Atemlose Spannung beherrschte den Augenblick dieses Wiedersehens nach drei Jahren. Zögernd ging Karl Herzog auf das Bett zu, und als er Andrés Hand ergriff, senkten sich dessen Lider.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte André leise.
»Das wäre eine lange Geschichte, und Dr. Behnisch hat mir ans Herz gelegt, dass ich das Gespräch nicht zu lange ausdehnen darf.«
»Ich habe viel Zeit«, sagte André. »Und es ist gut, dass ich mit Ihnen sprechen kann. Ich habe Ihnen manches zu sagen.«
»Ich Ihnen auch.«
Wer wollte nun beginnen? Sie tauschten einen langen Blick.
»Sie haben gewusst, dass Bob Sie hintergangen hat«, sagte André dann stockend.
»Ja, das habe ich gewusst.«
»Aber Sie haben nichts unternommen.«
»Weil Bébé mich darum bat.«
André presste die Lippen zusammen. »Bébé«, flüsterte er.
»Sie bat mich nicht um Bobs willen, sondern um Ihretwillen, André. Warum sind Sie einer Aussprache aus dem Wege gegangen?«
»Es hätte sich alles noch verschlimmert.«
»Gaben Sie sich auch Schuld an Bobs Ende?«
»Nein. Er sah keinen anderen Ausweg mehr. Er hatte sich zu tief in diese Affäre verstrickt, und dann wurde er noch erpresst. Ich habe lange gebraucht, um alles in Erfahrung zu bringen. Ich wollte Ihnen vorher nicht unter die Augen treten, und für Bébé sollte der Weg frei sein. Der Name Clermont konnte doch nur böse Erinnerungen in ihr wecken.«
»Ja, was man sich alles so einreden kann«, sagte Karl Herzog. »Auf den Gedanken, dass meine Tochter ganz anderer Meinung sein könnte, sind Sie wohl nicht gekommen?«
Er wunderte sich, dass er so sprechen konnte.
War er nicht immer im Zweifel gewesen, dass André irgendwie doch in diese Geschichte verstrickt sein könnte?
»Weiß Bettina, dass Sie hier sind?«, fragte André.
»Nein.«
Das wusste sie ja nun wirklich nicht. Er brauchte nicht gleich mit der ganzen Wahrheit herauszurücken. Diese Entschuldigung hatte er schon für sich.
»Ich wohnte in der Pension Rosengarten«, sagte André nun zusammenhanglos. »Dort habe ich etwas hinterlassen, was für Sie bestimmt ist.«
»Diesen Umschlag?«, fragte Karl Herzog. Er hatte ihn seiner Aktentasche entnommen.
André starrte ihn wie hypnotisiert an. »Mein Gott, wie kommen Sie dazu?«
»Ich habe ihn gefunden. Jetzt werde ich Ihnen alles erklären. André. Ich wohne auch in der Pension.«
Dann dauerte das Gespräch viel länger, als Dr. Behnisch erlaubt hätte, und der war entsetzt, als er gegen zwölf Uhr das Zimmer betrat und Karl Herzog immer noch vorfand.
»Keine Vorwürfe«, sagte der. »Dem Patienten geht es jetzt schon sehr viel besser.«
*
Poldi hatte Ricky nach dem Telefongespräch auch so einiges erklären müssen. Allerdings sagte er nichts über André.
Es war eine rein private Aufklärung, die Ricky zwar mit gemischten Gefühlen aufgenommen hatte, aber sie wurde dafür mit einem sehr zärtlichen Kuss entschädigt, der ihr ganz überraschend kam.
»Du bist ein sehr liebes Mädchen, Ricky«, sagte Poldi, »und ich hoffe, dass du auch an mir sympathische Züge entdecken wirst. Diese Arbeit im Lokal ist nichts für dich. Wir werden uns heute Abend eingehend darüber unterhalten.«
»Heute habe ich aber frei«, erwiderte sie schüchtern.
»Na, umso besser. Dann können wir uns ja ganz privat unterhalten. Komm zu mir.«
»Zu Ihnen?«, fragte sie beklommen.
»Da sind wir unter uns. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin kein Casanova. Ich habe dir etwas sehr Wichtiges zu sagen, und dann werde ich dir ein paar Vorschläge unterbreiten. – Okay?«
Er konnte es jetzt nicht ändern, sie in ihrer Verwirrung zurückzulassen. So auf die Schnelle konnte er nicht sagen, was ihn bewegte. Er musste jetzt zu seiner Verabredung mit Bettina. Diese Angelegenheit musste er doch ins Reine bringen, bevor er sich Zeit für sein Privatleben nehmen konnte.
Bettina wartete in ihrem Wagen. Er sah sie schon von Weitem, er parkte neben ihr.
»Geh in die Halle. Es könnte sein, dass man uns beobachtet«, sagte er.
Er wartete ein paar Minuten, bevor er ihr folgte, blickte sich um, aber er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.
»Warum hier?«, fragte Bettina, als er sich zu ihr setzte.
»Du wirst André aufsuchen«, erklärte er unverblümt.
»Nein«, widersprach sie.
»Nimm dein Herz in beide Hände, Bettina. Es muss einmal Klarheit geschaffen werden. Ich war gestern Abend mit Laila zusammen. Ehrlich gesagt, die ganze Nacht. Ich habe eine Menge von meinem eigenen Ich geopfert, um dieser Frau auf die Schliche zu kommen, da wirst du doch ein bisschen von deinem Stolz opfern können, um André einen Schritt entgegenzukommen.«
»Es ist nicht der Stolz, Poldi, es ist Angst«, sagte Bettina leise, und dann sprang sie plötzlich auf.
»Daddy, du bist hier?«, rief sie aus und eilte auf ihren Vater zu, der eben die Treppe herunterkam.
»Wieso bist du hier?«, fragte Karl Herzog überrascht, aber durchaus nicht verlegen.
»Ich habe mich mit Poldi getroffen. Was hast du gemacht?«
»Mit André gesprochen, mein Kleines. Und vielleicht solltest du das nun auch tun.«
»Poldi hat es auch gesagt. Aber –«, sie geriet ins Stocken und sah ihren Vater fragend an.
»Ich glaube nicht, dass du deine Gefühle an den Falschen verschwendet hast«, sagte er. »Für ihn waren die drei Jahre sicher genauso schlimm wie für dich. Ich habe ihm den Umschlag gebracht und den Inhalt mit seiner Erlaubnis gelesen. Glaube mir, es ist weniger schlimm, von einem Angestellten hintergangen zu werden, als seinen Bruder als charakterlosen Ganoven betrachten zu müssen. Wenn ich solch einen Bruder gehabt hätte, würde ich mich wohl auch verkrochen haben. Aber das ist nicht alles, Bébé.« Er legte den Arm um sie. »Du wirst doch jetzt nicht kapitulieren wollen, nachdem du so lange auf ihn gewartet hast.«
»Poldi wollte mir noch einiges erzählen«, sagte Bettina leise.
»Ich denke, dass André dir alles besser erzählen kann. Ich werde mit Poldi zum Essen gehen. Es tut mir leid, Kleines, aber wenn ich hungrig bin, kann ich nicht denken, und ich brauche geregelte Mahlzeiten.«
*
Das lange Gespräch mit Karl Herzog hatte André aber doch sehr erschöpft. Er hatte eine Spritze bekommen und war gleich eingeschlafen.
Zuerst wollte Dr. Behnisch Bettina nicht in das Zimmer lassen, aber dann erlaubte er es doch. Ihr Herz raste, als sie sich an sein Bett setzte, und das Gesicht betrachtete, das sie so sehr liebte. Sie wagte nicht, seine Hand zu berühren. Sie wagte kaum zu atmen.
Sie dachte zurück an den Tag, als er kam, an den ersten Blick, den sie mit ihm tauschte, und der ihr klarmachte, dass ihre Verlobung mit Bob ein Irrtum gewesen war.
André konnte nicht so schöne, vielversprechende Worte sagen wie sein Bruder. Wie überzeugend hatte Bob lügen können! Es schien unfassbar.
Wenn diese Arbeit beendet ist, werden wir heiraten, hatte Bob gesagt, und dabei hatte er eine andere Frau gehabt, die wohl nur darauf wartete, dass diese Arbeit beendet würde, damit sie davon profitieren konnte. Ja, so musste es gewesen sein. Der Name Clifford ließ