Der Kaiser. Geoffrey Parker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Geoffrey Parker
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806240108
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oder anderen Gottesdiensten teilnehmen«.36 Den zweiten Schatten warf der Tod von Karls Schwester Isabella, der Königin von Dänemark. Nach ihrer Hochzeit zehn Jahre zuvor, bei der er so übermütig getanzt hatte, war Karl seiner Schwester nie wieder persönlich begegnet. Nach Angaben des Nuntius Baldassare Castiglione jedoch – dem Karl sich anvertraute, wie es scheint – »trauerte der Kaiser sehr um seine Schwester«, und nach »den Feierlichkeiten und Turnierspielen, die zu seiner Hochzeit bereits geplant waren«, hielt der gesamte Hof eine gewisse Trauerzeit ein.37

      Das Kaiserpaar vergnügte sich dennoch. Eine Woche nach der Hochzeit vermerkten die portugiesischen Diplomaten, die Isabella nach Sevilla begleitet hatten, zufrieden, dass »sie jede Nacht in den Armen ihres Ehemannes schläft, und sie sind beide sehr verliebt und überglücklich … bis 10 oder 11 Uhr bleiben sie des Morgens im Bett«. Und wenn sie sich dann zeigten, »unterhalten sie sich ständig und scherzen miteinander, selbst wenn alle Welt zuschaut«. Einem Höfling gegenüber machte Karl die derbe Bemerkung: »Ich bin zu schwach, um selbst zu schreiben … [denn] ich bin noch immer frisch vermählt.« Einen Monat später klagte der Florentiner Botschafter, dass »Seine Majestät sich nicht mehr so fleißig um die Geschäfte bemüht wie früher, seitdem er seine Frau kennengelernt hat; tatsächlich arbeitet er am Morgen nun überhaupt nicht mehr«. Als Karls Gesundheit im September leicht angeschlagen schien, erklärte selbst der vornehme Castiglione dies damit, dass der Kaiser sich eben »zu sehr bemüht, ein guter Ehemann zu sein«.38 Als die Temperaturen in Sevilla in unerträgliche Höhen kletterten, brach das frisch vermählte Paar zu einer langsamen Reise über Carmona und Córdoba nach Granada auf, um ihren gemeinsamen Großeltern, den Katholischen Königen, ihre Aufwartung zu machen, die in der gerade erst fertiggestellten Hofkapelle der dortigen Kathedrale beigesetzt waren. Anschließend quartierten Karl und Isabella sich in der Alhambra ein, dem einstigen Palast der muslimischen Herrscher von Granada. Karl hatte nicht vor, lange zu bleiben – seinem Bruder versprach er, Ende Juni von Barcelona aus per Schiff nach Italien zu reisen, und schlug vor, dass sie sich in Mailand treffen sollten. Aber diese Absicht wurde durchkreuzt, als sich zeigte, dass Franz I. von Frankreich seine Versprechen nicht hielt.

      Die Freilassung des französischen Königs – im Gegenzug für die Geiselhaft seiner zwei älteren Söhne – war unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen am 17. März 1526 an der spanisch-französischen Grenze erfolgt. Noch kurz bevor er von dort aufbrach, hatte Franz Lannoy gegenüber sein Versprechen wiederholt, dass er Wort halten und den zuvor geschlossenen Vertrag schon in der ersten französischen Stadt in Kraft setzen werde, die am Wege lag. Als er jedoch später am selben Tag in Bayonne eintraf und der kaiserliche Botschafter in seinem Gefolge auf diese Ratifizierung pochte, erwiderte ihm der französische Kanzler, dass »der König so handeln wird, wie es Räson und Anstand von ihm fordern« – ein deutlich anderes Versprechen als das zuvor gegebene. Als Karls Botschafter es drei Tage später noch einmal versuchte, beschied man ihm, die Übergabe Burgunds an den Kaiser werde noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Karl selbst fand diese Antwort »überaus seltsam, sodass mich auch in anderer Hinsicht ein Verdacht überkommt«. Schlimmer noch: Sie »lässt uns und all unsere Geschäfte im Ungewissen«.39

      Während der Kaiser also im Ungewissen schwebte, vertrieb er sich seine Zeit in Granada. Und das hieß – sofern er sich nicht gerade bei seiner Frau im Ehebett aufhielt –, dass er sich geduldig mit der großen Flut von Briefen auseinandersetzte, die aus allen Enden seines wachsenden Imperiums eintrafen (so versprach er etwa Erasmus, ihn gegen seine Kritiker zu beschützen: »Der Kaiser steht zu Euch als ein rundum gebildeter und wahrhaft frommer Mann, und er wird Eure Ehre und Reputation verteidigen wie seine eigene«).40 Außerdem unternahm Karl diverse Schritte, um die von den Katholischen Königen begonnene Christianisierung Granadas schneller voranzutreiben: Er gründete ein Seminar zur Ausbildung von Priestern für die Hofkapelle und ein anderes, an dem Logik, Philosophie, Theologie und Jurisprudenz gelehrt wurden, zur Ausbildung von Predigern – daraus sollte später die Universität Granada hervorgehen. Auch führte Karl den Vorsitz einer Kommission, die Anordnungen (Mandatos) zur Christianisierung der Morisken (der früheren Untertanen der muslimischen Herrscher und ihrer Nachkommen) erarbeiten sollte. Manche dieser Anordnungen untersagten islamische Glaubenspraktiken wie die Beschneidung der Knaben und das rituelle Schächten, andere verboten den Gebrauch der arabischen Sprache in Wort und Schrift oder das Tragen traditionell-islamischer Kleidung. Allerdings trat keine dieser Maßnahmen tatsächlich in Kraft, da der Kaiser beinahe sofort einer Aussetzung der Mandatos auf vierzig Jahre zustimmte – im Gegenzug erhielt er aus den Reihen der Morisken eine beträchtliche Summe zur Finanzierung seiner diversen Kriegsvorhaben.

      Während dieses Aufenthaltes in der Alhambra wurde Isabella mit ihrem ersten Kind schwanger, dem künftigen König Philipp II. Der englische Botschafter war im September 1526 der Erste, der diese frohe Kunde vermelden konnte: »Wir können nun offen und gewiss mitteilen, dass die Kaiserin ein Kind unter dem Herzen trägt, worüber der ganze Hof und auch das Volk nicht wenig erfreut sind.« Zwei Wochen später bestätigte auch sein polnischer Kollege die Nachricht: »Es heißt, es sei nun fast ein Monat, dass die Kaiserin empfangen hat und guter Hoffnung ist (welch frohes und glückliches Ereignis!), und aus diesem Grund verbringt sie nun die meiste Zeit im Bett.«41 Zugleich prophezeite er, der Kaiser werde seine geplante Italienreise nun wohl verschieben und seine schwangere Frau nicht allein zurücklassen, um Spanien während seiner Abwesenheit zu regieren, zumal die neuerliche französische Feindseligkeit eine solche Reise viel zu gefährlich erscheinen ließ.

      »Voller Schwermut und einsamer Grübelei«

      Vor seiner Abreise aus Sevilla berichtete der englische Botschafter noch, der Kaiser habe sich »nach seiner Hochzeit auf wundersame Weise verwandelt gezeigt. Er ist voller Schwermut und einsamer Grübelei, manchmal drei oder vier Stunden am Stück. Keine Freude empfindet er mehr und keinen Trost«. Auslöser für Karls tiefe Depression war die endgültige Gewissheit, dass Franz nicht nur den Vertrag von Madrid gebrochen hatte, sondern auch gar nicht daran dachte, sein Versprechen zu halten und sich erneut in Gefangenschaft zu begeben. Als Karls Botschafter am französischen Hof den König noch einmal aufforderte, seine Zugeständnisse zu ratifizieren, »die Ihr umzusetzen verprochen hattet, sobald Ihr wieder in Euerem R[eich] seid«, hatte Franz für ihn nur beißenden Spott übrig: Er werde die Dinge genau so handhaben, wie er es »in S[panien] vom Kaiser selbst gelernt hatte«:

      »Denn in jenem [Friedens]vertrag gab es keinen einzigen Passus, [den der Kaiser nicht] mit seinem Rat genauestens geprüft, besprochen und zu seinem größtmöglichen Vorteil gestaltet hat, während er [d. i. Franz] weder einen Rat an seiner Seite gehabt hatte noch in der Position gewesen war, die Bestimmungen des Vertrages anzufechten; deshalb wolle er nun bei der Bestätigung des Vertrags von seinem [eigenen] Rat ebenso Gebrauch machen, wie es der Kaiser bei dessen Entstehung getan hatte.«42

      Einstweilen jedenfalls weigerte sich Franz, auch nur das geringste Stückchen Land an Karl abzutreten.

      Wie hatte Karl nur seine Chance versäumen können, eine solch »gute Ernte« einzufahren, wie sie einem für gewöhnlich nur einmal im Leben zuteilwird? Francesco Guicciardini, einer der Protagonisten im Ringen zwischen Kaiser und Papst, eröffnete das entsprechende Kapitel in seiner Storia d’Italia (»Geschichte Italiens«) mit genau dieser Frage. »Vielleicht war der Wunsch der Niederländer, ihr altes Erbe Burgund und den dazugehörigen Herzogstitel zurückzuerlangen, so stark, dass sie davon geblendet wurden und die Wahrheit nicht mehr sehen konnten«, spekulierte Guicciardini und fügte hinzu, dass »manche von ihnen angeblich von den Franzosen mit Versprechungen und Geschenken beeinflusst worden waren«. Am Ende traf jedoch Karl die verhängnisvolle Entscheidung selbst. Auch wenn Lannoy und die anderen Niederländer, mit denen er aufgewachsen war, auf den Kaiser zweifellos »großen Einfluss ausgeübt« hatten, war Guicciardini doch überzeugt: Burgund war »das, was er wirklich wollte«. Der venezianische Botschafter sah dies ähnlich: »Der Kaiser glaubte sich selbst mehr, als er irgendjemand anderem glaubte.«43 Bei oberflächlicher Betrachtung schien Selbsttäuschung die plausibelste Erklärung hierfür – immerhin hoffte Karl, einst an der Seite seiner burgundischen Vorfahren in Dijon begraben zu werden, und er träumte davon, die vormals burgundischen Gebiete zurückzugewinnen, die nach dem Tod Herzog Karls des Kühnen an