„Vielleicht reiner Zufall?“, mutmaßte sie.
„Es gibt keine Zufälle, meine Liebe. Lassen Sie sich das von einem Mann gesagt sein, der das Leben kennt.“
Sie zog eine Grimasse. „Ja, Opa.“
Maggie wurde dann nachdenklich. „Das alles ist mehr als nur merkwürdig für mich, Kevin. Aber meinetwegen, wenn es Ihnen Spaß macht, setzen wir uns heute Abend ans Schachbrett. Doch gleich denke ich, wird erst einmal die Polizei kommen, und außerdem wartet auch unsere Arbeit nicht.“
„Sie können heute trotzdem ausspannen, wenn Sie wollen“, erwiderte Kevin mit warmer Stimme.
Es war nicht zu übersehen, dass er die junge Frau schützen wollte.
7
Der Inspektor hieß Glenbright und hielt ihre Geschichte offensichtlich für absurd und unglaubwürdig.
„Ist es Ihre tägliche Angewohnheit, Anhalter mitzunehmen? Noch dazu am Abend?“, fragte er süffisant.
In Maggie tobte die Empörung, aber sie blieb ruhig, noch.
„Es war miserables Wetter, Inspektor. Und hier draußen sind wir gastfreundlich und hilfsbereit. Ich weiß nicht, es kann ja sein, dass es bei Ihnen in der Stadt nicht so ist. Wir hier jedenfalls sind immer bereit, jemanden mitzunehmen. Was allerdings nicht allzuoft vorkommt.“
„Und es hat Sie gar nicht gestört, dass Sie den Mann nicht kannten, und dass er augenscheinlich betrunken oder verletzt war?“ Wieder dieser süffisante, ungläubige Tonfall.
Kevin McBride, der auf Maggies Bitte hin dem Verhör, wenn es denn ein Verhör war, beiwohnte, mischte sich jetzt ein. Ihm gefiel der Verlauf dieser Unterredung nicht. Es klang fast so, als wäre seine Assistentin eines Verbrechens angeklagt.
„Mir ist in diesem Fall nicht ganz klar, worauf Sie hinauswollen, Inspektor“, sagte er leise, aber scharf. „Miss O’Connor hat Ihnen schon fast minutiös den ganzen Ablauf geschildert. Sie trifft keine Schuld an diesem Vorfall. Im Gegenteil, sie hat nur das getan, was jeder andere hier auch gemacht hätte. Sollten Sie nicht eher zusehen, dass Sie den Wagen ausfindig machen, der mit daran beteiligt war? Im Übrigen hat Miss O’Connor einen Schock und bedarf der Ruhe.“
Ein Blick traf den Tierarzt, als wäre er ein seltenes Insekt. „Sind Sie auch für Menschen zuständig, Doktor, oder woher beziehen Sie Ihre Weisheit? Auf mich macht Miss O’Connor einen durchaus gesunden Eindruck. Und ich werde sicher nicht mehr lange brauchen.“
„Jeder Tierarzt beherrscht auch die Grundlagen der Humanmedizin“, entgegnete McBride scharf.
„Ja, ich verstehe“, meinte der Inspektor und wandte sich wieder Maggie zu. Sie war etwas verstimmt, allein schon über die Anrede. Warum nannte dieser ungehobelte Polizist ihren Chef Doktor und verweigerte ihr diese Anrede? Sie hatte ihren Titel ebensogut wie er. Doch sie schwieg dazu, sie wollte diese unmögliche Diskussion nicht noch verlängern.
„Also, was wollen Sie noch wissen?“, fragte sie müde.
Das Telefon klingelte, und McBride nahm ab. „Ja, ich komme gleich“, sagte er dann, nachdem er eine Weile zugehört hatte. „Willie Gosburns Schafe sind weggelaufen, und zwei haben sich in einer Felsspalte verfangen.“
„Dann haben Sie jetzt eine Menge Arbeit“, stellte der Inspektor wie befriedigt fest. Es klang wie eine Verabschiedung in seinem eigenen Haus, und Kevin blickte wütend auf die beiden Beamten.
„Ich komme schon zurecht“, murmelte Maggie. „Fahren Sie ruhig.“
„Wenn noch ein Notfall hereinkommt, bin ich über Funk zu erreichen. Die Sprechstunde sollten Sie heute ausfallen lassen, Maggie. Sie brauchen wirklich noch Ruhe.“
Maggie sagte ihm nicht, dass sie sehr wohl in der Lage war, selbst zu beurteilen, wie sie sich fühlte, sie spürte seine Sorge. So machte sie nur eine Handbewegung, wie als Verabschiedung.
Eine halbe Stunde später verließ auch der Inspektor mit seinem Assistenten das Haus. Er sah nicht sehr zufrieden aus, als er in seinen dunklen, unauffälligen Wagen stieg, aber Maggie war sicher, ihm alles gesagt zu haben, was ihm weiterhelfen konnte. Aus irgendeinem Grund jedoch, den sie sich selbst nicht erklären konnte, hatte sie ihm die Sache mit der Schachfigur verschwiegen. Es mochte wichtig sein oder nicht, sie wollte ganz einfach nicht noch mehr Fragen provozieren. Und außerdem war sie eigentlich selbst daran interessiert, was es mit diesem ominösen Schachspiel auf sich hatte.
Entgegen der Empfehlung McBride hielt sie doch die tägliche Sprechstunde ab, da Kevin noch nicht zurückgekehrt war. Zum einen wollte sie nicht die Leute enttäuschen, die teilweise einen langen Weg mit ihren kranken Tieren hinter sich hatten, zum anderen hielt sie Arbeit für die beste Medizin und Ablenkung.
Da war Mrs. Cooper, die mit ihrem altersschwachen Pudel zur wöchentlichen Kontrolle kam. Eigentlich wäre es für das Tier an der Zeit gewesen, eingeschläfert zu werden, aber wer wollte der fast neunundsiebzigjährigen Frau beibringen, dass ihr bester und einziger Freund besser tot wäre. Außerdem war Mrs. Cooper so gezwungen, sich selbst regelmäßig zu bewegen, indem sie für das Tier sorgen musste. Das hielt sie einigermaßen fit.
James Claeburn kam mit seinem Schäferhund, der einen Kampf mit einem Labrador hinter sich hatte. Die Wunden heilten gut, und Maggie war zufrieden.
Die Kinder der Claymores kamen mit ihren jungen Kätzchen, um sie impfen zu lassen. Und so war Maggie abgelenkt, bis Kevin müde, schmutzig, aber hochzufrieden wieder auftauchte.
„Sie waren ja doch fleißig“, bemerkte er. Maggie lachte.
„Es machte mir einfach Spaß. Wie wäre es mit einer Tasse Tee? Ich habe gerade frisch aufgebrüht.“
„Sie sind ein notorischer Lebensretter, Maggie. Gab es sonst noch etwas Besonderes?“ Er vermied es bewusst, das Gespräch noch einmal auf den Besuch der Polizisten zu bringen, Maggie hatte genug für diesen Tag.
„Nein“, erwiderte sie leichthin. „Keine Notfälle, keine Anhalter, keine Unfälle.“ Das klang äußerst ironisch.
„Werden Sie nur nicht zynisch“, warnte McBride mit einem Lächeln. Bevor Maggie etwas darauf erwidern konnte, klingelte wieder einmal das Telefon. Kevin nahm mit einem Seufzer ab.
„Mister Felton? Hallo, wie geht es Ihrer Stute? Es gibt doch keine Probleme?“ Er lauschte eine Weile, und als er dann sprach, war seine Stimme kühl und abweisend. „Nein, Miss Maggie wird heute nicht mehr kommen. Nach den gestrigen Vorfällen braucht sie Ruhe, das werden Sie doch verstehen, oder?“ Er lauschte wieder, seufzte dann tief auf. „Ja, Sie sprachen gestern schon davon. Gut, ich werde Sie fragen.“
Er hielt den Hörer zu und zog eine Grimasse. „Ihr Freund Felton ist dran. Seine Stute hat Fieber, sagt er. Halte ich aber nur für einen Vorwand. Er will Ihnen außerdem einen Wagen zur Verfügung stellen. Wollen Sie mit mir noch hinfahren? Ich gebe zu, ich bin davon nicht begeistert, dass er sich in Ihr Leben drängt.“
Maggie lachte auf. „Kevin, er will doch nur helfen. Noch bestimme ich allein, wer sich in mein Leben