Von den alten Denkern haben demnach diejenigen die sich besonders an die Lehren des Pythagoras und seiner Nachfolger anschlossen, sich an diese Wesenheit (das Eine) gehalten; allerdings bildeten nur einige die Lehre in ihren Schriften durch, die andern legten sie nicht in Schriften sondern in nicht aufgeschriebenen Unterredungen dar oder ließen sie überhaupt unbeachtet.
[10]Daß man also den Sachverhalt so anzunehmen hat, daß das jenseits über dem Seienden Liegende das Eine ist (und zwar von solcher Beschaffenheit wie unsere Darlegung wollte, soweit es möglich war über derartige Gegenstände etwas anzudeuten) und daß dann das Seiende und der Geist folgt und das Dritte die Wesenheit der Seele ist, das ist nunmehr dargelegt. Wie nun in der Welt diese drei genannten Wesenheiten vorhanden sind, so, muß man annehmen, sind sie auch in uns vorhanden; ich meine nicht in uns als Sinnendingen, denn jene Prinzipien sind transzendent, sondern in uns sofern wir außerhalb des Sinnlichen sind, ‘außerhalb’ in dem Sinne wie jene oberen Wesenheiten außerhalb des Weltalls sind; so ist es auch beim Menschen, in dem Sinne wie Plato vom ‘inneren’ Menschen spricht. So ist denn auch unsere Seele ein Göttliches und höheren Wesens, so beschaffen wie das Gesamtwesen Seele; zu ihrer Vollendung aber gelangt die Seele welche den Geist in sich hat; der Geist aber scheidet sich in einen welcher denkt und einen welcher das Denken verleiht. Dies Denkende also in der Seele, welches zu seinem Denken keines leiblichen Werkzeugs bedarf, sondern seine eigene Wirksamkeit ganz im Reinen hält (denn nur so kann es überhaupt rein denken), darf man wohl ohne fehlzugehen als Transzendentes, mit dem Leibe Unvermischtes im ersten geistigen Bereich ansetzen. Denn wir dürfen nicht nach einem Ort suchen auf dem wir es sich gründen lassen, sondern müssen es außerhalb allen Raumes setzen; denn nur dann kann es das an sich Seiende, das außerhalb und unstofflich ist, erfassen, wenn es rein für sich ist und nichts von der Leibeswesenheit Ausgehendes an sich trägt. Deshalb heißt es auch vom All daß der Gott die Seele ‘auch noch außen’ um es legte, womit er auf den Teil der Seele hinweist der im Geistigen verharrt; bei uns aber sagt er, dies nur andeutend, daß er die Seele ganz oben, im Schädel ansiedelte. So meint auch die Mahnung zur Abtrennung nichts Räumliches (der obere Seelenteil ist ja seinem Wesen nach abgetrennt), sondern daß man sich durch Nichthinabneigen, also mit den Vorstellungen vom Leibe trennt und ihm fremd wird, vielleicht daß einer so auch die übrige Seele hinaufführen, auch das mit nach oben tragen könnte, was von der Seele hier unten angesiedelt ist, welches allein Schöpfer und [11]Bildner des Leibes ist und sich mit ihm zu beschäftigen hat. Da nun die denkende Seele sich mit den gerechten und schönen Dingen beschäftigt und ihr Nachdenken fragt ob dies ein gerechtes, jenes ein schönes ist, so muß es notwendig auch ein fest stehendes Gerechtes geben, von dem aus dies Nachdenken in der Seele überhaupt zustande kommt; denn wie könnte sie es sonst ermessen? Da nun ja die Seele über diese Dinge bald nachdenkt bald aber auch nicht, so muß nicht der Geist, welcher über das Gerechte nachdenkt, sondern der es immer in sich hat, in uns sein; also auch der Urgrund und die Ursache des Geistes, Gott; nicht als wäre er geteilt in uns; sondern indem er verharrt und nicht im Raume ist, zeigt sich anderseits in der Vielheit bei jedem, der ihn aufzunehmen vermag, gewissermaßen ein zweiter Er, so wie auch der Kreismittelpunkt für sich ist und doch jeder Radius des Kreises einen Punkt in jenem liegen hat zu dem dann die Linien das Individuelle hinzufügen; mit einer solchen Stelle in uns berühren auch wir Ihn, sind mit ihm vereinigt und verknüpft, ja haben in ihm unser Fundament, soweit wir nach dort oben gerichtet sind.
[12]Aber wie kommt es daß wir eines so erhabenen Besitzes gar nicht innewerden, sondern dies herrliche Vermögen die meiste Zeit ruhen lassen, ja in manchen Fällen überhaupt nicht betätigen? Jene Wesenheiten in uns üben ewig ihre eigene Wirksamkeit, der Geist und das vor dem Geist Liegende, ewig in sich Ruhende; und in diesem Sinne heißt auch die Seele das ‘ständig Bewegte’. Nicht alles nämlich, was in der Seele ist, wird deshalb ohne weiteres von uns wahrgenommen, sondern es tritt in ‘uns’ erst ein wenn es in die Wahrnehmung geht; wenn dagegen ein einzelner Seelenteil an seiner Tätigkeit dem Wahrnehmungssinn keinen Anteil gibt, so ist diese Tätigkeit noch nicht bis zur gesamten Seele durchgedrungen; folglich wissen ‘wir’ noch nicht davon, denn der Wahrnehmungssinn gehört zu uns, ‘wir’ sind nicht ein Teil der Seele sondern die ganze. Da ferner jedes der Seelenvermögen immer lebendig ist, so muß es für sich selbst immer die ihm eigene Tätigkeit ausüben; das Wissen aber darum ergibt sich erst, wenn ein Mitteilen und Wahrnehmen davon zustande kommt. Mithin muß man, wenn von dem so in der Seele Vorhandenen eine Wahrnehmung zustandekommen soll, eben den Wahrnehmungssinn nach innen wenden und ihn dorthin seine Aufmerksamkeit richten lassen. Gleich wie jemand, der auf eine Stimme lauscht, die er hören möchte, sich allen anderen Stimmen verschließt und sein Ohr horchen läßt auf den Laut erwünschter als alles was er eben hört, ob er nicht endlich nahe, so gilt es auch hier, die sinnlichen Laute fortzutun, es sei denn soweit ein Zwang vorliegt, und das Wahrnehmungsvermögen der Seele zu bewahren rein und bereit zu hören die Töne von oben.
Entstehung und Ordnung der Dinge nach dem Ersten
Das EINE ist alles und doch kein einziges, denn der Ursprung von allem ist nicht alles, sondern alles ist aus Ihm (?), da es zu ihm gleichsam hinaufgeeilt ist, oder besser: es ist noch nicht bei ihm, sondern wird es sein. Aber wie kann es aus dem einfachen Einen kommen, da in diesem sich keinerlei Vielfältigkeit, keine Zusammenstückung von irgendetwas zeigt? Nun, eben deshalb weil nichts in ihm war, kann alles aus ihm kommen; gerade damit das Seiende existieren könne, ist Jener selbst nicht Seiendes, ist aber dessen Erzeuger. Diese vergleichsweise so genannte Zeugung ist ja die ursprüngliche; da Jenes von vollkommener Reife ist (es sucht ja nichts, hat nichts und bedarf nichts), so ist es gleichsam übergeflossen und seine Überfülle hat ein Anderes hervorgebracht. Das so Entstandene aber wendete sich zu Jenem zurück und wurde von ihm befruchtet, und indem es entstand, blickte es auf Jenes hin; und das ist der GEIST. Und zwar brachte sein Hinstehen zu Jenem das Seiende hervor, sein Schauen zu Jenem den Geist; da er nun zu Jenem hinstand um es zu schauen, wird er Geist und Seiendes ineins. Da dieser ein Abbild von Jenem ist, tut er das Gleiche wie Jenes, indem er Vermögen in Fülle ausschüttet; und dies ist ein Bild von ihm, so wie er seinerseits ein Bild dessen ist, was vor ihm sein Vermögen ausgeschüttet hatte (?). Und diese aus der Wesenheit des Geistes hervorgehende Wirksamkeit ist die SEELE; sie ist das geworden indem jener beharrte, wie ja auch der Geist wurde indem das vor ihm beharrte. Die Seele dagegen schafft nun ohne zu beharren, sie zeugt vielmehr ihr Nachbild indem sie sich bewegt. Solange sie zu dem hinaufblickt aus dem sie entstand, erfüllt sie sich mit ihm; aber wenn sie fortschreitet zu einer andern, entgegengesetzten Richtung, so zeugt sie als Abbild ihrer selbst die Wahrnehmungsseele