Kevin blickte jetzt bewusst auf den Polizisten. Der Constable erklärte den Sachverhalt in kurzen Worten, und Kevin wurde zornig.
„Sie wollen doch wohl nicht meine Assistentin in einen Mord verwickeln, den es vermutlich nur in Ihrer Phantasie gibt? Eine Schusswunde kann viele Gründe haben, ich selbst trage auch eine Waffe, wollen Sie sie untersuchen? Und jetzt möchte ich Maggie gerne mit nach Hause nehmen. Wenn Sie noch Fragen haben, stellen Sie sie morgen. Kann ich den Wagen abschleppen lassen, oder brauchen Sie den auch noch?“
Der Polizist war regelrecht erschlagen von der Energie und Bestimmtheit, die der Arzt an den Tag legte. Doch er kannte seine Vorschriften.
„Scotland Yard wird den Wagen untersuchen wollen, das Wrack wird von uns abgeschleppt.“
Der Tierarzt hielt Maggie immer noch im Arm, und plötzlich malte sich ein spitzbübisches Lächeln auf seinem attraktiven Gesicht.
„Das ist jedenfalls ein verdammt guter Grund, sich einen neuen Wagen anzuschaffen, Maggie. Nun muss ich die Schrottkiste nicht mehr sehen. Kommen Sie jetzt.“
George Felton hatte die ganze Zeit ruhig zugehört, und nur mit einem gewissen Widerwillen bemerkt, dass Kevin fast besitzergreifend nach Maggie gegriffen hatte. Doch er konnte nichts dagegen sagen, er hatte kein Recht dazu, noch nicht, so hoffte er. Und er begann gleich, den bestehenden Zustand zu seinen Gunsten zu ändern.
„Miss Maggie, ich habe hier einen überzähligen Wagen. Nichts Besonderes, ein kleiner Mini. Aber ich stelle Ihnen den gern zu Verfügung, bis Sie sich einen anderen besorgt haben. Wenn er Ihnen gefällt, wer weiß, wir können vielleicht auch über einen Verkauf und einen angemessenen Preis reden.“
„Ich denke, das wird nicht nötig sein, Mister Felton“, erklärte McBride kühl. „Erst mal braucht Maggie Ruhe, dann kommt alles andere. Auch ein Wagen.“
Er wandte sich zum Gehen und zog die junge Frau mit sich. „Ach, übrigens, schönes Fohlen, das Dalrina da hat. Heute gekommen?“
„Ich habe es vorhin geholt“, sagte Maggie ruhig. „Und ich bin sehr wohl in der Lage, allein zu entscheiden.“
„Sie können heute auch hier übernachten“, bot der Gutsherr großzügig an.
„Nein, vielen Dank. Ich möchte wirklich gern nach Hause. Ich träume von einem heißen Kakao und einem noch heißeren Bad. Ich - es tut mir leid um den armen Mann. Eine Schusswunde, also wirklich. Aber ich habe ihn nicht erschossen.“
Kevin zögerte nicht mehr länger. Seine Assistentin sah sehr mitgenommen aus, und er machte sich Sorgen um sie. Energisch schubste er sie jetzt hinaus, und im Grunde war sie froh, dass jemand das Kommando übernahm.
6
Maggie erwachte, als der Landrover des Doktors vor seinem Haus hielt. Für einen Augenblick war sie verwirrt. Sie lag ganz normal im Bett. War das alles, was ihr durch den Kopf geisterte, vielleicht nur ein böser Alptraum gewesen? Doch nein, die Erinnerung kehrte nun mit Macht zurück. Die ganze verrückte Geschichte am Abend war wirklich passiert. Sie räkelte sich und warf einen Blick auf die Leuchtziffern der Uhr auf dem Nachttisch. Fünf Uhr früh? Dann hatte Kevin wieder einen Notfall in der Nacht gehabt und sie nicht wecken wollen. Nun, dann würde sie jetzt zumindest einen Kaffee mit ihm in der Küche trinken. Zu diesen Zeiten legte sich keiner von beiden mehr ins Bett nach einem Notfall.
Sie wollte aufstehen und stöhnte plötzlich unwillkürlich auf. Jeder Muskel im Körper schmerzte, und im Nacken stachen glühende Nadeln in die Wirbelsäule. Das konnte nur von dem Unfall herrühren. Sie biss die Zähne zusammen und stand mit einem Ruck auf, als sich unvermutet die Tür öffnete und Kevin McBride hereinkam.
„Sie sollten das nicht tun“, bemerkte er trocken statt eines Grußes. „Maggie, Sie sollten heute vielleicht im Bett bleiben. Sie müssen sich hundeelend fühlen. Eigentlich wollte ich nur nachsehen, ob Sie noch ruhig schlafen, als ich Sie stöhnen hörte. Ist es sehr schlimm?“
Er lächelte aufmunternd, und Maggie bemerkte plötzlich, wie attraktiv der Tierarzt im Grunde aussah. Er besaß ein schmales, markantes Gesicht mit samtbraunen Augen, schmale Lippen und eine gerade Nase. Lockiges braunes Haar widerstand allen Versuchen eine adrette Frisur zu formen, und die ersten grauen Strähnen an den Schläfen machten ihn nicht älter sondern interessanter. McBride war Mitte vierzig, sein Körper kräftig und sportlich, was sicher auch mit seinem Beruf zusammenhing. Lange Wanderungen über das Moor, um verirrte und verunglückte Tiere zu finden, wie auch körperliche Arbeit gehörten nun einmal zu diesem Beruf.
Nun aber blickten seine Augen besorgt, als Maggie die Zähne zusammenbiss.
„Es geht schon“, erklärte sie gespielt munter und griff nach ihrem Morgenrock. „Ich will jetzt mit Ihnen in der Küche einen Kaffee trinken. Und Sie können mir erzählen, was gestern überhaupt los war.“
„Erinnern Sie sich nicht?“, fragte er alarmiert.
„Doch, leider, an das meiste, Ja. Aber einen Sinn sehe ich darin nicht.“
McBride hatte am Abend noch dafür gesorgt, dass Maggie ihr gewünschtes heißes Bad und einen Kakao bekam, und dann hatte er neben ihrem Bett gesessen, bis sie eingeschlafen war. Er hatte sich alles von ihr erzählen lassen, doch auch für ihn ergab das keinen Sinn.
Maggie hielt plötzlich mitten im Schritt inne. „Moment, der Mann – der Tote, nein, der Sterbende hat mir doch noch was gegeben“, murmelte sie.
„Was?“, fragte Kevin verständnislos. Maggie griff nach ihrer Hose und kramte darin herum, dann holte sie etwas aus der Tasche.
„Einen weißen Turm“, sagte sie und ging mit ihrem Chef in die Küche, wo bereits der Kaffee in der Maschine dampfte.
„Was hat es mit diesem Turm auf sich?“, fragte McBride, während er Butter, Marmelade und Toast auf den Tisch packte.
„Der - der Mann, den ich mitnahm, gab ihn mir.“
„Ein schönes Stück. Wertvolle Handarbeit aus Elfenbein, sehr alt“, bemerkte er dann, während er die Schachfigur betrachtete. Er wollte ihr den Turm dann zurückgeben, doch er fiel ihm aus der Hand, prallte zu Boden und lag dann in zwei Teilen da.
„Entschuldigung“, murmelte Kevin und hob die Teile auf. Ein Stückchen vergilbtes Papier war in dem hohlen Körper zu sehen, und Maggie griff neugierig danach.
„Was ist das denn? Vielleicht der Lageplan eines Schatzes?“, spöttelte sie.
Kevin nahm ihr das Papier aus der Hand und entfaltete es vorsichtig. Seine Kollegin blickte dann neugierig auf eine Kolonne von Zahlen und Buchstaben.
„Ein Schachspiel“, erklärte McBride.
„Wie interessant“, meinte sie abfällig.
„Nicht doch, meine Liebe. Es gibt Spiele, die als ungewinnbar gelten. Vielleicht hat jemand so etwas aufgezeichnet.“
„Und welchen Sinn sollte das nun wieder haben?“
„Ist Ihnen entgangen, um wie viel Geld es bei den großen Meisterschaften geht? Lassen Sie uns versuchen,