Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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näher bei ihm verweilt, sozusagen in notwendiger Folge alle andern heran; so zeigt der Mathematiker in der geometrischen Analyse, daß dieser eine Satz alle früheren in sich enthält, durch die eben die Analyse vollzogen wird, aber auch die weiteren Sätze die aus ihm hervorgehen.

      Aber diese Fähigkeiten der Seele hält man wegen der menschlichen Schwachheit für unglaubwürdig; sie werden durch den Leib verdunkelt; in der oberen Welt aber ist das alles und jedes einzelne leuchtend klar.

       9

      Das Gute (das Eine)

      Alles Seiende ist durch das Eine ein Seiendes, sowohl das was ein ursprünglich und eigentlich Seiendes ist wie das was nur in einem beliebigen Sinne als vorhanden seiend bezeichnet wird. Denn was könnte es sein, wenn es nicht eines ist? Da ja wenn man ihm die Einzahl, die von ihm ausgesagt wird, nimmt, es nicht mehr das ist was man es nennt. Denn es kann kein Heer sein wenn es nicht eines sein soll, und kein Reigen und keine Herde, ohne Eines zu sein. Auch kein Haus oder Schiff, wenn sie nicht die Einheit haben, denn das Haus, das Schiff sind eines, und wenn sie das einbüßen dann ist das Haus kein Haus mehr und das Schiff kein Schiff; die zusammenhängenden Größen also würden nicht existieren, wenn das Eine ihnen nicht beiwohnte; wandeln sie doch wenn man sie teilt, ihr Sein insoweit als sie das Eine verlieren. Ebenso ist es ferner mit den Leibern der Pflanzen und Tiere, jeder von ihnen ist ein Eines, und wenn sie dieser Einheit entfliehen indem sie in eine Vielheit zerbrochen werden, so verlieren sie ihr bisheriges Wesen und sind nicht mehr das was sie waren; indem sie dann etwas anderes geworden, sind sie aber auch das nur soweit sie Eines sind. Aber auch die Gesundheit beruht auf der Zusammenordnung des Leibes zu einer Einheit, und die Schönheit auf der Obmacht des Einen über die Teile; und auch die Tugend der Seele auf ihrer Einswerdung zu einem Einen, einer einheitlichen Übereinstimmung.

      Müssen wir nun, da ja die Seele alle Dinge zur Einheit bringt indem sie sie schafft bildet formt zusammenfügt, bei der Seele angelangt haltmachen und ihr zuschreiben daß sie das Eine dargibt und sie das Eine ist? Oder muß man vielmehr, so wie sie die andern Dinge den Leibern dargibt ohne das zu sein was sie mitteilt wie z. B. Gestalt und Form, sondern diese Dinge als etwas von sich Verschiedenes gibt, so auch annehmen daß sie, wenn sie auch das Eine mitteilt, es doch als etwas von sich verschiedenes gibt, daß sie das Einzelding zu Einem macht indem sie auf das Eine hinblickt, so wie sie durch Hinblick auf den ‘Menschen’ ein Wesen zu einem Menschen macht, indem sie zugleich mit dem Menschen auch das in ihm liegende Eine mitsetzt? Denn jedes Ding, das als Eines bezeichnet wird, ist gerade so sehr Einheit wie es sein eigentliches Wesen in sich trägt; ein geringeres Sein bedeutet also auch ein geringeres Einssein, und ein höheres ein höheres. So besitzt denn auch die Seele, obgleich sie verschieden vom Einen ist, das Eine entsprechend ihrem höheren und eigentlichen Sein doch in höherem Grade; jedoch ist sie nicht das Eine selber; denn die Seele ist eine, das Eine ist für sie nur eine Art Accidens, Seele und Eines sind zweierlei, wie Körper und Eines. So steht denn das Unzusammenhängende, z. B. ein Reigen, dem Einen am fernsten, das Zusammenhängende bereits näher, und noch näher die Seele, welche selber mit ihm in Gemeinschaft steht. Man könnte nun etwa darum, weil die Seele ohne Eines zu sein nicht Seele wäre, die Seele und das Eine zusammenfallen lassen; allein erstlich ist auch jedes andere Ding, was es ist, nur indem es zugleich Eines ist, und trotzdem ist das Eine von ihm verschieden, denn Leib und Eines sind nicht dasselbe sondern der Leib hat nur Teil am Einen; sodann ist aber auch die eine Seele doch ein Vieles (auch ohne daß sie aus Teilen bestehen müßte), denn es sind gar viele Kräfte in ihr, Denken, Streben, Wahrnehmen, welche erst durch das Eine so wie durch ein Band zusammengehalten werden. So führt also die Seele einem andern das Eine zu, wobei sie freilich selbst ein Eines ist; aber ihr widerfährt auch ihrerseits eben dies von einem andern.

      [2]Ist nun nicht allerdings für jedes einzelne Teil-Eine sein Sein und das Eine nicht identisch, für das gesamte Seiende dagegen und die gesamte Seinsheit seine Seinsheit, sein Seiendes und sein Einssein identisch? Dann hat also wer das Seiende ausgefunden hat, zugleich auch das Eine ausgefunden, und das Sein als solches ist dann das Eine als solches; z. B. wenn das Sein Geist ist, so ist dann auch das Eine Geist, indem der Geist primär seiend und primär eines ist; und indem er den andern Dingen am Sein Teil gibt, gibt er ihnen dann eben damit und in demselben Maße auch am Einen Teil. Wie sollte man das Eine denn auch anders bestimmen wenn nicht als Sein? Entweder ist es mit dem Seienden identisch (‘ein Mensch’ und ‘ein Mensch’ ist dasselbe). Oder es ist sozusagen nur eine Art Zahl des Einzeldinges, man spräche dann bei einem einzigen Ding in dem Sinne von einem wie man von zwei Dingen spricht. Wenn nun die Zahl zu den seienden Dingen gehört, so klärlich auch das Eine, und man müßte untersuchen, was es dann ist. Wenn aber die Zahl nur eine Funktion der Seele ist während sie im Zählen die Dinge durchgeht, dann würde es in der Wirklichkeit überhaupt kein Eines geben. Nun ergab aber unsere Darlegung, daß die Einzeldinge wenn sie das Eine verlieren, überhaupt nicht mehr existieren können. Wir müssen also zusehen ob das Eine und das Seiende beim Einzelding, und ob das Seiende überhaupt und das Eine identisch sind. Indessen wenn das Sein des Einzeldinges Vielheit ist, das Eine aber unmöglich Vielheit sein kann, so muß beides voneinander verschieden sein. Ist doch der Mensch Lebewesen, ist vernunftbegabt, besteht aus vielen Teilen, und all dies Viele wird erst durch jenes Eine zusammengehalten; so ist also ‘Mensch’ und ‘Eines’ etwas Verschiedenes, wenn denn jenes teilbar, dies unteilbar ist. Und weiterhin, das gesamte Seiende, welches alle seienden Dinge in sich hat, ist ja erst recht Vielheit, also vom Einen verschieden, welches es nur durch Anteilnahme und Teilhabe besitzt. Ferner besitzt das Seiende auch Leben, denn es ist doch nichts Totes; folglich ist das Seiende ein Vieles. Wenn aber das Seiende Geist ist, so ist es auch dann notwendig ein Vieles. Und erst recht, wenn es die Ideen in sich enthalten soll; denn die Idee ist nicht Eines sondern eher Zahl, sowohl die einzelne wie die Gesamtheit der Ideen, und also nur in dem Sinne Eines wie man es vom Kosmos sagen kann.

      Überhaupt aber ist das Eine ein Erstes, der Geist dagegen und die Ideen und das Seiende sind kein Erstes. Denn was die Ideen anlangt, so besteht jede einzelne aus Vielem, ist zusammengesetzt und insofern ein Späteres; denn das woraus ein Ding besteht ist früher als das Ding.

      Daß der Geist unmöglich das Erste sein kann, wird auch aus folgenden Erwägungen deutlich werden. Der Geist ist notwendig dem Denken hingegeben, und der Geist edelster Art, welcher nicht nach außen blickt, denkt notwendig das was vor und über ihm ist; denn damit daß er sich in sein eignes Selbst hineinwendet, wendet er sich zu seinem Ursprung. Und wenn der Geist sowohl das Denkende wie selber das Gedachte ist, so ist er zwiefältig und nicht einfältig, also nicht das Eine; wenn er dagegen auf ein Anderes blickt, so unbedingt auf ein Höheres, vor ihm Liegendes; oder wenn er schließlich sowohl auf sich selbst wie auf das Höhere blickt, so ist er auch dann erst ein Zweites. Und in der Tat muß man den Geist so ansetzen, daß er einerseits bei dem Guten, dem Ersten ist und auf Es hinblickt, anderseits aber bei sich selbst ist und sich selbst denkt, und zwar denkt er sich als Inbegriff alles Seienden. Er ist also weit entfernt das Eine zu sein, da er so vielschichtig ist.

      Somit kann also das Eine weder Alles sein, denn dann wäre es nicht mehr Eines, noch der Geist, denn dann wäre es wiederum alles da der Geist alles ist, noch auch das Seiende, denn [3]das Seiende ist alles. Was also mag dann das Eine sein und welches sein Wesen? Nun, es ist kein Wunder daß das nicht leicht zu sagen ist, wo es das schon beim Seienden und bei der Gestalt (Idee) nicht ist. Immerhin ergibt sich hier doch noch eine Erkenntnis, wenn sie in Gestalten einen Halt findet. In dem Maß aber wie die Seele ins Gestaltenlose vordringt, welches sie gänzlich unfähig ist zu erfassen weil sie nicht von ihm bestimmt, nicht mehr gleichsam von einem Stempel der voll reicher Vielfalt ist, geprägt wird, da gleitet sie aus und muß fürchten ein Nichts zu fassen; daher leidet sie unter solchen Gegenständen und steigt gern wieder hinab von ihnen allen, da sie an ihnen immer wieder versagt, bis sie beim Sinnlichen anlangt und hier auf dem Festen gleichsam sich erholt; so wie auch das Gesicht leidet an kleinen Gegenständen und sich dann gern auf große gerichtet findet. Entschließt sich aber die Seele sich rein für sich allein auf die Schau des Einen zu richten, dann sieht sie es indem sie mit ihm zusammen und Eines ist, und eben weil sie dann mit ihm Eines ist, glaubt sie noch gar nicht zu haben was sie sucht, weil sie von dem