Weil denn das was wir suchen, Eines ist und wir den Urgrund aller Dinge ins Auge fassen wollen, nämlich das Gute und Erste, so dürfen wir uns auch nicht von der Region des Ersten entfernen und zum Allerletzten herabfallen, sondern es gilt im Hinstreben nach dem Ersten sein Ich von den Sinnendingen, welche das Letzte sind, hinaufzuführen, losgelöst zu sein von jeglicher Schlechtigkeit, da man ja zum Guten eilt, hinaufzusteigen zu dem Uranfang im eigenen Selbst und aus der Vielheit eines Eines zu werden, da man Schauer des Ursprungs und des Einen werden soll. So gilt es also Geist zu werden und seine Seele dem Geist anzuvertrauen und unter ihn zu breiten, damit sie das was jener sieht in voller Wachheit aufnehme, und so vermöge des Geistes das Eine zu schauen, ohne irgend einen Zusatz von Sinneswahrnehmung, ohne irgendetwas aus ihrem Bereich in ihn hineinzulassen, sondern mit reinem Geist auf das Reinste zu schauen, mit der obersten Schicht des Geistes. Wenn nun der zur Schau einer so herrlichen Wesenheit Gerüstete Größe oder Gestalt oder Masse an ihr sich vorstellt, so ist ihm nicht der Geist Führer zu seiner Schau; denn es liegt mitnichten im Wesen des Geistes derartiges zu sehen, sondern so wirkt sich die Sinneswahrnehmung aus und die bloße Meinung, welche aus der Sinneswahrnehmung folgt. Statt dessen muß man vom Geist die Ankündigung dessen was er vermag entgegennehmen. Es vermag aber der Geist zu sehen entweder das vor ihm Liegende oder das ihm selbst Angehörende oder das aus ihm Hervorkommende. Rein sind schon die Dinge die in ihm sind, noch reiner und einfacher aber die Dinge vor ihm, oder richtiger das Ding vor ihm.
Es ist also Jenes auch nicht Geist, sondern vor dem Geiste. Denn der Geist ist ETWAS was von den seienden Dingen; Jenes aber ist nicht ein Etwas sondern vor jeglichem; und auch kein SEIENDES, denn das Seiende hat zur Form gleichsam die Form des Seienden, Jenes aber ist ohne, auch ohne geistige Geformtheit. Da nämlich die Wesenheit des Einen die Erzeugerin aller Dinge ist, ist sie keines von ihnen. Sie ist also weder ein Etwas noch ein WIEBESCHAFFEN noch ein WIEVIEL, weder Geist noch Seele; es ist kein BEWEGTES und wiederum auch kein RUHENDES, nicht im RAUM nicht in der ZEIT, ‘sondern das Eingestaltige als solches’; oder vielmehr ohne Gestalt da es vor jeder Gestalt ist, vor Bewegung und vor Ständigkeit, denn die haften am Seienden und machen es zu einem Vielen. Aber warum ist es denn, wenn nicht bewegt, doch nicht ruhend? Weil nur das Seiende notwendig eines von beiden (oder beides) sein muß; und weil das Ruhende vermöge der Ständigkeit ruhend ist, nicht mit der Ständigkeit identisch, sie müßte dem Einen dann also akzidentiell anhaften und es bliebe nicht mehr einfach. Denn wenn wir das Eine als die Ursache bezeichnen, so bedeutet das auch nicht ein Akzidentielles von ihm aussagen, sondern von uns, daß wir nämlich etwas von ihm her haben, während es selbst in sich verharrt. Ja selbst ‘jenes’ dürften wir es im eigentlichen Sinne nicht nennen, wenn wir genau reden wollen, sondern es will das nur die Auslegung dessen sein, was wir selbst, die wir das Eine gleichsam von außen umspielen, dabei erleben, indem wir ihm bald nahe bleiben, bald ganz zurückgeworfen werden durch die Schwierigkeiten die ihm anhaften.
[4]Es beruht aber diese Schwierigkeit hauptsächlich darauf, daß man des Einen gar nicht auf dem Wege des wissenschaftlichen Erkennens, des reinen Denkens wie der übrigen Denkgegenstände inne werden kann, sondern nur vermöge einer Gegenwärtigkeit welche von höherer Art ist als Wissenschaft. Die Seele erleidet ja einen Abfall vom Einssein und ist nicht völlig eines, wenn sie die wissenschaftliche Erkenntnis einer Sache gewinnt; denn Wissenschaft ist Begriff, der Begriff aber ist ein Vieles; so verfehlt sie das Einssein da sie in Zahl und Vielheit gerät. So muß sie also über die Wissenschaft hinauseilen, darf in keiner Weise aus dem Einssein heraustreten, sondern muß ablassen von der Wissenschaft und dem Wißbaren, ja von jedem andern Gegenstand der Schau wenn er auch schön sein mag; denn alles Schöne ist später als das Eine und kommt von ihm so wie alles Tageslicht von der Sonne. Darum läßt sich von ihm ‘weder reden noch schreiben’, wie es heißt: sondern wir reden und schreiben nur davon, um zu ihm hinzuleiten, aufzuwecken aus den Begriffen zum Schauen und gleichsam den Weg zu weisen dem der etwas erschauen will; denn nur bis zum Wege, bis zum Aufbruch reicht die Belehrung, die Schau muß dann selbst vollbringen wer etwas zu sehen gewillt ist.
Wenn aber jemand nicht zum Schauen gelangt, und seine Seele des Glanzes dort oben nicht inne wird, er nicht erschüttert wird von einer inneren gleichsam erotischen Erschütterung beim Schauen wie ein Liebender der ausruht im Geliebten, wohl nimmt er wahres Licht auf und erleuchtet die ganze Seele, er ist zwar ganz in die Nähe des Einen gelangt, aber beim Aufstieg ist er noch durch eine Last bedrückt die der Schau hinderlich wurde, er stieg nicht ‘allein’ hinauf sondern nahm etwas mit was ihn von Jenem trennen mußte oder hatte sich noch nicht zu einer Einheit gesammelt; denn Jenes (Jener, Gott) ist gewiß niemandem fern, und doch ist es allen fern, es ist gegenwärtig und doch nur gegenwärtig für diejenigen, welche es aufnehmen können und gerüstet sind daß sie zu ihm passen und es gleichsam anfassen und berühren können vermöge der Wesensähnlichkeit; und wenn ein solches vermöge der Kraft, die in Jenem wirkt und den von Ihm stammenden Wesen verwandt ist, sich in dem Zustand befindet wie damals als er von ihm ausging, dann erst vermag er es zu erblicken in der Weise wie Es seinem Wesen nach schaubar ist – wenn also jemand noch nicht dort ist sondern noch draußen, wegen der genannten Hindernisse oder auch aus Mangel an einer Beweisführung, die ihn anleitet und ihm Überzeugung von Jenem zu schaffen weiß, so möge er wegen jener andern Hindernisse sich selbst die Schuld zurechnen und versuchen von allem zu lassen und ‘allein’ zu sein; soweit er aber nicht überzeugt ist, weil er in der Beweisführung zurückbleibt, möge er folgendem nachdenken.
[5]Wer da glaubt daß das Seiende durch Zufall und Ungefähr regiert und von körperlichen Ursachen zusammengehalten wird, der ist ferne davon, einen Begriff von Gott oder dem Einen zu fassen, und unsere Darlegung richtet sich nicht an solche, sondern an diejenigen welche eine andere Wesenheit neben den Körpern annehmen und auf die Seele zurückgreifen. Diese nun müssen das Wesen der Seele genau bedenken, vor allem daß sie vom Geiste stammt und zur Tugend nur gelangt, indem sie Anteil erhält an der Vernunft die von ihm herkommt. Darauf sollen sie den Geist erfassen lernen als etwas anderes als das was in uns denkt (das sogenannte Denkvermögen) und einsehen daß bereits die Denkakte gleichsam auseinandertreten und in Bewegung sind, und daß die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Seele befindliche Vernunftinhalte sind, die dann als solche in Erscheinung treten können weil der Geist als Verursacher der Erkenntnisse in die Seele eingetreten ist. Und hat man so den Geist gesehen, gleichsam sinnlich und greifbar, wie er über der Seele thront als ihr Vater, und ist die geistige Welt, so muß man ihn fassen als stillstehende, unerschütterte Bewegung, welcher alles in sich trägt und alles ist, eine Vielheit die unscheidbar ungeschieden und doch wieder geschieden ist; denn weder ist er geschieden wie die Gedanken welche dann einzeln gedacht werden, noch ist das was in ihm ist ineinander verflossen, denn jedes einzelne tritt gesondert aus ihm hervor so wie auch in den Wissenschaften, wo alle Erkenntnisse im Unteilbaren beieinanderliegen, doch jede einzelne von ihnen gesondert ist.
Diese Vielheit also die doch ineins ist, die geistige Welt, ist zwar nahe dem Ersten (und die Untersuchung zeigt, daß sie notwendig sein muß, so wahr notwendig ist, daß schon die Seele existiere, das Geistige aber der Seele übergeordnet sei): aber diese geistige Welt ist nicht das Erste, da sie nicht Eines noch einfach ist; einfach aber muß das Eine, der Urgrund aller Dinge sein. Das nun also, was vor dem im Seinsbereich Ehrwürdigsten ist, wenn denn etwas vor dem Geist sein muß, welcher Eines sein möchte, es aber nicht ist, sondern nur einsartig (und einsartig ist er weil ihm das Denken ja gar nicht zersplittert ist, sondern er ist noch wahrhaft bei sich selbst und zerteilt sich nicht da er ganz nahe unter dem Einen steht, er hat sich nur erkühnt in gewisser Weise von dem Einen abzustehen) – das Wunder also, das vor diesem Geist liegt, das Eine (es ist nicht Seiendes, sonst würde auch hier das Eine nur von einem andern ausgesagt; ihm gebührt in Wahrheit kein Name, wenn mans denn aber benennen muß so wird man es passend gemeinhin das Eine nennen, freilich nicht als sei es sonst etwas und dann erst Eines) ist darum so schwer zu erkennen, und wird eher aus dem von ihm Gezeugten erkannt, dem Sein; … sein Wesen ist derart, daß es Quell des Vollkommensten ist, die Kraft welche das Seiende erzeugt, wobei es aber in sich beharrt und nicht vermindert wird, auch nicht in den aus ihm entstehenden Dingen ist, denn es ist vor diesen; wir nennen es das Eine, notgedrungen, weil wir es einander bezeichnen müssen, wir wollen mit diesem Namen auf die Vorstellung des Ungeteilten hinleiten und die Seele zur Einheit führen; wir meinen aber ‘Eines’ und ‘ungeteilt’ nicht in dem Sinne wie wir es beim Punkt oder der Zahl 1 meinen;