„Er war der verwegenste Reiter und stürzte öfters, einmal so gefährlich, daß ein anderer wohl nicht lebendig davongekommen wäre; aber seine Riesennatur trotzte jeder Störung.
„Die meisten Besuche, auch auf weite Entfernungen, machte er zu Pferde und brachte lebendigen Verkehr in die ganze Gegend.
„Er war ein vorzüglicher Jäger und oft König der Jagd. In Kniephof war das Jagddiner immer einfach, doch saßen wir, trinkend und rauchend, gewöhnlich bis in die tiefe Nacht. Bismarck war ein starker Zecher, aber niemals hat ihn jemand berauscht gesehen.
„Eines Abends wollte ich mit einem Freunde von Regenwalde nach Naugard fahren. Es war schon spät, als wir durch Kniephof kamen, und wir beschlossen, dort die Nacht zu bleiben. Bismarck empfing uns sehr freundlich, sagte aber sogleich, er könne uns am andern Morgen keine Gesellschaft leisten, da er schon um 7 Uhr nach Naugard fahren müßte. Das wollten auch wir. Er empfahl uns wiederholt, nicht so früh aufzubrechen, sagte aber endlich: ‚Gut, wenn ihr es denn nicht anders wollt, so werde ich euch um halb sieben wecken‘.
„Es war ziemlich spät, als er uns die Treppe hinauf zum Schlafzimmer geleitete. Vor dem Einschlafen sagte mein Gefährte: ‚Ich habe mehr getrunken, als ich gewohnt bin, und möchte morgen ausschlafen‘. ‚Das wird nicht gehen‘, sagte ich, ‚denn nach dem, was wir abgemacht haben, wird Bismarck uns um halb sieben mobil machen‘. ‚Abwarten‘, sagte der andre, verschloß die Thür und schob mit äußerster Kraftanstrengung einen schweren Schrank davor. Um halb sieben – es war schon hell – ruft Bismarck vor der Thür: ‚Seid ihr fertig?‘ Keine Antwort. Er drückt vergebens auf die Klinke und stößt mit dem Fuße die alte Thüre ein, kann aber des Schrankes wegen nicht weiter. Bald darauf ruft er im Hofe: ‚Seid ihr fertig?‘ Kein Laut. Sogleich krachen zwei Pistolenschüsse, die Fensterscheiben klirren, und Kalk von der angeschossenen Decke fällt auf das Bett meines Gefährten. Da gibt dieser das Spiel verloren, bindet ein Handtuch an seinen Stock und steckt es als Friedensfahne zum Fenster hinaus. Bald darauf waren wir unten. Bismarck empfing uns beim Frühstück mit gewohnter Liebenswürdigkeit, ohne seines kleinen Sieges zu erwähnen.
„Später war ich einmal mit mehreren Bekannten zur Jagd in Kniephof. Die nach der Jagd erforderliche Reinigung dauerte bei uns ziemlich lange. Da fielen in kurzen Pausen fünf Pistolenschüsse; wir hörten, wie die Kugeln in die Fensterkreuze einschlugen. Otto amüsierte sich, uns zu necken. Niemandem fiel es ein, daß er hätte vorbeischießen und einen von uns treffen können, denn wir kannten seine Pistole als unfehlbar sicher; aber der Effekt der Schüsse war doch eine merkliche Beschleunigung unserer Vorbereitungen zum Diner. Dann gab es eine scharfe Sitzung. Am andern Morgen fanden wir unsern Wirt nicht beim Frühstück, vermuteten ihn noch schlafend und fuhren möglichst geräuschlos fort, um zur Jagd bei einem ziemlich entfernt wohnenden Nachbarn nicht zu verspäten. Dort kam Otto uns lachend entgegen; er war auf seinem Lieblingspferde Caleb, einem großen, schnellen Braunen, vorangeritten, um uns zu überraschen.
„Wegen solcher lustiger Streiche nannte man ihn damals den „tollen Bismarck“; wir wußten aber genau, daß er viel klüger war, als wir alle zusammen.
„Vor längerer Zeit ritt er eines Tages auf Caleb neun Meilen (63 km), um in dem Badeorte Polzin den Abend zu tanzen und dabei eine viel umworbene junge Dame kennenzulernen. Er machte ihr den Hof, schien ihr zu gefallen und dachte an Verlobung. Am folgenden Tage aber gab er diesen Gedanken auf, weil er erkannte, daß ihr Charakter nicht zu dem seinigen paßte. Tief verstimmt ritt er in der Nacht nach Hause. Quer durch einen Wald galoppierend, stürzte Caleb in einen breiten Graben. Bismarck wurde mit dem Kopf gegen einen Hügel geschleudert und blieb einige Zeit bewußtlos liegen. Als er erwachte, sah er beim Mondschein den treuen Caleb neben sich stehen, stieg auf und ritt ganz langsam nach Hause.
„Nach dieser Begebenheit, die ihn, wie er erzählte, einigermaßen erschüttert hatte, war eine Zeit lang wenig von ihm zu hören.
„Bismarcks alter Schulfreund Blanckenburg-Zimmerhausen hatte im Herbst 1844 eine entzückende junge Frau geheiratet, die Tochter des Herrn von Thadden-Trieglaff. Bei Blanckenburgs und Thaddens verkehrte er nun viel. In diesen Häusern wehte ein Geist echter Frömmigkeit und das schien ihm sehr zuzusagen.
„Leider starb im Spätherbst 1846 Frau von Blanckenburg. Bald darauf verpachtete Bismarck seine pommerschen Güter. Da legten wir alle Trauer an. Wir hoffen aber, ihn von Zeit zu Zeit hier wiederzusehen, da er vor einigen Wochen eine Perle des Pommerlandes heimgeführt hat, die Johanna Puttkamer.“
So plauderte Marwitz. Alle diese kleinen Geschichten sind mir später noch von anderen pommerschen Herren, großenteils auch von Bismarck selbst, mit denselben Einzelheiten erzählt worden.
Durch Marwitz angeregt, besuchte ich in jener Zeit den trauernden Witwer Blanckenburg in Zimmerhausen. Auch dieser Freund Bismarcks erzählte gern und viel von ihm.
„Ich kannte ihn schon als Nachbarskind,“ sagte er, „da seine Eltern während unserer Kindheit in Kniephof lebten. Später waren wir ein paar Jahre gleichzeitig auf dem Berliner Gymnasium zum Grauen Kloster. Er erschien mir schon damals als ein rätselhafter Mensch; nie sah ich ihn arbeiten, oft spazieren gehen, und doch wußte er immer alles und hatte immer alle Arbeiten fertig. Dann waren wir lange Zeit getrennt, bis er wieder in unsere Gegend kam.
„Er trieb mehrere Jahre Landwirtschaft, fühlte sich aber davon nicht befriedigt und machte im Winter 1843/44 noch einen Versuch, sich bei der Regierung in Potsdam beschäftigen zu lassen, wo er früher schon einmal als Referendar gearbeitet hatte. Das wollte aber nicht glücken. Die Vorgesetzten langweilten, der schleppende Geschäftsgang erbitterte ihn. Der Oberpräsident, ein fleißiger Bureaukrat der alten Schule, hatte kein Verständnis für den außergewöhnlichen Menschen. Er schrieb eines Tages eigenhändig eine Verfügung, welche mit den Worten anfing: ‚Mir ist im Leben schon manches vorgekommen, aber noch kein Referendarius mit 63 Resten.‘ Zu mündlicher Verwarnung citiert, erzählte Bismarck dem Oberpräsidenten harmlos von den Berieselungsanlagen „auf seinen Gütern“ und von anderen landwirtschaftlichen Neuerungen. Es war vernünftig, daß er Potsdam bald wieder verließ. Nach Kniephof zurückgekehrt, fand er Gelegenheit, den Landrat des Naugarder Kreises, seinen Bruder, lange Zeit hindurch zu vertreten, und machte das ganz vorzüglich.“
„Nach meiner Verheiratung1 war er sehr viel bei uns. Wir hatten zusammen regelmäßige Shakespeareleseabende. Er fühlte, wie unser Leben durch den Glauben beglückt war und strebte ernstlich danach. Ich gab ihm manches Gute zu lesen; er sagte aber mehrmals, er könne sich nicht überzeugen. Schon gab ich fast alle Hoffnung auf. Da kam er eines Tages und sagte, ihm sei geholfen. Gott habe ihn auf den Rücken geworfen und stark geschüttelt. Da sei ihm der Glaube gekommen, zu dem er sich nun freudig bekenne.
„Wir, meine selige Frau und ich, waren tief ergriffen von diesem Wunder. Unser Verkehr mit Bismarck wurde nun noch inniger.
„Anfangs vorigen Jahres sagte er einmal: ‚Die Landwirtschaft gibt mir nicht genug zu thun; übers Jahr möchte ich entweder eine Frau haben oder ein Amt.‘ Sein Gebet ist erhört worden; er hat die beste Frau gefunden und eine politische Führerstellung errungen, die ihm vielleicht mehr zu thun geben wird wie ein Staatsamt.“
So erzählte Blanckenburg.
Bismarck hat bekanntlich in vielen veröffentlichten Briefen sowie in mehreren Parlamentsreden mit frohem Mut von seinem evangelischen Glauben Zeugnis abgelegt. In Privatgesprächen äußerte er als Gesandter wie als Minister, mehrmals, daß früher, ehe er glaubte , das ganze Leben für ihn wenig Wert gehabt habe. Der Glaube heilige die Pflichterfüllung. In der Zeit des Verfassungskonfliktes habe er nur durch den festen Ankergrund des Glaubens die Kraft gefunden, alle Stürme und Gefahren zu bestehen.
Das Glück des Glaubens wünschte er jedem Freunde, ohne jemals danach zu fragen. Als aber einmal ein befreundeter Ausländer seinen Unglauben offen bekannte, sagte er: „Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Gott Sie stark zu Boden wirft und durchschüttelt; das könnte Ihnen helfen.“ ‒
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Im Winter 1847/48 kam Blanckenburg einmal zu einer