Gott vergessen lassen und bewirkt, daß sie, obgleich Teile aus jener Welt und gänzlich Jenem angehörig, ihr eigenes Wesen sowenig wie Jenen mehr kennen? Nun, der Ursprung des Übels war ihr Fürwitz, das Eingehen ins Werden, die erste Andersheit, auch der Wille sich selbst zu gehören. An dieser ihrer Selbstbestimmung hatten sie, als sie denn in die Erscheinung getreten waren, Freude, sie gaben sich reichlich der Eigenbewegung hin, so liefen sie den Gegenweg und gerieten in einen weiten Abstand: und daher verlernten sie auch daß sie selbst von dort oben stammen; wie Kinder die gleich vom Vater getrennt und lange Zeit in der Ferne aufgezogen werden, sich selbst wie ihren Vater nicht mehr kennen. Da die Seelen nun sich selbst nicht und Jenen nicht mehr sahen, achteten sie sich selbst gering aus Unkenntnis ihrer Herkunft, achteten aber das Andere hoch, hatten vor allem mehr Respekt als vor sich selbst, waren von dem Andern hingerissen, staunten es an, hängten sich daran, und so rissen sie sich soweit als möglich los von dem, dem sie geringschätzig den Rücken gekehrt hatten. Somit ergibt sich, daß der Grund für das gänzliche Vergessen jenes Oberen die Hochachtung vor dem Irdischen und die Mißachtung ihrer selbst ist. Denn ein Wesen, das etwas bewundert und ihm nachjagt, gesteht eben durch diese Bewunderung und dies Nachjagen ein, ihm unterlegen zu sein; indem es sich aber selbst für geringer schätzt als die Dinge die da werden und vergehen, indem es sich für unwerter und sterblicher als alle die Dinge hält die es hochschätzt, kann es niemals den Gedanken von Gottes Wesen und Kraft fassen.

      Es muß also gegenüber Menschen in dieser Verfassung eine zwiefache Beweisführung statthaben, wenn man sie auf den umgekehrten Weg, zum Ersten hin kehren und hinaufführen will bis zum Höchsten, dem Einen und Ersten. Und welches sind diese beiden? Die eine zeigt den Unwert dessen was der Seele jetzt wert ist; sie werden wir an anderer Stelle ausführlicher geben. Die andere belehrt die Seele und ruft ihr ins Gedächtnis, wie hoch sie ihrer Herkunft und ihrem Werte nach steht; und sie geht jener anderen vorauf, ihre deutliche Entwicklung wird auch jene klären; von der wollen wir jetzt handeln, denn sie berührt sich unmittelbar mit dem zu erforschenden Gegenstand und fördert jene andere. Denn das was forscht ist ja die Seele und sie muß zur Erkenntnis kommen welchen Wesens sie ist, die da forscht, damit sie zuvor von sich selber feststellen kann ob sie die Fähigkeit hat solche Dinge zu erforschen, ob sie ein Auge hat von der Art sie zu erblicken, und ob überhaupt dies Forschen sie angeht. Denn wenn die Gegenstände ihr fremd sind, wozu dann das Forschen? Sind sie ihr aber verwandt, so geht es sie an und sie vermag sie auch zu finden.

      [2]So bedenke denn also erstlich jede Seele dies, daß sie selbst es ist die alle Lebewesen geschaffen hat und ihnen Leben einhauchte, welche die Erde nährt und welche das Meer, die in der Luft sind und die göttlichen Gestirne am Himmel; daß sie die Sonne und sie unsern gewaltigen Kosmos geschaffen hat, sie ihn formte, sie ihn in bestimmter Ordnung kreisen läßt; und daß sie das alles tut als eine Wesenheit die verschieden ist von den Dingen die sie formt, die sie bewegt und lebendig macht: daß sie notwendig wertvoller ist als diese, denn sie werden oder vergehen, je wie die Seele sie verläßt oder ihnen das Leben dargibt, sie selbst aber ist immerdar weil sie ‘sich selbst nicht verläßt’.

      Auf welche Weise sie aber das Leben spendet im gesamten All wie bei den Einzelwesen, das mache sie sich folgendermaßen klar. Sie möge betrachten die große Seele, sie die selber auch Seele ist, und keine kleine, und dieses Betrachtens wert geworden ist wenn sie sich vom Trug und dem was die übrigen betört frei gemacht hat in einem Zustand der Stille; stille sei ihr nicht nur der Leib der sie umgibt, die brandende Flut des Körpers, sondern überhaupt die ganze Umwelt, es ruhe die Erde, es ruhe Meer Luft und der Himmel selbst sei ohne Bewegung (?). Dann stelle sie sich vor, wie von allen Seiten in den stillstehenden Himmel die Seele gleichsam von außen einströmt und sich ergießt und von überall her eindringt und hineinleuchtet; so wie eine dunkle Wolke Sonnenstrahlen, die sie mit ihrem Licht treffen, leuchten machen und ihr einen goldstrahlenden Anblick geben: so hat auch die Seele als sie in den Leib des Himmels eintrat, ihm Leben gewährt, ihm Unsterblichkeit gewährt, ihn der unbewegt lag auferweckt. Und er, durch die vernunftvolle Leitung der Seele in ewige Bewegung versetzt, wurde ein ‘glückseliges Lebewesen’. So erhielt der Himmel seine Würde erst als die Seele sich in ihn einsiedelte, welcher ehe die Seele kam toter Körper war, Erde und Wasser, oder vielmehr Finsternis des Stoffes, das Nichtseiende und ‘was den Göttern verhaßt ist’ wie es irgendwo heißt.

      Noch klarer und deutlicher wird der Seele Kraft und Wesen, wenn man nur hierbei seine Gedanken darauf richtet, in welcher Weise sie den Himmel umfaßt und durch ihren eigenen Willen führt. Seiner ganzen Ausdehnung nach soweit er reicht, hat sie sich ihm dargegeben und in jedem Abstande, sei er groß oder klein, ist er beseelt, wobei die körperliche Masse anders und anders gelegen ist, das eine Stück hier das andere dort befindlich, die einen am entgegengesetzten Weltort, die andern sonst durch Abstand voneinander getrennt; die Seele aber ist mitnichten so beschaffen, sie zerstückt sich nicht in Teile und bringt dann das Einzelding mit einem Seelenstück zum Leben, sondern alles lebt vermöge der ganzen Seele, sie ist ganz allerwärts zugegen, dem Vater der sie erzeugte darin es gleichtuend, daß sie Eines und daß sie überall ist. Durch ihre Kraft also ist der Himmel, welcher ein Vieles, hier und dort Verschiedenes ist, ein Eines, vermöge der Seele ist unser Kosmos ein Gott; so ist auch die Sonne ein Gott weil sie beseelt ist, und die andern Gestirne, und wir, wenn wir denn etwas sind, sind es aus diesem Grunde, denn ‘Leichen gehören vor die Türe geworfen mehr noch als Mist’. Sie also, welche Göttern Ursache daß sie Götter sind, muß notwendig eine Gottheit sein ehrwürdiger als jene. Aber auch unsere Seele ist von