Aber er verschwand. Ich sah ihn nicht mehr wieder. Er war unerreichbar für mich. Auch für Poldi, der die ganze Wahrheit allerdings bis heute nicht weiß. Ich musste annehmen, dass André mit seiner Mutter einer Meinung wäre und sich vielleicht auch mitschuldig fühlte am Tode seines Bruders.
Von Poldi erfuhr ich dann, dass Frau Clermont vor ein paar Monaten starb. Er hatte endlich Nachricht von André bekommen, aber er brachte mir sehr diplomatisch bei, dass André keine Verbindung mehr zu mir aufnehmen wolle. Sie wollten sich dann hier in München treffen, und das geschah dann auch. Und bevor Poldi noch von André erfahren konnte, warum er alle Brücken zu mir abgebrochen hatte, wurde André krank. Poldi rief mich an, und ich bin sofort gekommen. Ich liebe André, Frau Dr. Norden. Wenn er Hilfe braucht, möchte ich ihm helfen, ohne dass er es erfährt. Ich brauche dabei die Hilfe eines Menschen, den er nicht mit mir in Zusammenhang bringen kann. Ich fühle, dass etwas zwischen uns steht, was ich mir nicht erklären kann, denn ich bin überzeugt, dass Bob mich aus Berechnung heiraten wollte und André dies wusste.«
»Und mir vertrauen Sie? Ich danke Ihnen«, sagte Fee herzlich. »Ich werde mich bemühen, alles herauszubekommen, was wissenswert für Sie sein kann. Wir sind mit Dr. Behnisch befreundet.«
»Das hörte ich, und deshalb wagte ich es überhaupt, mich an Sie zu wenden.«
»Sie bleiben in München?«
»Ja. Ich habe mir ein Appartement in der Pension Rosengarten genommen. Frau von Rosen weiß allerdings nicht, dass ich André kenne.«
Sicher gab es manches, was Bettina Herzog verschwiegen hatte, aber Fee konnte nicht erwarten, dass sie jede Einzelheit erzählte. Jedenfalls liebte diese Frau André Clermont, dessen war Fee sicher, und sie ließ sich auch nicht von Daniel irremachen, der mit merkwürdigen Argumenten aufwartete.
Er trat erst in Erscheinung, nachdem Bettina sich verabschiedet hatte.
Aber ein bisschen mehr erfuhr er dann doch, denn Fee meinte, dass sie ihn doch brauchen würde, da Dr. Behnisch ihm mehr erzählen könnte.
Daniel runzelte die Stirn und legte die Hand auf Fees Rechte. »Pass mal auf, Liebes«, begann er zögernd. »Du hast ihre Geschichte gehört. Vielleicht würde André Clermont eine ganz andere erzählen. Kannst du denn sicher sein, dass es nicht nur ein Märchen ist? Industriespionage ist ein übles Geschäft, wenn es auch oft als Kavaliersdelikt bezeichnet wird. Nehmen wir mal an, ihr Verlobter Bob habe jene umwälzende Erfindung gemacht, und Herzog wollte ihn übers Ohr hauen. Seine Tochter wusste davon und machte mit ihm gemeinsame Sache. Ich meine, mit dem Vater. André Clermont kam dahinter. Und …«
»Du entwickelst eine blühende Fantasie, Liebster«, lächelte Fee. »Wenn die Praxis nicht mehr geht, schreibst du Krimis. Bettina Herzog liebt diesen Mann. Ein bisschen Menschenkenntnis darfst du mir schon zutrauen.«
»Nicht gleich wild werden«, sagte er und zog sie an sich. »Sie hat dich beeindruckt, also muss sie eine bemerkenswerte Frau sein. Molly sagt, dass sie sehr attraktiv ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man schön, reich und klug dazu ist, und drei Jahre einem Mann nachweint?«
»Und was habe ich getan? Zugegeben, ich bin weder schön noch reich gewesen, aber ich habe doch insgeheim darauf gehofft, dass ein gewisser Daniel Norden mal bemerkt, dass ich wenigstens als Ärztin etwas tauge.«
»Das ist allerdings ein schwerwiegendes Argument«, sagte er mit leisem Lachen. »Du bist für mich die schönste Frau der Welt, und du bist auch unheimlich klug, und eine gute Ärztin bist du auch.«
»Du bist ein Schatz«, sagte Fee zärtlich und gab ihm einen langen Kuss. »Also, dann frage deinen Freund Dieter mal aus. Er würde sich wohl doch wundern, wenn ich mich so brennend für den Patienten André Clermont interessiere.«
»Und auf fatale Gedanken kommen«, nickte Daniel. »Ich werde mich also beeilen, meine Besuche hinter mich zu bringen. Sprechstunde haben wir ja heute keine mehr. Und dann werde ich in die Klinik fahren. Allerdings hätte ich den Nachmittag lieber mit dir verbracht.«
»Ich muss sowieso mal wieder zum Friseur«, sagte Fee. »Morgen Abend kommt Isabel, und morgen habe ich keine Zeit.«
Er lächelte in sich hinein. Weil Isabel kommen würde, wollte Fee zum Friseur gehen. Seinetwegen brauchte sie das wahrhaftig nicht, denn ihm gefiel sie so, wie sie war, und wahrscheinlich würde ihr Haar morgen früh genauso aussehen wie jetzt, da es unter der Dusche doch nass werden würde.
Aber Fee wollte ja nicht nur zum Friseur. Sie wollte schnell einmal bei Isabel Guntram hineinschauen und sie einiges fragen.
Fee fuhr mit der S-Bahn in die Stadt. Den Wagen ließ sie am Bahnhof stehen. Es ging schneller und war bequemer mit der Bahn.
Parkplatzsorgen brauchte man da auch nicht zu haben, und sie konnte fast bis vor den Verlag fahren, in dem Isabel Redakteurin war.
Isabel war sehr überrascht, Fee zu sehen. »Jetzt sag nur nicht, dass ihr mich ausladen wollt?«, rief sie aus. »Ich habe mich schon so auf morgen gefreut.«
»Es bleibt auch dabei, Isabel«, erwiderte Fee, »aber ich wollte dich einiges fragen, was Daniel nicht zu wissen braucht.«
»Du interessierst dich für einen
anderen Mann?«, fragte sie konsterniert.
»Nicht so direkt. Ich kann dir keine nähere Erklärung geben, aber vielleicht weißt du mehr über ihn.«
»Wissenschaftler fallen nicht in mein Resort, aber gehen wir doch ins Archiv. Vielleicht finden wir da etwas über ihn.«
Sie gingen durch das Vorzimmer. Dort saß Sabine Moll, Mollys Tochter, inzwischen bereits Jungredakteurin geworden. Natürlich kannten sie sich, und Fee begrüßte das hübsche junge Mädchen freundlich, das sehr erstaunt zu sein schien, Frau Dr. Norden hier zu sehen.
»Sabine wird sich jetzt den Kopf zerbrechen, was du bei mir suchst, anstatt den freien Mittwochnachmittag mit deinem Göttergatten zu verbringen«, meinte Isabel neckend.
»Daniel muss noch Besuche machen, und ich wollte zum Friseur.«
»Du Glückliche brauchst doch keinen Friseur«, sagte Isabel.
»Eigentlich wollte ich auch zu dir, aber Daniel sollte nicht denken, dass ich neugierig bin.«
»Oder dich zu sehr für einen anderen Mann interessierst?«
»Er ist schwer krank«, entgegnete Fee errötend. »Es ist rein berufliches Interesse. Ich kenne ihn persönlich gar nicht.«
»Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir etwas finden. Du meinst doch den Clermont, der den Selbstmordversuch gemacht hat?«
Es gab nicht viel, was Isabel nicht wusste, sobald die Zeitungen mal davon berichtet hatten. Ihr Gedächtnis war phänomenal.
Sie hatte auch bald gefunden, was sie suchte. »Robert Clermont, Chemiker, beging im Alter von dreiunddreißig Jahren Selbstmord durch Erschießen. Man nannte als Grund eine unglückliche Liebe zur Tochter seines Chefs, die die Verlobung gelöst hatte.«
»Das stand in der Zeitung?«, fragte Fee entsetzt.
»In verschiedenen, Fee. Sensationen sind das Brot der Reporter. Aber du interessierst dich doch für André Clermont.« Forschend ruhten ihre Augen auf Fees verwirrtem Gesicht.
»Sie waren Brüder.«
»Und es missfällt mir, dass der Ältere aus unglücklicher Liebe seinem Leben selbst ein Ende setzte? Da besteht doch ein Zusammenhang. Ich meine, du siehst Zusammenhänge, oder du weißt von ihnen.«
Isabel