„Bismarck jagt heute, ich weiß nicht wo, bei Berlin mit Seiner Majestät. Er ist seit 8 Tagen zwischen Berlin und Potsdam in ewiger Bewegung hin und her und gedenkt am 19. wiederzukommen, hoffentlich mit ganz sicheren Friedensnachrichten.“4 …
Frankfurt, August 1855.
… „Bismarck war wirklich recht krank, ich nur etwas, an wehen Augen, und wir sollten beide durchaus nach Kissingen, wozu wir nicht die mindeste Lust hatten, weil ich Eltern und Kinder nicht verlassen mochte und Bismarck durchaus keine Diät halten wollte. So wurde er denn zur Erholung von allem Bundesärger auf Reisen geschickt und ich dazu verurtheilt, hier Brunnen zu trinken, was ich nun auch ganz artig seit drei Wochen vollführe und dabei das Haus- und Kinderwesen in Ordnung zu halten mich bestrebe, im unaussprechlichsten Tugendgefühl! – Bismarck hat in Paris den königlich englischen Einzugs- und Abzugs-Trubel mitgemacht und ist jetzt nach Ostende; wo er verschiedene Bekannte sehen will und dann heimkehren, vielleicht in 8 Tagen. Wenn der Herbst dann nicht schon in seiner ganzen Rauheit über uns gekommen ist, so möchten wir noch sehr gern auf kurze Zeit etwas Studentenleben am Rhein führen.“ …
5. September.
… „Bismarck und ich sind eben 8 Tage in der Rheinregion gewesen auf Anlaß der königlichen Herrschaften, die sich ja einige Zeit in Stolzenfels aufhielten. Wir sind auf hohen Befehl bis Remagen mitgereist, wo Graf Fürstenberg seine wunderschöne Apollinaris-Kirche zeigte und später ein großes Frühstück auftischte.
„Dann fuhren König, Königin und Prinzen mit sämtlichem Gefolge zu Schiff gen Köln, wir aber zogen landeinwärts durch das wundervolle Ahrthal, dessen Stille und Frische uns nach allem Trubel der letzten Tage sehr wohlthat. Den andern Tag schwärmten wir am Laacher See und im Brohlthal umher und schlossen mit St. Goar, von wo wir gestern früh heimkehrten, um von allen Freuden in stiller Zurückgezogenheit auszuruhen.“
* * *
Im Oktober besuchte ich die Pariser Weltausstellung und blieb auf der Rückreise drei Tage in Frankfurt.
Am ersten Morgen erzählte Bismarck, wie er einem polizeilich verfolgtem jungen Manne zur Flucht verholfen hatte:
„Ich erhielt vor Kurzem von Berlin den Auftrag, die hiesige Polizei zu veranlassen, einen politisch kompromittierten Jüngling zu verhaften. Nun ist es wirklich nicht wohlgethan, einen fähigen jungen Menschen, der auf einen falschen Weg geraten ist, durch Verfolgung und Bestrafung als Umstürzler abzustempeln. Es ist sehr möglich, daß er von selbst zur Vernunft kommt, wie es manchen Achtundvierzigern ergangen ist. Ich erstieg also frühmorgens die drei Treppen zu der Wohnung des jungen Mannes und sagte ihm: „Reisen Sie so schnell als möglich ins Ausland.“ Er sah mich etwas verwundert an. Ich sagte: „Sie scheinen mich nicht zu kennen; vielleicht fehlt es Ihnen auch an Reisegeld. Nehmen Sie hier einige Goldstücke und machen Sie, daß Sie schnell über die Grenze kommen, damit man nicht sagt, daß die Polizei wirksamer operiert als die Diplomatie.“ Am folgenden Tage hat die Polizei ihn natürlich nicht mehr gefunden.“
Diplomaten oder Patrizier habe ich weder bei diesem noch bei späteren Besuchen in der Gesandtschaft kennengelernt. Man benutzte die sonnigen Herbsttage zu weiten Spazierritten. Zwei Abende wurden durch die Anwesenheit der Familie Becker verschönert.
Bismarck erzählte gern von den Eindrücken der in Paris verlebten Augustwochen. Der Kaiser Napoleon galt damals in der öffentlichen Meinung Deutschlands als einer der klügsten Männer der Welt, dem wie durch Zauber alles zu gelingen schien, was er unternahm, und dessen geheimen oder offenbaren Einfluß man bei allen Vorkommnissen in Europa als selbstverständlich zu betrachten gewohnt war. Bismarck aber schilderte ihn anders, auf Grund mehrfacher Beobachtungen. Sein Verstand, meinte er, sei keineswegs so überlegen, wie es die Welt glaube, und sein Herz nicht so kalt. Manche gemütliche Saiten klängen bei ihm an und er sei im Grunde gutmütig. „Es könnte unter Umständen recht nützlich sein, mit ihm politische Geschäfte zu machen.“
Die „Gedanken und Erinnerungen“ geben (Band I, Seite 149 bis 155) dieselben Mitteilungen über die im J. 1855 in Paris erhaltenen Eindrücke, wie sie mir damals in Frankfurt gewährt wurden.
* * *
Frau von Bismarck schrieb am 30. Dezember 1855:
… „Um die Weihnachtszeit war Bismarcks Herz unglaublich großmütig liebend gestimmt, so daß er mir zu meiner unendlichen Ueberraschung einen herrlichen andreeschen Mozartflügel unter dem Weihnachtsbaum aufbaute – wirklich und wahrhaftig – und sehr wunderschön, nicht den, welchen Sie versucht, der war verkauft; aber dieser ist reichlich ebenso gut und ich strenge ihn täglich so viel an, daß es meiner Mama schon zu viel wird. Der Eifer wird sich später auch wohl wieder legen, aber jetzt bin ich wirklich in einer glückseligen musikalischen Entzückung.
… „Wir leben unendlich eingezogen in diesem Winter. Durch den plötzlichen Tod der Frau von Vrints ist eine so trübe und gedrückte Stimmung in die Gesellschaft gekommen, deren belebendes Prinzip sie seit langer Zeit gewesen, daß niemand an Feste denken wird. Diese Frau wurde so mitten in der vollen Lebenskraft und Lebensluft hingerafft; sie wird von vielen sehr betrauert, von allen sehr vermißt werden. – Beckers sehen wir hin und wieder und Frau von Eisendecher, sonst fast niemand.“
Frankfurt, Mai 1856.
… „Gestern fuhren wir mit Beckers nach Wilhelmsbad, um Schatten unter Ur-Eichen zu suchen in dieser gewaltigen Hitze. Sie sangen vierstimmig „Der Schnee zerrinnt, der Mai beginnt“ – mir ganz neu, aber reizend wie alle Mendelssöhne – und draußen und drinnen ist’s so herrlich, daß man gar nicht weiß, was man beginnen soll vor ausgelassener Freude. Die heißen Vormittagsstunden vergräbt man sich in dunkle Gartenzimmer und nachmittags wird geritten und gefahren in den unaussprechlich wundervollen Wald oder in’s nicht minder schöne Gebirge. So geht’s alle Tage. Und dieser Mai ist schöner wie alle zuvor.“
Frankfurt, 7. Februar 1857.
… „Anfangs des Jahres ging’s sehr lustig bei uns her – all überall – jetzt ist es still wie in der Wüste Gobi und ich lebe deßhalb in sehr glücklichem Verkehr mit meinen lieben Beckers, die mir recht „je länger je lieber“ geworden sind.“
Zu Ostern 1857 verlebte ich einige Tage in Frankfurt. Bismarck war, einem vom Kaiser Napoleon kundgegebenen Wunsche folgend, kurz vorher nach Paris gereist und seine Rückkehr wurde täglich, aber vergebens erwartet. Ich mußte, ohne ihn gesehen zu haben, nach Potsdam zurück. Dort erhielt ich folgende Mitteilungen:
Frankfurt, 20. 4.
… „Bismarck schließt jeden Brief mit dem Wunsch, Sie zu sehen. Ich schrieb ihm von der Möglichkeit Ihrer Wiederkehr zu Pfingsten, was er aber gar nicht berücksichtigt, vielleicht weil er wieder allerhand gütige allerhöchste Absichten bis dahin voraussieht. Der Stümper ist nun einmal zum königlich-preußischen Irrwisch bestimmt. Er schreibt nur: mache, daß Keudell bleibt oder wiederkommt, wenn ich da bin.“ …
Den 22. 4.
„Er ist gekommen, endlich – und bleibt für’s Erste doch 8 Tage hier – und da das Gewisse immer besser ist wie’s Ungewisse, so geben wir Diest5 auf, um Sie sicher zu haben. Wer weiß, was Pfingsten ist und wo wir vielleicht alle miteinander zerstreut sind. Deshalb, bitte, nur schnell lieber Freund. Wir erwarten Sie mit innigster Freude und heißen Sie herzlich willkommen zu jeder und jeder Stunde.“ …
Am Morgen nach Empfang dieses Briefes war ich wieder in Frankfurt. Am Frühstückstisch saßen wir