Der Kaiser erteilte diesen umfangreichen Forderungen seinen Segen, und Ende März machten seine Boten sich auf den Weg, um sie Luise von Savoyen zu überbringen. »Ihr müsst uns unverzüglich von ihrer Reaktion auf all diese Punkte in Kenntnis setzen«, beharrte er, »damit wir bald wissen, ob es Frieden geben wird oder ob wir einen anderen Weg einschlagen müssen, um unser rechtmäßiges Eigen zurückzugewinnen«. In einem Brief an Lannoy legte der Kaiser dar, was genau er sich unter diesem »anderen Weg« vorstellte. Zunächst versicherte er dem Vizekönig, dass »wir nicht die Absicht haben, unsere Truppen an irgendeinem der Kriegsschauplätze nach Hause zu schicken, damit wir, sollten wir durch Milde (doulceur) keinen Frieden erlangen können, umso bereiter sein werden, ihn mit Gewalt anzustreben und auch zu gewinnen«. Falls die Franzosen seine Bedingungen ablehnten »oder versuchen sollten, unsere Zeit zu verschwenden mit Verzögerungen und schönen Worten«, dann werde er selbst ein Heer in das Languedoc führen, während Lannoy und der Herzog von Bourbon entweder in die Dauphiné oder die Provence einfallen sollten. In Avignon würden sie ihre Kräfte dann vereinen. Zwar meinte Karl, im Moment sei »noch nicht die Zeit, mit Härte vorzugehen, um den Papst und die Venezianer nicht zu verprellen und mit ihnen fast den ganzen Rest Italiens«, jedoch hätten die Herrscher Italiens »ihre Feindseligkeit uns gegenüber deutlich erkennen lassen«, weshalb sie natürlich Strafe verdienten. Der Vizekönig müsse daher so handeln, »wie es Euch am besten erscheint, entweder indem Ihr Milde walten lasst oder indem Ihr Euch verstellt und abwartet, bis eine Lösung sich deutlicher abzeichnet«.12 Darüber hinaus sah der Kaiser »nichts Weiteres, das unternommen werden könnte – abgesehen von einem Angriff auf die Heiden, der mir schon lange vorschwebt und ganz besonders jetzt«, und so bat er Lannoy inständig: »Helft mir, diese Dinge zufriedenstellend zu regeln, damit ich Gott einen Dienst erweisen kann, solange ich noch jung bin.«13
Die Initiative geht verloren
Damit hatte Karl die erste in einer ganzen Reihe von katastrophalen Fehleinschätzungen begangen. Der eigenhändige Brief, den er seinen Friedensforderungen an Luise von Savoyen beilegte, war nicht nur unangemessen, sondern geradezu unverschämt. Anstatt sie – wie in seinen früheren Briefen – als »Meine gute Frau Mutter« anzureden, richtete Karl seinen Brief an die »Frau Regentin« und beendete ihn mit der eher kühl formulierten Hoffnung, dass »Ihr diese Forderungen, die nur recht und billig sind, nicht ablehnen werdet«. Luise antwortete im selben Tonfall. Sie teilte den Gesandten des Kaisers mit, dass sie dessen Forderungen für »maßlos übertrieben« hielt, und erklärte »mit hochmütigen Worten«, sie sei »bereit, das Reich zu verteidigen, selbst wenn der König gefangen ist«. Zwar zeigte Luise sich gewillt, über ein Lösegeld für ihren Sohn zu verhandeln, aber sie weigerte sich, »auch nur ein Fußbreit französischen Bodens« aufzugeben.14 Und noch einmal schätzte Karl die Dinge falsch ein, als er – gegen Gattinaras ausdrücklichen Rat – beschloss, nicht nur mit Luise, sondern auch mit Franz selbst in Verhandlungen zu treten. Dazu ließ er dem König eine Abschrift seiner Friedensforderungen übersenden und befahl Lannoy, seinen Gefangenen von der Lombardei nach Neapel zu überführen. Eine solche Chance ließ Franz nicht ungenutzt. Nachdem er »die Forderungen« gelesen hatte, »die Ihr zu stellen beliebt«, formulierte er eine Reihe von Gegenforderungen – natürlich alles »in der Hoffnung, Euch zufriedenzustellen« (und wohl auch, um dem drohenden Abtransport nach Neapel zu entgehen). Franz erklärte sich bereit, Karl alles zu gewähren, was dieser in Italien und den Niederlanden verlangte, sofern er dafür die Schwester des Kaisers, Eleonore, heiraten durfte (die zurzeit noch dem Herzog von Bourbon versprochen war) und ihr künftiger Sohn die Herzogtümer Burgund und Mailand als Apanage erhielte. Dem Herzog von Bourbon bot Franz zudem nicht nur eine vollständige Restitution, sondern auch die Hand seiner Cousine Renée an (mit der Karl einmal verlobt gewesen war). Diese Vorschläge beeindruckten Lannoy so sehr, dass er einen seiner direkten Untergebenen, Hugo de Moncada, beauftragte, sie dem Kaiser mündlich zu überbringen. Karl drängte er: »Zu Eurem eigenen Besten: Schließt keine Vereinbarung betreffend Italien, bevor Ihr nicht Don Hugo angehört habt!« – aber Moncada sollte den Hof erst am 6. Juni erreichen.15
Unter den englischen Diplomaten kam Freude auf, als sie von Franz’ Vorschlägen erfuhren. »Langsam rutscht dem französischen König das Herz in die Hose«, spotteten sie, und »für den Anfang macht er dem Kaiser ein recht ordentliches Angebot« – aber auch sie schätzten die Situation falsch ein. Die Verzögerung, die sich aus dem Warten auf Moncada ergab, sorgte dafür – und genau das hatte Franz beabsichtigt –, dass Karl die Zeit davonlief, um eine sofortige Invasion und Zerteilung Frankreichs zu arrangieren. Inzwischen überzeugte Franz, der »viel von seiner eigenen Beredsamkeit und Klugheit hielt und glaubte, mit seinen Worten den Kaiser umzustimmen«, in der Lombardei Lannoy davon, dass er bei einem persönlichen Treffen mit Karl imstande wäre, »die ganze Sache in zwei Worten zu regeln«.16 Also reisten der Vizekönig und sein illustrer Gefangener zwar nach Genua und gingen dort an Bord eines Schiffes, das sie auf Karls Geheiß nach Neapel bringen sollte; sobald sie jedoch auf See waren, wechselte die ganze Flotte abrupt ihr Ziel und nahm Kurs auf Spanien. Im August 1525 erreichte Franz Madrid.
Die Nachricht von diesen Entwicklungen hatte gewaltige Konsequenzen. Antonio de Leyva, der nun als kaiserlicher Oberbefehlshaber in der Lombardei amtierte, warnte Karl, dass Lannoys »Abreise mit dem König ganz Italien in Aufruhr versetzt« habe. »Alle hier glauben«, fuhr er fort, »dass Euer Majestät mit dem König eine Vereinbarung treffen wird, die zu ihrer völligen Zerschlagung führen wird; und deshalb versuchen sie alle möglichen Verhandlungen und Initiativen, um sich nur mit Frankreich zu verbünden und Italien zu einen, um sich gegen die Größe Eurer Majestät zu stellen«. Karls Botschafter Sessa meldete aus Rom gleichfalls eine »große Angst« im Hinblick darauf, »was Eure Majestät womöglich mit dem König von Frankreich vereinbaren wird, weil sie fest davon ausgehen, dass eine solche Vereinbarung dazu dienen wird, ganz Italien zu unterjochen und denen die Macht zu entreißen, die sie jetzt innehaben, und sie so zu schwächen, dass sie nie wieder zu Kräften kommen werden«. Sessa zufolge hatte die Republik Venedig bereits begonnen, eine feindliche Allianz italienischer Staaten zu schmieden, und er warnte, dass auch Papst Clemens sich diesem Bündnis anschließen und damit eine zweite Front in diesem Krieg eröffnen werde, wenn man ihn nicht umgehend beschwichtige.17
Karl erkannte nun, in welchem Dilemma er steckte: Die Franzosen würden Burgund nur aufgeben, »wenn wir mehr Druck ausüben«, jedoch fehlte, wie der Kaiser einsah, »das Geld, um dies zu erreichen«. Deshalb erklärte er: »Ich beabsichtige nicht, dieses Jahr noch Krieg zu führen, sondern stattdessen will ich mich auf meine Heirat konzentrieren und anschließend über das Meer nach Italien fahren« – um die dortige Ordnung wiederherzustellen, aber auch, um sich endlich zum Kaiser krönen zu lassen. Danach wollte Karl nach Deutschland reisen, »wo ich all meine Mittel darauf verwenden will, die lutherische Sekte auszumerzen«; anschließend wollte er sich mit den Türken auseinandersetzen.18 Um diese hochgesteckten Ziele erreichen zu können, war Karl jedoch zuerst auf einen Friedensschluss mit Frankreich angewiesen, weshalb er nun – doch noch – dem Rat seines Kanzlers folgte: Der Kaiser weigerte sich fortan, mit dem französischen König weiterzuverhandeln