Beim Gabelfrühstück sprach er über die kaum erträglichen Verhältnisse am Bundestage; von Oesterreich geführt, versuchten die Mittelstaaten oft mit Erfolg, uns zu majorisieren.
Es drängte mich, Folgendes zu sagen: „Vor vier Jahren haben Ihre Kammerreden mir klargemacht, daß die damals beabsichtigte Unionsverfassung für uns nicht paßte. Dennoch glaube ich, daß der Grundgedanke der Union unter andren Formen in Norddeutschland einmal verwirklicht werden wird. Der Selbsterhaltungstrieb kann uns dahin drängen. Freilich wissen wir seit 1850, daß das ohne einen Krieg im Süden nicht abgeht. Diesen Kampf können wir vielleicht nur aufnehmen zu einer Zeit, in der Oesterreich noch anderswo beschäftigt ist; auch müßten wir darauf rechnen dürfen, nicht von Osten oder Westen her gestört zu werden. Dazu gehört viel Glück. Aber unser Staat ist noch jung; und warum soll ein junger Mensch nicht nach vielem Kummer auch einmal Glück haben? – Ich wenigstens hoffe das noch zu erleben. Der Anschluß Süddeutschlands mag vielleicht ein Menschenalter später kommen.“
Bismarck trank mir lebhaft zu und sagte: „Gewiß denke auch ich so etwas zu erleben. Solange Metternichs Grundsatz Geltung hatte, daß die beiden Großmächte am Bunde immer einig auftreten müßten, da mochte die Sache gehen. Aber das jetzige System der Vergewaltigung Preußens am Bunde ist für uns auf die Dauer nicht erträglich. Wie viele Jahre vergehen mögen, bis einmal die Waffen entscheiden, und unter welchen Umständen die Auseinandersetzung erfolgt, das kann heute niemand wissen; dahin kommen aber muß es, wenn man in Wien fortfährt, keine Vernunft anzunehmen.“
Er schlug vor, bei dem schönen Wetter hinauszureiten. Frau von Bismarck bestieg eine elegante Rappstute. Es ging in den noch mit rötlichem und gelbem Laube geschmückten Stadtwald. Auf guten Reitwegen wurde flott galoppiert.
Kurz vor dem Diner saß ich am Klavier, als Bismarck leise ins Zimmer kam und hinter meinen Stuhl trat. In einem Spiegel sah ich, daß er seine ausgestreckten Hände über meinen Kopf hielt, nur einige Sekunden lang. Dann setzte er sich an ein Fenster und blickte in die Abenddämmerung hinaus, während ich weiterspielte.
Beim Mittagessen (5 Uhr) erzählte er von seinem Anteil an der Bildung des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel genau so, wie die „Gedanken und Erinnerungen“ diese Begebenheiten des Spätherbstes 1848 darstellen.
Die Sitzung dauerte bei Wein und Cigarren ziemlich lange. Dann gab es wieder etwas Musik. In der Nacht fuhr ich nach Mainz, um das Dampfboot zu erreichen, das am frühen Morgen nach Köln abgehen sollte.
* * *
In Paris erfuhr ich, daß das Gesandtschaftsarchiv für mich nicht zugänglich und daß die erwähnte Zusage Usedoms eine unbegreifliche Abweichung von den bestehenden Grundsätzen gewesen sei.
Frau v. Bismarck schrieb mir (22. Januar 1854) nach Paris:
„Am 19. November war bei uns der erste Ball. Der Vortänzer war in der hiesigen Gesellschaft noch nicht sehr bekannt, aber dennoch endigte der Kotillon, wie mir schien, recht heiter. Anfangs Januar hat man wieder bei uns getanzt unter der Leitung unsers ehemaligen Attaché des Grafen Theodor Stolberg, der von den Frankfurter Damen unaussprechlich geliebt wird, und das Vergnügen war deshalb ohne Grenzen. Wahrscheinlich wird noch ein kleines Zauberfest in den nächsten Tagen bei uns stattfinden und zum Schluß ein ganz großes, wozu wir den jugendlichen Grafen wieder entloben möchten, weil wir dann gewiß sind, daß alle Gemüther befriedigt davongehen, wenn der Reigen verhallt ist. Man ist unendlich aufgeregt in diesem Winter, fast jeder Tag bringt eine neue Lustbarkeit mit sich – und wenn ich mich dabei auch wenig anstrenge, so ermüdet’s mich doch schließlich sehr. Ich werde mich deshalb nächstens ein wenig zurückziehen, um nicht ewig dasselbe zu sehen und zu sprechen. Ich finde, man wird schrecklich langweilig durch so viele Vergnügungen und träge dazu. Trotz aller guten Vorsätze spiele ich fast gar nicht, will mich aber ganz gewiß bessern.“
Als ich nach Rom kam, war Usedom auf viele Monate beurlaubt. Meine geschäftliche Neugierde konnte ich daher auch hier nicht befriedigen.
In Sicilien erhielt ich Anfang Juni von Frau von Bismarck die Nachricht, ich würde sie und ihren Gemahl bei meiner Rückkehr (Ende Juli) nicht mehr in Frankfurt finden. Sie schrieb:
„Es ist im Rath der Weisen beschlossen und hundertfach beschrieben und besprochen worden, daß ich Ende Juni mit Sack und Pack, d. h. mit drei Kindern, drei Bonnen, einem Diener und Frl. v. Rekow2, nach Pommern aufbrechen soll, wo ich drei Monate lang durch alle Tonarten hindurch Freundschaft zu schwärmen gedenke. Bismarck3 kann mich leider noch nicht begleiten, aber ich hoffe, er folgt mir im Juli, wo er Ferien zu erpressen hofft, die ich ihm von Herzen gönne, weil er augenblicklich so europa- oder bundesmüde ist, daß seine Klagen einen Stein erbarmen könnten, um wie viel mehr nun mich, sein getreues Ehegemahl. …
„Von unserem Leben läßt sich wenig sagen. Spiel und Tanz sind verklungen und ein Tag geht wie der andre hin ohne bemerkenswerthe Abwechselung, aber sehr angenehm still und ruhig; d. h., nur auf die letzten 8 Tage paßt dies, wo Bismarck wieder einmal fort ist, sonst haben wir gerade auch in diesen Monaten viel Trubel gehabt. Besuch aus Kurland, oder eigentlich aus Italien, aber Kurländer waren es doch, die in ihrem kalten Norden mit manchem Sehnsuchtsseufzer nach italienischem Himmel zurückkehrten. Es tauchen seit zwei Jahren hin und wieder sehr liebenswürdige Universitätsfreunde von Bismarck auf, deren Bekanntschaft mir viele Freude macht; so auch die von Graf und Gräfin Keyserling, die eben vor 8 Tagen einige Zeit hier und immer mit uns zusammen waren … Wenn Sie bei Ihrer Rückreise einen Tag in Frankfurt bleiben, wollen Sie dann nicht Frau v. Eisendecher besuchen, die Sie ja schon kennen? Sie ist sehr liebenswürdig und geistvoll.
„Vielleicht macht es Ihnen auch Vergnügen, die Familie des Malers Professor Becker aufzusuchen, welche sehr intim mit Mendelssohn gewesen sind und mir in diesem Winter, wo ich sie kennen lernte und herzlich lieb gewann, recht viel und oft von Ihrem Freunde erzählt haben. Frau Becker hat für mich eine sehr anziehende Stimme. Ich mag mitunter recht gern die weichen, sanften Melodien ohne Leidenschaft, und solche singt sie sehr hübsch, recht hell und klar und herzerfreuend wie ein stiller, warmer Frühlingsabend. Beckers sind sehr liebe Leute, die ich viel öfter sehen möchte, wenn ich nur könnte.“
Außer zwei damals noch unerwachsenen Kindern bestand diese Familie, die ich 1855 kennenlernte, aus dem Elternpaar und zwei Töchtern, deren einefrüh verstarb (1859), die andere 1861 Herrn Meister heiratete, einen Mitbesitzer der bekannten Höchster chemischen Fabrik.
Für Frau Marie Meister hat seit jener Zeit Frau von Bismarck eine innige Zuneigung bewahrt und auch von Berlin aus vielfach bethätigt.
Mit der erwähnten Frau von Eisendecher, Gemahlin des damaligen Oldenburgischen Bundestagsgesandten und Mutter des heutigen preußischen Gesandten in Karlsruhe, ist Frau von Bismarck ebenfalls lebenslang in heimlicher Freundschaft verbunden geblieben.
Ueber ihre Auffassung der Freundschaft schrieb sie gelegentlich (Mai 1856):
„Wenn ich einen Menschen lieb habe und ihm vertraue – was schadet’s, wenn „falsche falsche Zungen“ ihn verdächtigen wollen – ich laß’ sie reden, solange sie Lust haben, sie mögen erfinden, was ihr schlechtes Herz ihnen eingibt – mich stört’s nie und nimmer – ich freue mich, wenn ich Gelegenheit finde, meine Zunge zur Vertheidigung zu wetzen und wenn man nicht darauf hört – ist’s mir auch gleichgültig, ich weiß doch, was ich weiß – und wo ich einmal Vertrauen gefaßt, da ist’s auch niemals zu erschüttern und wenn eine ganze Welt mit Schmähreden aufstände … Wenn ich einmal Freundschaft zugesagt, so ist’s nicht für einen Tag oder einen Monat oder ein Jahr, sondern für’s ganze Leben – through glory and shame, through sorrow and joy.“
Diese Worte sind Jahrzehnte hindurch buchstäblich bewahrheitet worden. Noch heute leben Frauen und Männer, welche dankbar bezeugen, daß das ihnen geschenkte Wohlwollen der Fürstin durch nichts zu erschüttern gewesen ist.
Am 16. Januar 1855 schrieb Frau v. Bismarck aus Frankfurt:
„Als ich im November hierher zurückkehrte, feierte ich meinen Einzug mit einem großen Ball, der ja scheinbar die allgemeine Zufriedenheit erlangte. Dann war tiefe Stille in der Gesellschaft bis nach Weihnachten, wo sich nur