Wir sind aber im höheren Sinne, wenn wir uns zu ihm hinrichten, unser Heil liegt dort, nur ihm fern sein bedeutet Sein geringeren Grades. Dort kann die Seele der Übel enthoben ausruhen, denn sie ist zu dem Ort hinaufgeeilt der rein von allem Übel ist; dort denkt sie, dort ist sie ohne Affektionen. Dort ist auch erst ihr wahrhaftes Leben; denn das jetzige Leben ohne Gott ist nur ein Nachhall von Leben, der jenem Leben nachahmt, aber dort zu leben ist wirkende Kraft des Geistes, und aus der wirkenden Kraft erzeugt es in der geruhigen Berührung mit Jenem die Götter, es erzeugt die Schönheit, erzeugt die Gerechtigkeit und die Tugend: davon wird die Seele schwanger wenn sie von Gott befruchtet wird. Jenes ist ihr Urgrund und Ziel, Urgrund weil sie von dort, und Ziel weil das Gute dort, weil sie dort einmal angelangt wieder das wird was sie eigentlich war; denn das Leben hienieden unter den Erdendingen ist Straucheln, Verbannung, ‘Entfiederung’.
Daß aber dort oben das Gute ist, das erweist auch das Verlangen (Eros) welches der Seele (Psyche) eingeboren, weshalb denn auch in Gemälden und Sagen Eros mit den Psychen verbunden ist. Denn da die Seele etwas anderes ist als Gott, aber aus Gott stammt, verlangt sie nach ihm mit Notwendigkeit. Solange sie droben ist, ist sie erfüllt vom himmlischen Eros, denn sie ist dort oben eine himmlische Aphrodite, hier unten aber wird sie, gleichsam zur Hure entartet, zur gemeinen Aphrodite. In der Tat ist jede Seele eine Aphrodite; das ist auch der verborgene Sinn der Aphroditegeburt und des Eros der mit ihr geworden ist. So verlangt also die Seele, solange sie sich in ihrem wesensgemäßen Zustand befindet, nach Gott und will mit ihm eins werden, mit einem edlen Verlangen wie eine edle Jungfrau ihren Vater liebt. Wenn sie aber nach ihrem Eintritt in die Werdewelt sich gleichsam durch das Treiben der Freier betören läßt, so wandelt sich ihre Liebe in der Ferne vom Vater in eine andere, irdische, und sie erliegt der Schande. Lernt sie aber die Schandtaten dieser Welt wiederum hassen, läutert sich vom Irdischen und macht sich wieder auf den Weg zum Vater, dann ist ihr wohl.
Wem solches Erlebnis unbekannt ist, der ermesse von hier unten aus nach diesen irdischen Liebesregungen, was es bedeutet das zu erlangen wonach man am meisten verlangt und bedenke dann, daß diese Gegenstände irdischer Liebe sterblich sind und Unheil bringen und diese Liebe nur auf Nachbilder geht, daß sie sich wandeln, weil sie nicht der Gegenstand wahrhaftiger Liebe sind, nicht unser wahrhaft Gutes und nicht das was wir suchen; daß dort oben dagegen das wahrhaft und eigentlich Geliebte ist, mit dem auch eine wirkliche Vereinigung möglich ist indem man Teil an ihm gewinnt und es wahrhaft besitzt, nicht nur es von außen mit dem Fleisch umfängt. Wer es aber geschaut hat, der weiß was ich sage, daß nämlich die Seele alsdann, indem sie herannaht und endlich anlangt und an Ihm Teil erhält, ein neues Leben empfängt und aus diesem Zustand heraus erkennt, daß hier der Spender des wahrhaften Lebens bei ihr ist und sie keines Dinges mehr bedarf, daß es vielmehr gilt alles andere von sich abzutun und in ihm allein stille zu stehen, es zu werden in reinem Alleinsein, alles übrigen uns entschlagend was uns umkleidet. Daher wir denn trachten von hier wegzugelangen und murren über die Fesseln die uns an das Andere binden, um endlich mit unserm ganzen Selbst Jenes zu umfassen und keinen Teil mehr in uns zu haben mit welchem wir nicht Gott berühren. So ist es denn dort oben vergönnt Jenen und sich selbst zu schauen soweit Schauen dort das Rechte ist, sich selbst von Glanz erhellt, erfüllt von geistigem Licht, vielmehr das Licht selbst, rein, ohne Schwere, leicht, ja Gott geworden – nein: seiend; entzündet in diesem Augenblick, wenn man aber wieder schwer wird gleichsam erlöschend.
[10]Weshalb bleibt denn nun die Seele nicht dort oben? Nun, weil sie noch nicht gänzlich herausgelangt ist. Es wird aber eine Zeit kommen wo man ununterbrochen schauen wird ohne daß der Leib einen noch irgend belästigt. – Diese Belästigung trifft übrigens nicht das Schauende in uns, sondern das andere welches, während das Schauende die Schau ruhen läßt, nicht ruhen läßt die Wissenschaft die in Beweisen und Argumenten und einem Selbstgespräch der Seele sich vollzieht; das Schauen aber und das Schauende ist nicht mehr Vernunft, sondern größer als Vernunft, vor der Vernunft und über der Vernunft, ebenso wie das Geschaute.
Wenn der Schauende nun dann, wenn er schaut, auf sich selbst schaut, wird er sich als einen so erhabenen erblicken, vielmehr er wird mit sich selbst als einem so erhabenen vereinigt sein und sich als solchen empfinden, denn er ist dann einfach geworden. Das Geschaute aber (wenn man denn das Schauende und das Geschaute zwei nennen darf und nicht vielmehr beides eines) sieht der Schauende in jenem Augenblick nicht – die Rede ist freilich kühn –, unterscheidet es nicht, stellt es nicht als zweierlei vor, sondern er ist gleichsam ein anderer geworden, nicht mehr er selbst und nicht sein eigen, ist einbezogen in die obere Welt und Jenem Wesen zugehörig, und so ist er Eines indem er gleichsam Mittelpunkt mit Mittelpunkt berührt. Werden doch die Mittelpunkte von irdischen Kreisen zu einem wenn sie zusammenfallen, und sind doch wieder zwei wenn sie getrennt sind; so sprechen wir auch gewöhnlich vom Einen als einem Unterschiedenen. Weshalb denn auch die Schau so schwer zu beschreiben ist; denn wie kann einer von Jenem als einem Unterschiedenen Kunde geben, da er es während ers schaute, nicht als ein Verschiedenes, sondern als mit ihm eines gesehen hat? Diesem Umstand will auch die Verpflichtung der irdischen Geheimweihen ‘nicht an die Ungeweihten preiszugeben’, Ausdruck geben; eben weil das Göttliche nicht preisgebbar ist, untersagt sie, es einem andern bekanntzugeben, es sei ihm denn schon selbst beschieden gewesen es zu sehen.
Da es nun nicht zwei waren, sondern er selbst, der Schauende, mit dem Geschauten eins war (es ist also eigentlich nicht ‘Geschautes’, sondern sozusagen ‘Geeintes’), so trägt er, wenn er sich nur an seinen Zustand im Augenblick der Vereinigung erinnert, ein Abbild von Jenem in sich. In diesem Zustand war er aber auch in sich selbst Eines; er hatte in sich keine Geschiedenheit zu sich selbst weder in seinen andern Funktionen (es bewegte sich in ihm nichts, kein Zorn, keine Begierde war in ihm als er in der Höhe war) – aber auch kein Begriff noch irgendein Denken; ja überhaupt sein Selbst war nicht da, wenn denn auch das gesagt sein soll, sondern gleichsam hinaufgerissen, oder vielmehr in ruhiger Gotterfülltheit ist er in die Abgeschiedenheit eingetreten, in einen Zustand der Bewegungslosigkeit, und er wird in seinem