»Du musst mir versprechen, dass du nichts darüber schreibst, Isabel«, sagte Fee flehend.
»Ich sagte dir schon, dass es nicht mein Ressort ist. Also kommen wir zu André Clermont. Was haben wir denn da? – Also, er ist drei Jahre jünger als sein Bruder und anscheinend ein Wunderknabe, denn er machte schon mit dreiundzwanzig Jahren seinen Doktor an der Sorbonne. Der Vater war elsässischer Landedelmann, verarmt durch einen Bankkrach.«
Obgleich Fee das schon wusste, unterbrach sie Isabel nicht, aber sie blickte über die Schulter, und sah die Fotografie eines noch jungen Mannes, der selbst auf diesem Zeitungsbild eine eigentümliche Faszination ausstrahlte.
»Fescher Bursche«, bemerkte Isabel beiläufig. »Man sagte ihm eine große Karriere voraus, aber er entpuppte sich als Einzelgänger, ein Veilchen, das im Verborgenen blühte. – Ja, was haben wir denn da? André Clermont ging nach Indien, ohne den Erfolg seines Selbstversuches materiell auszunutzen. Und dann, meine liebe Fee, schweigen sogar die Zeitungen über ihn. Und jetzt ist er hier?«
»Ja, er ist hier, aber ihm würde es sicher nicht lieb sein, wenn das bekannt würde, und manchem anderen auch nicht.«
»Ich bin zwar von Beruf aus neugierig, aber die Intimsphäre der Menschen, die sie gewahrt wissen wollen, ist mir heilig. Wenn es dich interessiert, werde ich mich bemühen, bis morgen noch mehr über André Clermont in Erfahrung zu bringen.
»Ich wäre dir dankbar. Ich bin in diesem Falle Vermittlerin oder Übermittlerin.«
»Und wenn du jetzt noch zum Friseur willst, musst du dich sputen, Fee«, sagte Isabel lächelnd. »Aber meinetwegen brauchst du dich nicht besonders schön machen zu lassen. Ich bekomme in deiner Nähe sowieso Komplexe.«
»So siehst du aus«, erwiderte Fee lächelnd.
Dass Isabel Guntram Komplexe bekommen könnte, war kaum vorzustellen. Sie war einfach perfekt, immer nach der neuesten Mode gekleidet und auch im Übrigen sehenswert. Gedankenvoll blickte sie der jungen Frau Dr. Norden nach. Und Fee gestand sich an diesem Nachmittag ehrlich und ohne Eifersucht ein, dass Isabel die einzige Frau gewesen wäre, die sie sich an Daniels Seite hätte vorstellen können. Aber sein Gefühl hatte sich für sie entschieden. Und nun schien sie ihre große Liebe in Dr. Jürgen Schoeller gefunden zu haben, der als Arzt ebenfalls auf der Insel der Hoffnung wirkte. Jedenfalls hoffte Fee, dass es bei beiden eine beständige und tiefe Liebe sein möge. Als Überraschung für Isabel würde jedenfalls Jürgen Schoeller morgen auch zu ihnen kommen.
Bei den beiden geht es noch langsamer zu als bei uns, dachte Fee, als sie unter der Friseurhaube saß. Aber bei Bettina Herzog und André Clermont ist es ein richtiges Drama. Ob sie überhaupt noch mal zusammenkommen? Konnte eine so attraktive Frau wie Bettina Herzog tatsächlich ein Leben lang einer Liebe nachtrauern?
*
Bettina hätte sich wohlfühlen können in dem schönen Appartement, das sie nun in der Pension Rosengarten bewohnte, aber da sie unentwegt an André dachte, fand sie auch in dieser schönen Umgebung keine innere Ruhe.
Sie hatte Frau von Rosen unterrichtet, dass sie eventuell einige Anrufe bekommen würde. Das war keine Schwierigkeit, denn jedes Appartement hatte sein eigenes Telefon. Die Zentrale wurde nachmittags von Cécile, der ältesten Tochter von Frau von Rosen, bedient. Sie war ein entzückendes Mädchen, wie Bettina schon hatte feststellen können. Um ihrer inneren Unruhe und Einsamkeit zu entfliehen, war Bettina hinuntergegangen in die Halle und fragte, ob sie einen Kaffee haben könne.
»Aber gern, Frau Herzog«, sagte Cécile höflich. »Soll er Ihnen auf dem Zimmer serviert werden?«
»Aber nein, ich trinke ihn gleich hier«, erwiderte Bettina.
»Dann hole ich ihn«, erklärte Cécile. »Unsere Jovanna ist mächtig erkältet. Ich habe gesagt, sie solle sich ein bisschen hinlegen.«
Jovanna war eine nette junge Kroatin, die Bettina schon kennengelernt hatte. Es berührte sie angenehm, dass Cécile so besorgt um sie war.
»Wenn Sie ein bisschen Zeit haben, könnten Sie mir Gesellschaft leisten«, sagte Bettina zu dem jungen Mädchen. Ganz plötzlich verspürte sie Verlangen nach Gesellschaft.
»Nachmittags ist hier nicht viel los«, sagte Cécile. »Meistens wohnen Geschäftsleute hier, die den ganzen Tag unterwegs sind. Wir müssen uns ja auch ein bisschen darauf einstellen, sonst wird es für Mami einfach zu viel. Ist sowieso toll, wie sie es gepackt hat.«
»Aber Sie sind Ihrer Mutter ja schon eine tüchtige Hilfe«, sagte Bettina.
»Ich möchte es sein, aber nächstes Jahr wird es hart. Dann muss ich nämlich mein Abitur machen, und die beiden Kleinen können ja noch nicht helfen. Aber jetzt läuft das Geschäft schon. Vielleicht bekommen wir auch mal eine deutsche Jovanna, der nichts zu viel wird, und mit der die Gäste sich verständigen können.
»Wie alt sind Sie eigentlich, Cécile?«, fragte Bettina.
»Siebzehn. Gott sei Dank ist in der Schule alles glatt bei mir gegangen. Ein paar Jahre helfe ich Mami dann schon noch.«
»Und was haben Sie für Zukunftspläne?«
»Eigentlich hätte ich wahnsinnig gern Medizin studiert, aber das wird zu teuer. Vielleicht werde ich Fürsorgerin. Mami meinte jedenfalls, dass ich das Abitur auf alle Fälle haben müsste, damit mir später nichts verbaut ist. Sie ist großartig. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass wir solche Mutter haben. Sie hätte sich es doch nicht träumen lassen, dass sie sich mal auf eigene Füße stellen muss.«
»Ich habe meine Mutter früh verloren«, sagte Bettina gedankenvoll.
»Und wir unseren Vater. Ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, dass er jemals gesund war. Rede ich zu viel?«
»Nein, gar nicht. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen.«
Da läutete das Telefon. Cécile sprang auf und meldete sich.
»Für Sie, Frau Herzog«, sagte sie. »Soll ich es in die Zelle legen oder auf Ihr Zimmer?«
»Wer ist es denn?«
»Herr Herzog«, erwiderte Cécile.
»Sie brauchen nicht umzustellen«, sagte Bettina, dann nahm sie den Hörer ans Ohr.
»Nein, Daddy, noch gar nichts«, sagte sie leise. »Ich bleibe noch. Sei nicht böse. – Ja, du kannst mich jederzeit hier erreichen. – Danke, und mach dir keine Sorgen.«
»Sie haben eine fürsorgliche Mutter und ich einen fürsorglichen Vater«, sagte Bettina. »Er meint, dass ich nie erwachsen werde.«
»So sind gute Eltern immer«, sagte Cécile. »Mami macht sich auch hunderttausend Gedanken, wenn ich ihr ein bisschen Arbeit abnehme, und dabei brauche ich mich gar nicht anzustrengen. Ich müsste jetzt nur noch meine Hausaufgaben machen.«
»Kann ich dabei vielleicht helfen?«, fragte Bettina.
»Französisch ist mein schwächstes Fach«, erklärte Cécile seufzend.
»Und ausgerechnet da bin ich perfekt«, sagte Bettina lächelnd. »Dann versuchen wir es doch mal.«
*
Dr. Norden hatte seine Krankenbesuche hinter sich gebracht und war dann in die Behnisch-Klinik gefahren. Dr. Behnisch war beschäftigt, aber mit Jenny konnte er sprechen.
»Im Westen nichts Neues«, sagte sie.
»Besteht noch immer Lebensgefahr für Dr. Clermont?«
»Gebannt ist sie noch nicht. Das dauert noch mindestens fünf Tage. Vielleicht war es doch keine zufällige Infektion. Aber …« Sie unterbrach sich.
»Was, aber?«, fragte Dr. Norden.
»Er ist Biologe. Er hätte doch etwas unternommen,