Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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sollte ich in der Neujahrsnacht erfahren.

      Am Abend sagte Frau von Bismarck in Gegenwart anderer Personen:

      „Eine reizende Eigenschaft von Otto ist, daß er gar nicht nachträgt. Wenn eine Meinungsverschiedenheit befriedigend ausgeglichen ist, so bleibt kein Schatten von Groll, ja kaum eine Erinnerung an den Streit in ihm zurück.“

      Drei Tage später erklärte Bismarck im Abgeordnetenhause, nur der von den Großmächten mit Dänemark 1852 in London geschlossene Vertrag gäbe uns ein Recht, im Herzogtum Schleswig mitzusprechen, welches nicht zum Deutschen Bunde gehörte; nur durch diesen Vertrag seien wir berechtigt – wie es von uns in Gemeinschaft mit Oesterreich seit Monaten geschehe –, zu fordern, daß Dänemark die gegen die Herzogtümer übernommenen Verpflichtungen erfülle. Jetzt werde namentlich die Aufhebung des kürzlich dort erlassenen Gesetzes über die Verfassung des Gesamtstaates nachdrücklich gefordert.

      Ich darf hier einschalten, daß dem Londoner Vertrage zwei Reihen von Verhandlungen vorangegangen waren, deren befriedigende Abschlüsse erst Preußens und Oesterreichs Zustimmung zu jenem Vertrage möglich machten.

      Nach mehrjährigem, namentlich von österreichischer Seite mit Nachdruck geführten Schriftwechsel übernahm die dänische Regierung durch Note vom 29. Januar 1852 die Verpflichtung, Schleswig nicht zu „inkorporieren“.

      Der Herzog Christian von Augustenburg aber, dessen Erbansprüche auf Schleswig-Holstein der von Dänemark gewünschten Regelung der Thronfolge hinderlich waren, versprach (am 23. April) für sich und seine Familie, nichts gegen die dereinstige Herrschaft des Prinzen von Glücksburg in den Herzogtümern zu unternehmen.

      Angesichts dieser Thatsachen unterzeichneten die Vertreter der Großmächte am 8. Mai 1852 in London ein Protokoll, worin sie unter Bezeichnung des Prinzips der Integrität Dänemarks als eines europäischen Bedürfnisses den Prinzen von Glücksburg als dänischen Thronfolger anerkannten. Diese Erklärungen wurden überdies in Verträgen niedergelegt, welche jede der Mächte mit Dänemark abschloß.

      Das Ziel der Einverleibung Schleswigs hatten aber seit Jahrzehnten die in Kopenhagen einflußreichsten Politiker, die sog. Eiderdänen15, angestrebt; und man ging trotz der Londoner Verträge auf diesem Wege rücksichtslos weiter. Die deutsche Bevölkerung in Schleswig wurde durch schwer erträgliche Maßregeln gequält, und 1858 wurde Schleswig faktisch mit den rein dänischen Landesteilen vereinigt.

      Der Uebermut der Eiderdänen steigerte sich nach der Berufung Bismarcks zum Ministerpräsidenten, da man sich erinnerte, wie er als Landtagsabgeordneter im Jahre 1849 die Unterstützung der schleswig-holsteinischen Erhebung durch „königlich preußische Truppen“ verurteilt hatte. So eilten sie, auch durch vielfache englische Sympathiekundgebungen getäuscht, ihrem Verhängnisse entgegen.

      Nach vorbereitenden Schritten kam es im November 1863 zu gesetzlicher Feststellung einer Gesamtstaatsverfassung, welche Schleswig vollständig inkorporierte und Holsteins Rechte ignorierte. Dieselbe sollte am 1. Januar 1864 in Kraft treten.

      Gegen diesen flagranten Bruch der übernommenen Verpflichtungen konnte auf zwei Wegen Ausgleichung gesucht werden.

      Man konnte den Londoner Vertrag für hinfällig erklären und ohne einen speziellen Rechtstitel gegen Dänemark Krieg wegen Schleswig führen, mit der Gewißheit, dadurch alle Großmächte herauszufordern, welche 1852 Dänemarks Integrität für ein europäisches Bedürfnis erklärt hatten.

      Oder man konnte unter Berufung auf den Vertrag dessen Erfüllung von dänischer Seite fordern und nötigenfalls durch Krieg erzwingen, was eine natürliche Lösung des Vertrages in Aussicht stellte.

      Dieser ohne Verletzung des bestehenden Völkerrechts allein gangbare Weg schien aber unseren Abgeordneten zu lang und zu unsicher. Sogar Sybel charakterisierte diese Politik als eine „selbstmörderische“. Das Haus beschloß in einer Adresse an den König zu erklären, die Ehre und das Interesse Deutschlands erfordere die Anerkennung und Unterstützung des Erbprinzen von Augustenburg als Herzog von Schleswig-Holstein.

      * * *

      In der Neujahrsnacht kamen zu Bismarcks außer mir nur Verwandte. In dem auf der Straßenseite des Hauses vor dem chinesischen Saale gelegenen Eßzimmer stand der Weihnachtsbaum, eine stattliche Tanne, von der der Weihnachtsschmuck entfernt war. Bismarck nahm einen Hirschfänger, trennte damit nach und nach die Zweige vom Stamme, warf sie einen nach dem andern in den Kamin und freute sich mit der Jugend am Prasseln der Tannennadeln. Währenddessen bereitete die gütige Hausfrau mit eigentümlicher Anmut den Silvesterpunsch und setzte die Bowle nahe dem Kamin auf einen kleinen Tisch, an welchem neben Bismarck und seinem Schwager (Arnim) auch ich einen Platz erhielt. Der Minister prüfte den Punsch und sagte dann, zu seinem Schwager gewendet, in ruhigem Tone:

      „Die ‚up ewig Ungedeelten‘16 müssen einmal Preußen werden. Das ist das Ziel, nach dem ich steuere; ob ich es erreiche, steht in Gottes Hand. Aber ich könnte nicht verantworten, preußisches Blut vergießen zu lassen, um einen neuen Mittelstaat zu schaffen, der am Bunde mit den andern immer gegen uns stimmen würde.“

      „Der Erbprinz von Augustenburg, den jetzt die öffentliche Meinung in Deutschland protegiert, hat gar kein Successionsrecht17. Die Entsagung des Vaters zu seinen Gunsten ist ohne rechtliche Wirkung, da der Vater seit 1852 selbst kein Recht mehr hatte. Wegen seiner Parteinahme gegen Dänemark in den Kriegen von 1848‒50 dachte man in Kopenhagen daran, seine schleswigschen Güter zu konfiszieren. Erst infolge unserer Vermittelung wurden ihm die Güter für 2 ½ Millionen dänischer Thaler unter der Bedingung abgekauft, daß er für sich und seine Familie allen Successionsansprüchen auf Schleswig-Holstein entsagte. Wie das geschah, weiß niemand genauer als ich, da ich die Verhandlungen mit ihm in Frankfurt zu führen hatte. Das viele Geld wurde bei mir auf der Gesandtschaft deponiert. Nach einigen Wochen hatte ich das ganz vergessen und suchte in einem für gewöhnlich verschlossen gehaltenen Schrank nach einem Aktenstück. Da fand ich zu meiner Ueberraschung die dänischen Millionen wohlverpackt unter alten Akten begraben. Welcher Leichtsinn, dachte ich; aber nach längerem Ueberlegen fand ich doch nichts Klügeres, als sie wieder unter die reponierten Akten zu legen, die ja keine angreif’sche Ware sind. Dort blieb das Geld bis zur Auszahlung.

      „Ein besonderes Glück ist, daß man in Wien auch nicht an den Augustenburger glaubt. Graf Rechberg, der mein Kollege in Frankfurt war, kennt die Sache ganz genau. Er ist auch der Meinung, daß nur der Londoner Vertrag uns berechtigt, die Dänen zur Erfüllung ihrer darin für Schleswig übernommenen Verpflichtungen anzuhalten. Rechberg ist seiner Natur nach konservativ. Die übereilten Anerkennungen des Erbprinzen als Herzog vonseiten Koburgs, Badens, des Nationalvereins und aller demokratischen Elemente in Deutschland haben ihn geärgert. Für die Mittelstaaten hat er seit dem gänzlichen Mißlingen des Fürstentag-Projektes nichts übrig. Neuerlich hat er auch die unruhigen Bemühungen des bayrischen Gesandten am Bundestage für den Augustenburger übel vermerkt. Kurz, wir sind bis jetzt ein Herz und eine Seele. Wie lange es später zusammengehen wird, weiß ich nicht, aber der Anfang ist gut; und die Halsstarrigkeit der Dänen wird uns wahrscheinlich schaffen, was wir brauchen, nämlich den Kriegsfall.“

      Es war dies das erste und letzte Mal, daß ich den Minister im Familienkreise ausführlich über die auswärtige Politik habe sprechen hören. Gewöhnlich suchte er im Salon die Tagesfragen zu vergessen und sich durch Unterhaltung über andre Dinge zu erfrischen. An jenem Silvesterabende aber schien es ihm Vergnügen zu machen, zweien Zuhörern, deren begeisterter Zustimmung er gewiß sein konnte, das Endziel seiner augenblicklichen Aktion zu enthüllen.

      In derselben Woche18 fand in Gegenwart des Königs und des Kronprinzen eine Sitzung des Staatsministeriums statt, in welcher Bismarck die Annexion der Elbherzogtümer als das wünschenswerte Ziel der einzuleitenden Unternehmungen hinstellte. Irgendeine zustimmende Aeußerung wurde aber nicht laut.

      Das Geheimnis dieser amtlichen Erklärung wurde nicht völlig bewahrt. Auf einem Balle im königlichen Schlosse erzählte mir eine gefeierte Dame, ein früherer Minister der auswärtigen Angelegenheiten habe ihr soeben gesagt: „An die Möglichkeit der Annexion von Schleswig-Holstein werden Sie doch nicht glauben! Das ist ja barer Unsinn.“ Baron Schleinitz galt als ein