Die Sprache der Blumen. Sven Haupt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Haupt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947721450
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dauerte eine Weile, bis sie bemerkte, wie das Licht langsam abnahm und der Wald stiller wurde. Die klagenden Töne der Nachtrufer schallten jetzt häufiger durch den Wald und mit jedem Schritt, der sie dem Stamm näherbrachte, schien es schneller dunkel zu werden. Lilian begann langsam, sich Sorgen zu machen, wie sie den Weg im Dunkeln finden sollten, als sie plötzlich ein Licht im Wald entdeckte.

      „Da!“, rief sie. „Schau doch, da drüben!“

      Es sah aus, als würde jemand kleine Lichtpunkte in die Zweige der Bäume hängen. Winzige Laternen funkelten überall um sie herum und tauchten den Wald in einen gelblichen Schein.

      „Leuchtkugeln“, verkündete der Affe, ohne hinzusehen. „Sie wären extrem nützlich, wenn sie nicht sofort erlöschen würden, kaum dass man sie berührt.“

      Lilian trat unter einen Zweig, der über den Pfad hing und lächelte im Schein des kleinen Wesens, das sich dort mit den dünnen Füßchen am Zweig festhielt. Als sie das kleine Geschöpf vorsichtig vom Ast löste, klammerte es sich sofort an ihren Finger und erlosch.

      „Schütteln, fluchen und gegen den Baum werfen funktioniert nicht“, kommentierte George, dessen Gestalt in der zunehmenden Dämmerung bereits mit dem Wald verschmolz. „Habe ich alles schon probiert.“

      Lilian nahm das kleine Wesen dennoch mit.

      Wie sie es am Ende zum Stamm und in die schützende Baumhöhle schafften, konnte Lilian nicht mehr sagen. Plötzlich fiel die Dunkelheit über sie und George musste sie den Rest des Weges wieder an der Hand führen.

      In der Höhle roch es nach frischem Holz und es war angenehm warm. Lilian ließ sich mit einem dankbaren Seufzen auf dem Boden nieder und tastete vorsichtig umher. Ihre Hände fanden etwas Weiches.

      „Decken und Kissen“, erklärte George aus dem Dunkeln. „Ich dachte mir schon, dass wir spät kommen werden. Hier gibt es Sträucher für alles und Menschen schlafen doch gerne bequem.“

      Lilian nestelte im Dunkeln mit den gefalteten Decken.

      „Und wie schlafen Affen?“, fragte sie beiläufig.

      „In Nestern hoch oben in den Baumkronen“, entgegnete George. „Nichts gegen Höhlen, aber Affen mögen den offenen Himmel über sich.“

      Lilian schwieg.

      George starrte eine Weile in das Dunkel, dann seufzte er. „Aber wir können natürlich auch Ausnahmen machen.“

      „Danke“, flüsterte Lilian leise.

      Plötzlich blühte ein kleiner zaghafter Schein in der Dunkelheit auf, der langsam heller wurde. George erkannte Lilians Lächeln hinter der kleinen Leuchtkugel, die von ihrem ausgestreckten Finger hing.

      „Wie in aller Welt …?“, begann der Affe.

      „Sie mögen es, den Bauch gestreichelt zu bekommen“, erklärte Lilian. „Und es hilft, wenn man Bitte sagt.“

      #include <HEIM>

      Lilian öffnete die Augen und fand sich in einem weichen Nest aus bunten Kissen und Decken wieder. Helles Tageslicht fiel durch den runden Eingang in die Höhle und das Pfeifen und Trillern der Waldbewohner drang von draußen herein.

      Als sie sich aufsetzte, fiel ihr Blick auf George, der ein wenig unbehaglich neben dem Eingang an der Wand hockte und sich erfolglos den Anschein gab, als hätte er nicht schon lange dort gesessen und sie beobachtet. Vor ihm auf dem Boden lag ein kleiner Haufen Früchte in verschiedenen Formen und Farben. Der Affe sah verlegen von dem Obst zu Lilian und murmelte: „Dachte, du hättest vielleicht Hunger.“

      Die junge Frau lächelte.

      „Auch dir einen schönen guten Morgen, George.“

      Sie runzelte die Stirn und horchte in sich hinein. Sie spürte tatsächlich etwas, das Hunger sein mochte. Großer Hunger. Sie krabbelte zu dem Affen hinüber, hockte sich vor ihn und inspizierte die Auswahl.

      Keine zwei der Früchte sahen gleich aus. Einige erinnerten an Bananen, andere glichen dicken Beeren oder Samenkapseln. Ein paar wirkten wie übergroße, weiche Nüsse und eine sah aus wie eine pelzige Kartoffel. Lilian runzelte die Stirn, doch der Hunger besiegte ihre Skepsis. Überrascht stellte sie fest, dass jede einzelne Frucht vollkommen einzigartig und absolut vorzüglich schmeckte.

      Mit großem Appetit aß sie eine Frucht nach der anderen und hielt George dann fragend etwas hin, das aussah wie die kleine Version der Wasserfrucht, unter der sie geduscht hatte. Kugelig und halb transparent, mit einem dickflüssigen Inhalt, der leise gluckerte.

      „Was ist denn das?“, fragte sie mit vollem Mund.

      „Trinkfrucht“, erklärte George, der beeindruckt verfolgte, wie der Haufen Früchte schnell kleiner wurde. Er schob unauffällig eine Banane beiseite und versteckte sie hinter sich, während Lilian mit vollem Mund die Trinkfrucht musterte.

      „Einfach in das spitze Ende beißen“, erklärte er.

      Und das, dachte Lilian, während sie gierig trank, löst die Frage nach dem Durst, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn habe. Und es schmeckt, wie eine Frühlingswiese riecht.

      „Bist du schon lange wach?“, fragte Lilian mit vollem Mund.

      George nickte und schälte bedächtig seine Banane.

      „Affen brauchen wenig Schlaf und mein Tag war gestern bedeutend weniger aufregend als deiner.“

      Lilian sah sich kauend in der Höhle um.

      „Weißt du, wer diese Höhle gebaut hat?“, fragte sie schließlich. „Muss ein sehr großes Tier gewesen sein.“

      George schüttelte den Kopf.

      „Immer noch keine Tiere. Nur Pflanzen, und niemand baut Höhlen in den Baum. Er formt sie selbst. Man findet sie über den ganzen Stamm verteilt. Oft erscheinen sie dort, wo sich die großen Astpfade um den Stamm winden und breite Balkone formen. Manchmal öffnet sich einfach irgendwo am Weg die Rinde und eine Höhle erscheint. Viele Geschöpfe nehmen das Angebot gerne an und ziehen dort ein. Meist finden sich Nester der Flatterwesen darin.“

      Lilian nickte abwesend, griff nach einer weiteren Frucht und sah sich weiter um.

      „Und was ist das da?“, fragte sie und zeigte auf ein großes, rundes Kissen in unscheinbarem Braun, das ein wenig abseits lag und mit dichtem, kurzem Gras bewachsen war.

      George schnaufte.

      „Das ist ein besonders nutzloses Exemplar eines ohnehin schon wenig hilfreichen Putzmuffels.“

      Lilian lachte laut auf.

      „Eines was? Eines … Putzmuffels?“

      George nickte düster.

      „Eine weitere Spezies, die sinnvoll sein könnte, wenn sie es nicht darauf anlegen würde, mich zu ärgern. Eigentlich suchen sie den Boden ab und fressen alles, was tot und nicht mehr brauchbar ist. Theoretisch eignen sie sich also hervorragend zum Putzen. Das Problem besteht darin, dass sie außerordentlich faul und störrisch sind. Wenn sie keine Lust haben, dann liegen sie einfach nur rum. Der da sollte hier eigentlich sauber machen, bevor du eintrafst, aber am Ende musste ich das alte Laub und den Flattermist selbst raustragen.“ Er sah mürrisch auf das Wesen hinab und fügte murmelnd hinzu: „Das Ding hat einfach beschlossen, sich zu verweigern, egal, wie oft man es tritt.“

      George hob die leere Bananenschale und holte schon zum Wurf aus, als Lilian ihm sanft den Arm festhielt.

      „Vielleicht“, erklärte sie langsam, „finden wir ja neben Treten noch eine andere Form der Kommunikation.“

      Sie krabbelte zu dem runden Geschöpf hinüber, das vollkommen still am hinteren Rand der Höhle lag und tupfte vorsichtig