Auf Leopold Steigers sehr ernst gewordenem Gesicht erschien ein flüchtiges Lächeln.
»Ich freue mich jedenfalls, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben«, sagte er, und auch er küsste ihr zum Abschied die Hand.
*
Dr. Norden hatte nicht viel in Erfahrung bringen können und auch nicht mehr erfahren, als Dr. Behnisch im Augenblick sagen konnte.
Der hatte sich in den höchsten Tönen über Jenny Lenz ausgelassen und sich bei Daniel bedankt, dass er durch ihn zu einer so überaus tüchtigen Assistentin gekommen war.
Daniel fuhr in die Praxis. Dr. Behnisch lernte Leopold Steiger kennen, der anscheinend der einzige Mensch war, der Dr. Clermont freundschaftlich verbunden war. So jedenfalls sah es während der nächsten Tage aus.
Doch während das Leben des Patienten noch immer in Gefahr war und Fee sich bemühte, so viel wie nur möglich über diesen Dr. Clermont in Erfahrung zu bringen, sollte sie am dritten Tage eine Überraschung erleben.
Der Tag hatte schon turbulent begonnen, dann gegen halb fünf Uhr morgens war Daniel zu einem Patienten gerufen worden, der einen schweren Herzanfall hatte. Natürlich war Fee auch aufgewacht, als das Telefon läutete, und sie hatte nicht mehr einschlafen können.
Fees Gedanken wanderten zu ihrem Schwiegervater, der nicht mehr erlebt hatte, dass sein größter Wunsch in Erfüllung ging und die Insel der Hoffnung zu einem wahren Paradies geworden war, aber vielleicht wäre es ein noch größeres Glück für ihn gewesen, dass sie und Daniel sich gefunden hatten.
Geliebt hatte sie ihn immer, nur hatte sie gemeint, dass es eine unerfüllbare Liebe bleiben würde.
Mein Gott, war ich dumm, dachte sie. Wir könnten längst verheiratet sein und Kinder haben. Aber auf ein Kind brauchten sie nicht mehr lange zu warten!
Als sie daran dachte, flog ein heller Schein über Fees Gesicht. Sie konnte den Tag kaum noch erwarten, bis sich das Kind in ihrem Leib regte, bis sie wirklich an das Wunder glauben konnte.
Wie würde sie dieses Kind lieben! Daniels Kind. Mit aller Zärtlichkeit wollte sie es einhüllen, bevor es noch seinen ersten Schrei tat.
Endlich kam Daniel von seinem Besuch heim. Sie sah ihn lange an, als er am Frühstückstisch saß. Sie liebte dieses Gesicht, die kleinen Lachfalten in seinen Augenwinkeln, wenn er zu ihr herüberblinzelte, die Lippen, die kräftigen Zähne, die die schönsten waren, die sie je bei einem Mann gesehen hatte. Seine Augen, seine Hände, seine selbstsichere Männlichkeit und vor allem seine Intelligenz.
»Ich liebe dich«, sagte sie aus diesen Gedanken heraus.
»Das will ich doch hoffen«, gab er lächelnd zurück, und dann bekamen seine Augen jenen Ausdruck, der ihr Blut schneller pulsieren ließ und ihr Herz zum Rasen brachte. »Ich liebe dich auch«, sagte er mit ganz weicher Stimme, »und es ist wundervoll, jeden Tag mit dir beginnen zu können.«
Ja, es war wundervoll, und Fee wusste noch nicht, was dieser Tag ihr noch bringen würde.
*
Es war gegen zehn Uhr, und Daniel musste gerade einen Jungen versorgen, der schwer mit dem Rad gestürzt war. Fee hatte sich wieder ein wenig geärgert, weil zwei Patientinnen lieber längere Wartezeiten in Kauf nehmen wollten als sie zu akzeptieren, als Molly zu ihr ins Labor kam und ihr den Besuch einer Dame ankündigte.
»Herzog ist ihr Name«, sagte Molly.
»Und sie will nicht zu meinem Mann, sondern zu mir?«, fragte Fee.
»Sie kommt anscheinend gar nicht als Patientin«, sagte Molly.
»Eine Vertreterin?«
»Nein, so sieht sie nicht aus.«
»Nun, dann herein mit ihr!«
Eine vollendete junge Dame erschien.
»Mein Name ist Bettina Herzog«, sagte sie mit leiser, angenehmer Stimme. »Poldi sagte«, sie unterbrach sich und errötete, »ich meine Herrn Steiger, er war neulich bei Ihnen.«
Sie sprach stockend, was eigentlich nicht zu ihr passte, denn sie machte einen sehr selbstbewussten Eindruck, aber jetzt war sie sichtlich verlegen. »Es handelt sich um André Clermont«, fügte sie überstürzt hinzu.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, sagte Fee. Sie betrachtete ihr Gegenüber forschend und stellte fest, dass es eine äußerst aparte Erscheinung war. Ein Gesicht, das klassisch geschnitten und unglaublich ausdrucksvoll war, graugrüne Augen, weit geschnitten, wachsam, aber doch nicht kühl wirkend, was bei dieser Farbe leicht der Fall war.
Die vollen, wunderschön geschnittenen Lippen zuckten leicht.
»Ich wollte mich nicht an die Klinik wenden, in der André liegt«, fuhr Bettina Herzog fort. »Er soll nicht wissen, dass ich mich nach ihm erkundige.«
Und warum nicht?, fragte sich Fee, aber auf die Erklärung musste sie noch geraume Zeit warten.
»Es ist nicht leicht, das zu erklären«, fuhr Bettina fort, »aber mit einer Frau kann man besser sprechen als mit einem Mann. Poldi, wir sind gute Freunde, sagte mir, dass ich zu Ihnen Vertrauen haben könnte.«
»Das ehrt mich«, erwiderte Fee mit einem flüchtigen Lächeln.
Und dann erfuhr Fee eine Geschichte, die vor drei Jahren begonnen hatte, für Bettina Herzog jedoch noch nicht beendet war.
Schon bei der Einleitung hielt Fee den Atem an. »Ich war mit Bob Clermont verlobt«, begann Bettina. »Er war als Chemiker in unserer Fabrik beschäftigt. Mein Vater hielt sehr viel von ihm. Er ging bei uns ein und aus, und anfangs war ich ziemlich verliebt in ihn. Ich spreche nicht gern darüber, aber wie sollten Sie das andere sonst verstehen.«
Bettina schien bewusst zu werden, dass sie da ihre intimsten Gedanken preisgab, und lächelte gequält.
»Betrachten Sie mich bitte als Patientin, Frau Dr. Norden«, sagte sie leise. »Es ist ja auch wie eine Krankheit, die mich verzehrt, mir den Schlaf raubt und mein Seelenleben belastet. Ja, vielleicht bin ich wirklich krank. Psychisch!«
»Niemand wird etwas von mir erfahren«, warf Fee ein. »Sprechen Sie ruhig. Wenn ich Ihnen helfen kann, will ich es gern tun.«
»Ja, ich war also etwa acht Wochen mit Bob verlobt, als er sich ganz merkwürdig veränderte. Er machte einen gehetzten Eindruck. Mein Vater schob es auf Überarbeitung. Tatsächlich hatte er ganz selten Zeit für mich und kam kaum noch zu uns. Er arbeitete mit einem Team an der Entwicklung eines neuen Kunststoffes.
Dann kam der sechzigste Geburtstag meines Vaters, an dem zugleich das fünfundzwanzigjährige Jubiläum unseres Werkes gefeiert werden sollte. Bobs Mutter und André kamen zu uns. Ich kannte beide noch nicht. Ich sollte mich kurz fassen«, murmelte sie. »Wenn wir unterbrochen werden, verliere ich wieder den Mut.«
»Dann schlage ich vor, dass wir in unserer Privatwohnung weitersprechen. Wir fahren nach oben«, sagte Fee.
Bettina folgte ihr wie eine Marionette. Ihre Gedanken weilten in der Vergangenheit. Leise sagte Fee zu Molly, dass sie oben nicht gestört werden wolle.
Das musste etwas sehr Wichtiges sein. Molly war schon ein bisschen neugierig. Daniel dagegen war verblüfft, als sie es ihm sagte.
»Herzog? Kenne ich nicht«, brummte er. Auf die chemische Fabrik gleichen Namens wäre er nicht gekommen.
Fee dagegen wusste es nun schon, und demzufoge auch, dass sehr viel Geld dahinterstand. Sie erfuhr dann auch, dass dies bei den Clermonts nicht vorhanden gewesen war. Sie hatten bei einem Bankkrach alles verloren.
»Davon hatte Bob nie gesprochen, und es hätte für mich auch keine Rolle gespielt«, sagte Bettina, »nicht, wenn es zwischen uns die große Liebe gewesen wäre. Aber die lernte ich erst durch André kennen. Ich hoffte, dass Bob dafür Verständnis haben würde, da ich ohnehin den Eindruck hatte, dass er sich immer weiter von mir entfernte. Zufällig sah ich ihn dann auch einmal mit einer sehr schönen Frau, und da sagte