Der Kaiser. Geoffrey Parker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Geoffrey Parker
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806240108
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Vertrag erfuhr, Karl mit: »Gleich morgen werde ich nach Bayonne aufbrechen und bin fest entschlossen, alles in die Tat umzusetzen, was Euch versprochen wurde.« Derweil versicherte Franz seinem »guten Bruder« Karl aus San Sebastián, wie begierig er darauf sei, nach Frankreich zurückzukehren, »damit ich das, was wir vereinbart haben, so schnell wie möglich verwirklichen kann«.44 Wir wissen heute, dass diese und noch einige andere, ähnliche – und allesamt eigenhändig verfasste – Briefe, die Luise und Franz an den Kaiser sandten, von vorn bis hinten erlogen waren. Karl aber kann man vielleicht entschuldigen, wenn er nicht damit rechnete, dass sein königlicher »Bruder« und seine Mutter, die ja nun sogar zur Familie gehörten, ihn auf derart schamlose, ausdauernde und dreiste Weise hintergehen würden.

      Nur wenige andere Zeitgenossen ließen sich täuschen. »Die ganze Christenheit war bass erstaunt angesichts dieses Vertrags«, schrieb Guicciardini, »weil die Freilassung des französischen Königs der Ausführung seiner Bestimmungen vorangehen sollte; und nach allgemeiner Ansicht würde sich dieser, nachdem er erst einmal frei war, ganz einfach weigern, Burgund herauszugeben.« Schon über einen Monat, bevor Franz den Vertrag unterzeichnete, meldete der Nuntius Castiglione von Karls Hof, dass »viele, auf deren Urteil man etwas gibt, nun sagen, der französische König werde noch keine sechs Monate aus der Haft entlassen sein, bevor er wiederum Krieg gegen den Kaiser führt, und zwar heftiger als je zuvor«. Und im April 1526 berichtete er, dass »fast jedermann damit rechnet, der französische König werde sich auf den Rechtsgrundsatz ›Non stant foedera facta metu‹ berufen [›Durch Furcht erpresste Verträge sind ungültig‹]«.45 In Rom ging der Papst ebenfalls davon aus, dass

      »König Franz von all den Dingen, die er mit dem Kaiser vereinbart hat, nur die halten wird, die vor seiner Freilassung geschehen müssen wie etwa die Übergabe seiner Söhne. Alles andere aber, was er tun soll, wird er bis nach seiner Freilassung aufschieben wie etwa seine Heirat mit Königin Eleonore und die Abtretung gewisser Teile Burgunds – und dann wird er sie schlicht nicht tun. Die einzige tatsächliche Auswirkung dieses Vertrages wird also sein, dass der Kaiser die Söhne in Gewahrsam hat und nicht ihren Vater.«

      In London kam Kardinal Wolsey zu ähnlichen Schlüssen:

      »Was die Abtretung von Rechten der Krone betrifft, so liegt es überhaupt nicht in [Franz’] Macht, dies zu gewähren; und die anderen [Klauseln], die umzusetzen in seiner Macht stünde, sind derart folgenreich, dass er sie, einmal freigelassen, wohl kaum umzusetzen geneigt sein wird – damit meine ich vor allem die Aushändigung des Herzogtums Burgund … [Deshalb] kann ich einfach nicht glauben, dass der französische König wirklich vorhat, sich an dieselbigen wirklich zu halten, nachdem er wieder in Freiheit ist.«46

      Wolsey war mit diesem Ergebnis durchaus zufrieden, trieb ihn doch die Sorge um, dass England allein das Gleichgewicht der Mächte im westlichen Europa nicht würde aufrechterhalten können, falls Franz dem Kaiser alles gab, was dieser verlangte. Luise von Savoyen gegenüber äußerte er seine Freude über »die Rettung des Königs, Eures Sohnes, aus den Gefahren und der grausamen Gefangenschaft, die er in Spanien erleiden musste«, und verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, es möge »keine einzige Bestimmung des schändlichen und unvernünftigen Vertrages, den man Eurem Sohn gewaltsam abgepresst hat, umgesetzt werden«. Auch wies Wolsey darauf hin, dass Karl ja bereits über das römisch-deutsche Reich – und damit über »den größten Teil der Christenheit« –, die Niederlande, Unteritalien und Spanien herrsche und folglich »das Königreich Frankreich auf drei Seiten umzingelt sein und sozusagen inmitten der kaiserlichen Territorien liegen wird«. Wann immer also Karl oder einer seiner Nachfolger sich zu einem Angriff auf Frankreich entschließen sollte, wären die Franzosen »gezwungen, sich an den besagten drei Seiten zu verteidigen«. Diese Angst vor einer habsburgischen Umzingelung sollte die französische Außenpolitik für über ein Jahrhundert bestimmen. Um die Gefahr abzuwenden, empfahl Wolsey, Franz solle jegliche Gebietsabtretung verweigern und seine Söhne stattdessen »mit einer angemessenen Summe Geldes« freizukaufen suchen. Hierbei, versprach der Lordkanzler, werde die englische Krone als »eine treue Vermittlerin« auftreten.47

      Noch eine ganze Weile vermochte Franz sein Täuschungsmanöver aufrechtzuerhalten. Er überflutete Karl auch weiterhin mit persönlichen Briefen, in denen er immer wieder beteuerte, zu gegebener Zeit werde er alle seine Versprechen einlösen; zugleich bemühte er sich aber um auswärtige Unterstützung – in materieller wie moralischer Hinsicht. Papst Clemens war einer der Ersten, die Franz’ Bitten nachkamen, indem er erklärte, der König sei »nicht allein seinem Gewissen nach von der Verpflichtung befreit, [dem Vertrag] zu entsprechen, weil er unter Zwang gehandelt hatte«. Schließlich sei »jedermann bekannt, dass Verpflichtungen, die man unter der Androhung von Gewalt eingeht, nicht bindend sind«.48 Als Lannoy und Moncada, zwei Männer, denen Franz einiges verdankte, ihn aufsuchten, um den König zur Einhaltung seiner Versprechen zu bewegen, empfing er sie mit aller Freundlichkeit. In der Sache bestand er aber darauf, dass »er nicht verpflichtet sei, irgendwelche angeblichen Versprechen zu halten, weil sie ihm unter Androhung einer ständigen Gefangenschaft abgepresst worden waren«. Selbst Lannoy musste jetzt einsehen, dass er hereingelegt worden war, und klagte Karl gegenüber: »Ich wünschte bei Gott, ich hätte mich niemals in diese Angelegenheit hineinziehen lassen.« Wie er hinzufügte, hatte er Franz mittlerweile im Verdacht, »nun ganz den Weg der Täuschung eingeschlagen [zu haben], um sich anderswo einen Vorteil zu sichern, so gut er kann«. Dieses Mal sollte Lannoy recht behalten: Noch während Franz seine vormaligen Kerkermeister am französischen Hof zu Gast hatte, schloss er ein Bündnis mit Venedig, dem Papst, Florenz und Francesco Sforza, den Karl vor Kurzem als Herzog von Mailand abgesetzt hatte. Heinrich VIII. erklärte sich bereit, dieser Allianz als »Protektor« zur Seite zu stehen.49

      Die »Heilige Liga von Cognac« (wie die Unterzeichner ihren Zusammenschluss nannten) forderte Karl auf, die französischen Prinzen gegen ein angemessenes Lösegeld freizulassen, ferner allen italienischen Staaten und Fürstentümern die Rückkehr zu ihren Vorkriegsgrenzen zu erlauben, Sforza wieder als Herzog von Mailand einzusetzen, zu seiner Kaiserkrönung nur mit kleinem Geleit anzureisen (dessen Umfang die Venezianer und der Papst bestimmen sollten) und seine Schulden England gegenüber, die sich mittlerweile auf insgesamt 800 000 Dukaten beliefen, vollständig zu begleichen. Für den Fall, dass der Kaiser diesen Forderungen nicht nachkommen sollte, vereinbarten die Bündnispartner, dass sie gemeinsam für Truppen und Transportschiffe aufkommen wollten, um Mailand, Genua und Neapel einzunehmen.50 Am 23. Juni 1526 sandte Papst Clemens dem Kaiser einen scharf formulierten Brief, in dem er ihm sein Verhalten gegenüber den diversen Mitgliedern der Liga vorwarf: Karl war unrechtmäßigerweise in Frankreich eingefallen, hatte den französischen König in dessen Gefangenschaft gedemütigt, hatte Sforza abgesetzt, hatte auf dem Territorium des Kirchenstaates Güter geraubt und Besitz verwüstet. Dies alles habe ihn dazu bewegt, so Clemens, »ein Bündnis mit jenen zu schließen, denen der Frieden in Italien und der ganzen Christenheit am Herzen liegt«. Zum Schluss sprach der Papst noch eine kühne Drohung aus: »Wenn Ihr nun also in Frieden zu leben wünscht, so ist es gut; wenn aber nicht, so seid gewahr, dass ich sowohl Soldaten als auch Waffen besitze und nicht zögern werde, sie zum Schutz Italiens und Roms einzusetzen.« Wie der Botschafter Navagero nachdenklich meinte, war es »eine gewaltige Schicksalswende«, die sich hier abzeichnete. »Nach seiner Gefangenschaft, nachdem er so viele Männer verloren und so großen Schaden erlitten hat, ist der König von Frankreich nun ein freier Mann und sogar mächtiger als jemals zuvor. Es liegt in seiner Macht, sich selbst zu erhöhen und den Kaiser zu erniedrigen.«51

      Ein Kampf an zwei Fronten

      Hugo de Moncada, der vom französischen Hof nach Rom reiste, sobald das Scheitern seines Vorsprechens bei Franz klar zutage getreten war, bemerkte zu seiner großen Beunruhigung, dass sich in ganz Oberitalien eine gegen den Kaiser gerichtete Stimmung ausgebreitet hatte. »Zwischen Spießen und Arkebusen musste ich hindurch unter dem Ruf ›Tod allen Spaniern!‹«, berichtete Moncada dem Kaiser, und nach seiner Ankunft in Rom fand er den Botschafter Sessa »und seinen ganzen Haushalt in Waffen, weil der Papst Euer Majestät zu seinem Feind erklärt hat und schon beginnt, seine Truppen zu mobilisieren«. Gemeinsam bemühten sich Sessa und Moncada, den Papst davon zu überzeugen, dass die italienischen Bündnispartner der Liga von Cognac den Zorn des