Die Sprache der Blumen. Sven Haupt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Haupt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947721450
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gerade gesagt?“

      „Erlauben Sie Kindern nie, in der Spülmaschine zu spielen!“

      Lilian sah den Nachtrufer mit großen Augen an.

      Sie schritt schnell den Pfad entlang und stand kurz darauf vor einem dichten Blättervorhang. Vorsichtig steckte sie den Kopf zwischen die Lianen. Der Boden unter dem Astpfad war leer, aber über ihr, mitten auf der Unterseite des oberen Astpfades, wurzelte ein überaus merkwürdiger Baum, der dadurch kopfüber vor ihr hing. Er schien einmal eine grüne Krone besessen zu haben, von der jedoch jetzt nur noch wenige vertrocknete Äste mit braunen Nadeln zeugten. Er besaß lediglich zwei knorrige Äste, die seitlich vom Stamm abstanden und nach unten hingen. Etwa auf Lilians Augenhöhe zeigte sich die runde Öffnung einer kleinen Baumhöhle im Stamm. Das Ganze machte den absurden Eindruck einer hölzernen Gestalt, die kopfüber hing, die Arme im Schrecken über die eigene Position über den Kopf hob und den Mund dabei in einem erstarrten Schrei weit öffnete. Dieser Eindruck wurde sehr nachdrücklich durch die Stimme unterstützt, welche aus dem Loch im Stamm tönte.

      „Nicht auf das Gerät und den Akku beißen oder daran saugen“, erklärte der Baum ernst. „Dadurch kann das Gerät beschädigt oder eine Explosion verursacht werden!“

      „Was du nicht sagst“, entgegnete Lilian. „Das ist gut zu wissen.“

      Der Nachtrufer steckte ebenfalls den Blütenkopf durch den Vorhang und hupte eine Begrüßung.

      „Führen Sie das Gerät und mitgelieferte Zubehörteile nicht in Augen, Ohren und den Mund ein“, entgegnete der Baum. „Es besteht Erstickungsgefahr und kann zu anderen ernsthaften Verletzungen führen.“

      „Schön, dich kennenzulernen“, erwiderte Lilian ernst.

      „Auspack und freu!“, rief der Baum begeistert. „Stippel A kaum abbiegen und verklappen in Gegenstippel B für Illumination. Mit Klammer C in Sacco oder Jacke von Lebenspartner einfräsen und lächeln für Erfolg.“

      Er wedelte mit seinen Astarmen und der ganze Stamm schien vor Aufregung zu beben.

      Der Nachtrufer schien dies alles schon erlebt zu haben, denn er tutete kurz und zog sich wieder auf die andere Seite zurück. Lilian hörte, wie er davonflatterte und ein Stück entfernt vergnügte Tonfolgen von sich gab.

      „Bist du schon lange hier in diesem Versteck?“, fragte sie höflich.

      Der Baum schien darüber nachzudenken.

      „Daran denken“, erklärte er schließlich. „Was im Rückspiegel erscheint, befindet sich hinter Ihnen!“

      „Das“, bestätigte Lilian, „erscheint mir sehr weise in dieser Situation. Wahrscheinlich gibt es nicht viele, denen du so etwas sagen kannst, nicht wahr?“

      „Produkt nicht zum Verzieren von Speiseeis verwenden!“

      „Nein, wirklich? Ich wette, dass George dich wahrscheinlich schon gefunden hat, stimmt’s? Kennst du George? Klein, muffelig, schmeißt gerne mit Obst?“

      „Buggy besitzt Autofaltfunktion!“, rief der Baum entsetzt. „Kind vor dem Zusammenklappen entfernen!“

      „Das dachte ich mir“, erwiderte Lilian nickend.

      Plötzlich hörte sie das alarmierte Hupen des Nachtrufers.

      „Oh, ich glaube, mein Freund braucht mich. Einen Moment bitte.“

      Sie wollte gerade den Kopf zurückziehen, als Bewegung in die Astarme kam. Mit verblüffender Geschwindigkeit griff das Baumwesen nach ihrer Hand und hielt sie fest. Ein eindringliches Flüstern drang aus dem Loch im Stamm:

      „Hör zu, hör zu, hör nicht auf mich, hör zu. Das Böse verschwand vor langer Zeit von allen Straßen, doch es ist noch immer unter uns und verwischt seine Spuren. Aber wir werden siegen. Wir sehen dich. Deine Welt braucht dich!“

      Nach diesen Worten verstummte der Baum und die Äste hingen schlaff herab.

      Lilian sperrte den Mund auf und starrte das Wesen an.

      „Aber das hier ist nicht …“, begann sie, doch das Hupen des Nachtrufers hinter ihr wurde so laut und eindringlich, dass sie sich umdrehte und zu dem kleinen Flatterball eilte, der einige Meter entfernt am Rande des Astpfades saß und hektisch tutend auf und ab hüpfte.

      „Was hast du denn nur?“, fragte Lilian und kniete sich neben das aufgebrachte Geschöpf. Der Grasball schlug wild mit den Flügeln und beugte sich dabei mit seinem Blütenkopf weit über den Rand des Weges. Lilian folgte seinem Blick und spähte ebenfalls seitlich am Pfad hinunter. Am Blättervorhang unter ihnen hing ein kleiner, schwarzer Grasball, der mit dünnen Zweigbeinen auf den Lianen stand. Das Wesen schien keinen Kopf zu haben und sein kugeliger Körper zeigte keinerlei Anzeichen von Augen oder einem Mund. Nur seine acht Beine standen gleichmäßig um den Körper verteilt hervor.

      „Nanu“, rief Lilian überrascht. „So etwas wie dich kenne ich ja noch gar nicht. Wo kommst du denn her?“

      Während sie sprach, kraulte sie unbewusst den Rücken des kleinen Nachtrufers, der sein Gezeter einstellte und sich fest an Lilian drückte.

      Sie betrachtete den schwarzen Ball aufmerksam. Das Wesen saß nicht vollkommen regungslos. Seine Beine schienen immer in Bewegung zu sein. Sie hoben und senkten sich unaufhörlich und bildeten dabei komplexe Muster, die fortwährend wie rhythmische Schwingungen um den Körper liefen. Das Ganze hatte einen fast hypnotischen Effekt.

      Lilian betrachtete das Spiel der dünnen Beine eine Weile lang fasziniert, dann streckte sie langsam die Hand aus und beugte sich tiefer zu dem Blättervorhang hinunter.

      Der Nachtrufer hupte eine entsetzte Warnung und versuchte sich unter Lilians Hand frei zu strampeln, die noch immer beruhigend auf seinem Rücken lag. Das lenkte ihn lange genug ab, um den zweiten schwarzen Ball zu entdecken, der in der Zwischenzeit über den Rand geklettert war und nun dicht neben ihm auf dem Pfad saß. Der kleine Nachtrufer sprang panisch auf, versuchte an Lilian emporzuklettern und trompetete dabei eine entsetzte Fanfare genau in ihr Ohr hinein.

      Lilian riss erschrocken die Hand hoch, verlor dabei das Gleichgewicht, rutschte über den Rand und fiel. Es gelang ihr noch im Fallen, einige Lianen des Blättervorhangs zu greifen, was ihren Sturz bremste, dennoch landete sie einige Meter tiefer hart auf ihrem linken Bein, welches den Aufprall mit einem scharfen Knacken quittierte.

      Sie schrie auf, mehr aus Schreck als aus Schmerz, und fiel auf die Seite. Einige Sekunden lang lag sie auf dem Weg und horchte ängstlich in sich hinein, in Erwartung weiterer Schäden. Sie spürte keinen Schmerz, aber das Knacken hatte nicht gut geklungen. Vorsichtig setzte sie sich auf, schob ihr Kleid hoch und merkte sofort, dass ihr Bein vollständig außer Dienst war. Der Bruch im Oberschenkel schwoll bereits an und die Haut verfärbte sich zu einem tiefdunkeln Grün, das fast schwarz wirkte. Sie runzelte die Stirn. Laufen fällt erst einmal flach.

      Jetzt erst bemerkte sie, dass sie Gesellschaft hatte.

      Mehrere der schwarzen Grasbälle saßen auf dem Weg verteilt um sie herum. Lilian war trotz ihrer Verletzung sofort wieder fasziniert. Diese merkwürdigen Geschöpfe gaben einem das Gefühl, dass man aufmerksam beobachtet wurde, dabei hatten sie nicht einmal Augen. Sie wandte sich dem nächsten Wesen zu und versuchte ein Lächeln, verzog jedoch das Gesicht, als ihr Bein sie daran erinnerte, dass rasche Bewegungen zurzeit keine Option darstellten.

      „Wie ich sehe“, begann sie, „seid ihr mit ein paar Kollegen unterwegs. Habt ihr zufällig noch ein paar Freunde mehr dabei und könnt mich vielleicht zu einem gehässigen Primaten zurückbringen, der mich bestimmt gerne darauf hinweisen würde, dass er es von Anfang an besser wusste? Nein? Ihr seid wirklich nicht so gesprächig wie mein kleiner Flatterfreund, das muss ich schon sagen.“ Sie sah sich um. „Wo ist der überhaupt?“

      Wie zur Antwort drehten sich alle schwarzen Bälle gleichzeitig um und hoben erwartungsvoll die vorderen zwei Beine. Lilian zog die Brauen hoch.

      Einen Moment