Jace streckte eine Hand aus und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Das war nur ein Scherz«, sagte er. »Du bist gar nicht mal so schlecht. Irgendwann kriegst du den Dreh noch raus. Du hättest mal Alec bei seinen ersten Salti sehen sollen. Ich glaube, einmal hat er sich sogar selbst gegen den Kopf getreten.«
»Kann sein, aber damals war er wahrscheinlich erst elf«, erwiderte Clary und betrachtete Jace. »Aber du bist bei diesem ganzen Zeugs vermutlich schon immer sensationell gewesen, oder?«
»Ich bin sensationell zur Welt gekommen«, grinste Jace und strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. Obwohl es nur eine ganz leichte Berührung war, jagte sie Clary einen Schauer durch den Körper, wie ein elektrischer Stromstoß. Seine Bemerkung kommentierte sie nicht – schließlich hatte er nur einen Scherz gemacht –, aber in gewisser Hinsicht lag auch ein Körnchen Wahrheit darin: Jace war zu Höherem geboren. »Wie lange kannst du heute bleiben?«, fragte er.
Clary schenkte ihm ein kleines Lächeln. »Sind wir denn mit dem Training fertig?«
»Ich denke, dass wir den Teil, der unbedingt erforderlich ist, absolviert haben. Allerdings gibt es da noch ein paar Dinge, die ich gern mit dir üben würde…« Er streckte die Arme nach ihr aus, um sie zu sich herabzuziehen, doch im selben Moment flog die Tür auf und Isabelle kam hereinstolziert. Die spitzen Absätze ihrer hohen Stiefel klackten laut auf dem gebohnerten Holzboden.
Als sie Jace und Clary auf der Turnmatte entdeckte, zog sie eine Augenbraue hoch. »Ah, wieder am Rumknutschen. Ich dachte, ihr wolltet trainieren.«
»Niemand hat dich aufgefordert, ohne anzuklopfen, hier hereinzuplatzen, Izzy.« Jace rührte sich nicht von der Stelle und drehte lediglich den Kopf zur Seite, um Isabelle mit einer Mischung aus Verdruss und Zuneigung zu mustern. Clary dagegen rappelte sich rasch auf und strich ihre verknitterte Kleidung glatt.
»Das hier ist der Fechtsaal. Also ein öffentlicher Raum«, bemerkte Isabelle und zog sich einen ihrer leuchtend roten Samthandschuhe von den Fingern. »Die hab ich mir gerade bei Trash and Vaudeville gekauft. War ein Sonderangebot. Sind sie nicht einfach hinreißend? Will man da nicht sofort auch welche?« Isabelle wedelte lockend in Richtung der beiden.
»Na, ich weiß nicht recht«, sagte Jace. »Ich fürchte, sie würden farblich nicht zu meiner Montur passen.«
Isabelle schnitt ihm eine Grimasse. »Hast du schon von dem toten Schattenjäger gehört, den man in Brooklyn gefunden hat? Sein Leichnam war total übel zugerichtet, daher weiß man noch nicht, um wen es sich handelt. Ich vermute, dass Mom deswegen eben aufgebrochen ist.«
»Ja«, bestätigte Jace und setzte sich auf. »Sie ist zu einer Ratssitzung. Ich bin ihr auf dem Weg nach draußen begegnet.«
»Das hast du mir gar nicht erzählt«, warf Clary ein. »War das der Grund, warum es so lange gedauert hat, bis du mit dem Seil zurückgekehrt bist?«
Jace nickte. »Tut mir leid. Aber ich wollte dir keinen Schrecken einjagen.«
»Soll heißen, er wollte die romantische Stimmung nicht verderben«, erklärte Isabelle und biss sich dann auf die Lippe. »Ich hoffe nur, dass es niemand ist, den wir kennen.«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Der Leichnam war in irgendeiner verlassenen Fabrik abgeladen worden – und zwar schon vor einigen Tagen. Wenn es irgendjemand aus unserem Bekanntenkreis gewesen wäre, hätten wir sein Verschwinden längst bemerkt.« Jace schob sich die Haare hinter die Ohren. Clary fiel auf, dass er Isabelle mit einem leicht ungeduldigen Blick betrachtete – so als wäre er verärgert, dass sie das Thema überhaupt angeschnitten hatte. Sie wünschte, er hätte ihr davon erzählt, selbst wenn das die romantische Stimmung tatsächlich verdorben hätte. Viele Aspekte seiner Arbeit – der Arbeit aller Schattenjäger – brachten ihn immer wieder in engen Kontakt mit der harten Realität von Leben und Tod. Alle Mitglieder der Familie Lightwood trauerten noch immer, jeder auf seine eigene Weise, um den jüngsten Sohn Max, der hatte sterben müssen, weil er schlichtweg zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Das Ganze erschien Clary irgendwie seltsam: Zwar hatte Jace ihre Entscheidung, die Schule zu verlassen und ihre Ausbildung zur Schattenjägerin zu beginnen, ohne jedes Murren akzeptiert, aber er scheute sich, mit ihr über die Gefahren eines Schattenjäger-Daseins zu reden.
»Ich zieh mich mal um«, verkündete Clary nun und marschierte zu der Tür, die in den kleinen Umkleidebereich neben dem Fechtsaal führte – ein schlichter Raum mit hellen, holzverkleideten Wänden, einem Spiegel, einer Dusche und mehreren Kleiderhaken. Ein Stapel Handtücher lag ordentlich gefaltet auf einer Holzbank in der Nähe der Tür. Clary sprang rasch unter die Dusche, trocknete sich kurz ab und streifte dann ihre normale Straßenkleidung über: Strumpfhose, Stiefel, Jeansrock und einen neuen rosafarbenen Pullover. Beim Blick in den Spiegel entdeckte sie eine Laufmasche in ihrer Strumpfhose und stellte fest, dass ihre feuchten roten Locken sich wie immer wild und ungezähmt kringelten. Sie würde wohl niemals so perfekt gestylt aussehen wie Isabelle, aber Jace schien das nicht zu kümmern.
Als sie schließlich in den Fechtsaal zurückkehrte, hatten Isabelle und Jace sich einem anderen Gesprächsthema zugewandt, das Jace offensichtlich noch grauenerregender fand als die Nachricht von dem toten Nephilim: Isabelles Verabredung mit Simon.
»Ich kann nicht glauben, dass er dich tatsächlich in ein Restaurant eingeladen hat«, bemerkte Jace, während er die Turnmatten und die Übungsausrüstung forträumte. Isabelle lehnte an der Wand und spielte mit ihren neuen Handschuhen. »Ich hätte gedacht, seine Vorstellung von einem Date bestünde darin, dich bei einer Runde World of Warcraft mit seinen Nerd-Freunden zuschauen zu lassen.«
»He, ich bin auch einer seiner Nerd-Freunde! Schönen Dank auch!«, protestierte Clary.
Jace grinste breit in ihre Richtung.
»Es war eigentlich kein Restaurant. Eher eine Art Bistro. Wo es so eine pinkfarbene Suppe gab, die ich Simons Meinung nach unbedingt probieren sollte«, sagte Isabelle nachdenklich. »Er war wirklich sehr süß.«
Clary hatte sofort ein schlechtes Gewissen, weil sie Isabelle noch nichts von Maia erzählt hatte. »Er meinte, ihr hättet euch gut amüsiert.«
Isabelle warf ihr einen kurzen Blick zu. Irgendein merkwürdiger Ausdruck lag in ihren Augen, als würde sie etwas verbergen, doch dann entspannte sich ihre Miene derart schnell, dass Clary sich nicht sicher war, ob sie sich das nicht eingebildet hatte. »Du hast mit ihm gesprochen?«, fragte Isabelle.
»Ja, er hat mich vor ein paar Minuten angerufen. Einfach nur, um sich kurz zu melden«, erklärte Clary achselzuckend.
»Verstehe«, bemerkte Isabelle, plötzlich mit einem schroffen, kühlen Ton in der Stimme. »Nun ja, wie ich bereits sagte: Er ist sehr süß. Aber möglicherweise auch ein wenig zu süß. Und das kann echt langweilig sein.« Sie stopfte die Handschuhe in ihre Manteltasche. »Na jedenfalls ist das zwischen uns nichts Ernstes… eher ein Zeitvertreib bis auf Weiteres.«
Clarys Schuldgefühle verschwanden schlagartig. »Habt ihr eigentlich mal darüber gesprochen, dass ihr euch… na, du weißt schon… dass ihr euch nicht noch mit anderen verabredet?«
Isabelle zog eine entsetzte Miene. »Selbstverständlich nicht.« Dann gähnte sie und dehnte und streckte die Arme wie eine Katze bis weit über den Kopf. »Okay, ich geh ins Bett. Macht’s gut, ihr Turteltäubchen.« Damit rauschte sie aus dem Fechtsaal und hinterließ eine schwere, nach Jasmin duftende Parfümwolke.
Jace warf Clary einen Blick zu. Er hatte in der Zwischenzeit damit begonnen, seine Kampfmontur abzulegen, die wie ein Schutzschild über seiner normalen Kleidung saß und mit mehreren Schnallen befestigt war. »Du musst vermutlich auch nach Hause?«, fragte er.
Clary