Damian wirkte für einen Moment verblüfft, folgte dann aber der Einladung. Candarel warf ihrer Schwester einen triumphierenden Blick zu. Sie ging davon aus, dass dieser hochmütige Kerl jetzt aus dem Haus geworfen wurde. Wie konnte er es wagen, sich in dieser Form hier in Szene zu setzen?
Vivian jedoch glaubte nicht einen Moment an ein derart radikales Vorgehen ihres Vaters. Er musste andere Gründe haben das Gespräch mit Damian zu suchen. Und ein seltsam ängstliches Gefühl breitete sich in ihr aus. Was war mit ihrem Vater los? Etwas stimmte hier nicht! Und sie war ziemlich sicher, dass sich hier etwas zusammenbraute, das sie alle noch in Schwierigkeiten bringen konnte. Aber sie hätte niemals geahnt, um was es wirklich ging. Sie hatte nur ein ungutes Gefühl.
Die Bibliothek war ein hoher Raum, angefüllt mit Regalen bis zur Decke voller Bücher, von denen einige vermutlich älter waren als das Schloss selbst. Einige bequeme Sessel aus Leder standen um einen Tisch gruppiert, ein Kamin bot mit seinem Sims, auf dem sich eine beeindruckende Sammlung von Sportpokalen befand, einen interessanten Blickfang.
Lord Kenneth bot Damian einen Platz an und öffnete dann ein Regal, hinter dem eine gut bestückte Bar zum Vorschein kam.
„Darf ich Ihnen einen ganz besonderen Whisky anbieten, Mr. Amberwood? Er wird hier in der Nähe privat gebrannt. Ich verspreche Ihnen einen ganz und gar ungewöhnlichen Geschmack.“
„Gern.“ Damian war neugierig, wollte das jedoch nicht offen zeigen. Er setzte sich locker in den angebotenen Sessel und schnupperte gleich darauf erfreut und beeindruckt an seinem Glas. Das war ja wirklich ein ganz besonderer Tropfen, den Seine Lordschaft da besaß.
Lord Kenneth setzte sich Damian gegenüber, die beiden Männer prosteten sich zu, dann stellte der ältere sein Glas ab.
„Sie fragen sich bestimmt, was ich von Ihnen will, noch dazu mit einer solchen Heimlichkeit“, begann er etwas zögernd.
„Diese Frage habe ich mir gestellt, richtig. Doch ich nehme an, Sie haben gute Gründe, mit mir unter vier Augen reden zu wollen. Davon abgesehen“, lächelte Damian, „sind Sie der Herr auf Castle Ferristeen. Was immer Sie tun wollen, Sie sind niemandem Rechenschaft schuldig.“
„Das setzt voraus, dass ich moralisch so gefestigt bin, dass ich meine Anweisungen vor mir selbst vertreten kann. Ich danke Ihnen, dass Sie mir das zutrauen. Aber ich habe Sie wirklich nicht hergebeten, um mit Ihnen philosophische Betrachtungen auszutauschen. Und es ist auch eigentlich nicht meine Art, mit Menschen, die ich erst so kurze Zeit kenne, vertrauliche Gespräche zu führen. Und doch scheint mir die Situation bei Ihnen völlig anders. Ich habe Vertrauen zu Ihnen, und das liegt nicht allein daran, dass Sie das Herz meiner Tochter im Sturm erobert zu haben scheinen. Doch es gibt für mich ein Problem – nun, sagen wir, dass es sich um eine Frage handelt, die man vielleicht sogar philosophisch betrachten könnte; oder auch psychologisch. Und ich bitte Sie, hier in diesem Raum kein Blatt vor den Mund zu nehmen. – Was halten Sie von Geistern oder Flüchen?“
Augenblicklich war Damian gespannte Aufmerksamkeit. Der Lord redete wenigstens nicht lange um den heißen Brei herum.
„In welchem Zusammenhang, Euer Lordschaft?“
„Oh, bitte, tun Sie mir einen Gefallen – lassen Sie bitte die förmliche Anrede. Ich habe wirklich nichts dagegen, wenn Sie mich Kenneth nennen. Immerhin denke ich doch, dass ich Sie in nächster Zeit öfter hier sehen werde?“
Damian war doch etwas verblüfft. „Ist es so offensichtlich, dass ich Vivian – dass ich für Ihre Tochter ...“
Lord Kenneth lachte kurz auf, dankbar für diese kleine Ablenkung. „Wenn ich euch beide richtig verstanden habe, kennt ihr euch auch erst ein paar Tage. Aber es war wohl Liebe auf den ersten Blick, ja?“
Damian nickte, etwas verlegen und doch erleichtert, dass er nicht ausweichen musste.
„Ich kenne dieses Gefühl, ich hatte es bei meiner Frau ebenfalls – und es hielt an, bis zu ihrem Tod. Aber wir sind vom Thema abgekommen, Damian. Was also halten Sie von Dingen, auf denen ein Fluch liegt?“
„Es soll solche Gegenstände geben. Ich selbst hatte allerdings noch nie mit einem davon zu tun“, erwiderte er vorsichtig.
„Ich bin im Besitz eines solchen.“
„Interessant.“
Der Lord lachte bitter auf. „Sie sind vorsichtig und unverbindlich, das kann ich verstehen, Damian. Aber wenn es Sie nicht langweilt, werde ich Ihnen die Geschichte erzählen. Und dann möchte ich Ihre ehrliche Meinung dazu hören.“
„Gern.“ Damian setzte sich bequem hin und schaute den Lord aufmerksam an.
Lord Kenneth ging zu seinem Schreibtisch, nestelte mit einigen Schlüsseln herum und holte dann schließlich tief unten aus einem Fach eine Schatulle hervor, schwarz, schmucklos und unscheinbar. Er klappte den Deckel auf – und Damian schnappte nach Luft.
„Dann will ich Ihnen die Geschichte erzählen – die Geschichte eines Hundert-Karat-Diamanten.“
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