Die Sprache der Blumen. Sven Haupt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Haupt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947721450
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junge Frau hatte ihre Position nur verändert, um unter eine neue Wasserfrucht zu treten. Es roch nach frisch geschnittenem Gras. Der Affe setzte sich wieder und begann, geschäftig an den steifen Blättern der Schote zu zerren, ohne die Frau dabei anzusehen.

      „Die Dinger sind erstaunlich gut verpackt“, murmelte er genervt, während er ungeschickt an den dicken Schoten herumhantierte. „Wahrscheinlich, um sicherzustellen, dass der Inhalt trocken bleibt.“ Er riss die äußeren Blätter in dünnen Schichten herunter, kam aber dem Ziel nicht wirklich näher. „Dennoch“, grollte er, „sollte man meinen, dass es einem leichter gemacht wird, an die blöden Dinger heranzukommen. Aha!“ Es gelang ihm, die Schote der Länge nach aufzubrechen. Zum Vorschein kam eine flauschige, weiße Rolle, die er der Frau reichte.

      Diese trat aus dem Regen und nahm das weiche Etwas entgegen. Von der harten Schale befreit dehnte sich der Inhalt jetzt stark aus. Die Frau drehte die weiche Rolle eine Weile unschlüssig in den Händen, dann schien sie den Zweck zu erfassen und entrollte ein großes, weißes Handtuch.

      Der Affe nickte ermutigend.

      „Vielleicht möchtest du dich abtrocknen, und dann sollten wir weitergehen. Wir müssen am Hauptstamm sein, bevor die Dämmerung kommt und der Weg ist weit für jemanden, der gerade erst vom Baum gefallen ist.“

      Die Frau hatte sich den weichen Stoff vor das Gesicht gepresst und verharrte regungslos.

      „Warum?“, klang es schließlich gedämpft durch das Handtuch.

      „Weil es sonst dunkel wird“, erklärte der Affe geduldig. „Und ein Spaziergang auf einem Astpfad bei Dunkelheit ohne Lichtquelle und Geländer kann zu einer ebenso überraschenden wie kurzen Erfahrung werden.“

      „Es gibt kein Licht?“, fragte die Frau durch den Stoff.

      „Oh, es gibt Licht“, erwiderte der Affe. „Kleine leuchtende Krabbelkugeln. Aber die dämlichen Viecher stellen das Leuchten ein, sobald du sie auch nur schief ansiehst. Das ist übrigens eine Erfahrung, die du hier noch häufig machen wirst. Es ist, als wäre der gesamte Wald gerade schlau genug, um zu wissen, wie man einen Primaten am effektivsten ärgern kann.“

      Die Frau ließ das Handtuch sinken und sah ihn an.

      „Ich bin kein Primat“, verkündete sie.

      „Das ist korrekt“, bestätigte der Schimpanse geduldig. „Primaten können klettern, sind sehr stark und dabei kein bisschen nackt oder hilflos.“

      „Ich … ich bin ein … ein Mensch“, verkündete die Frau zögernd, als wäre sie erst in diesem Moment zu dieser wichtigen Einsicht gelangt.

      Der Affe rollte die Augen.

      „Wie schön, dass deine Erinnerungen zurückkehren. Aber glaube mir, diese Kategorien haben hier nicht die geringste Bedeutung.“

      „Warum?“, fragte die Frau erneut.

      Der Affe holte tief Luft.

      „Weil es in diesem Wald nur Pflanzen gibt.“

      „Es gibt“, fragte die Frau, „außer uns keine Tiere?“

      „Nein, es gibt überhaupt kein tierisches Leben.“

      „Aber“, erwiderte sie verwirrt, „ich bin keine Pflanze.“

      Der Affe schwieg.

      „Ich … ich bin von Menschen geboren worden“, erklärte sie, aber ihre Stimme klang zögernd.

      „Und wo“, fragte der Affe leise in einem milden Tonfall, während er auf die Brocken von Fruchtfleisch zu Füßen der Frau blickte, „bist du gewachsen?“

      Sie runzelte die Stirn.

      „Im … im Bauch meiner Mutter?“

      „Und?“, fragte der Affe sehr langsam. „Wie hat sie dich ernährt?“

      „Na, über die Nabelschnur, die …“, sie verstummte. Sie ließ das Handtuch sinken und ihr Blick fiel auf ihren Bauch, wo ganz offensichtlich nichts zu sehen war. Vorsichtig strich sie mit den Fingern über die vollkommen glatte Haut, dann sah sie zu dem Affen auf und Angst lag in ihrem Blick.

      „Höflich wie ich bin“, kommentierte der Affe trocken, „weise ich mal nicht allzu deutlich darauf hin, dass es bei uns beiden weiter unten nicht besser wird.“

      Die Frau sah wieder an sich hinab und blickte stumm auf die Stelle zwischen ihren Beinen, wo ebenfalls nur glatte Haut zu sehen war.

      „Aber … aber …“, stotterte sie. „Ich bin ein Mensch. Ein Mensch!“

      Der Affe seufzte leise und griff nach der stacheligen Frucht, von der er eben noch gegessen hatte. Er erhob sich auf die Hinterbeine und schritt langsam und ungelenk zu ihr hinüber, während sie weiterhin fassungslos ihren Körper anstarrte. Vorsichtig, fast zärtlich, nahm er ihre freie Hand.

      „Es tut mir leid“, erklärte er, „aber meiner Erfahrung nach ist es am besten, wenn man sich diesen Dingen möglichst frühzeitig stellt.“

      Mit diesen Worten hob er ihre Hand und stach ihr mit einer der spitzen, roten Dornen in den Daumen.

      „Au!“, rief die Frau und riss sich los. „Warum? Das tut weh! Warum? Was soll …“

      Sie verstummte und beobachtete mit aufgerissenen Augen den großen Tropfen dicker, grüner Flüssigkeit, der aus ihrem Daumen quoll.

      Der Affe hob seine eigene Hand und stach sich fast beiläufig ebenfalls in den Daumen. Wortlos hielt er ihn vor ihr Gesicht. Der gleiche Tropfen grüner Flüssigkeit quoll aus seiner Wunde heraus.

      „Willkommen in der Familie“, verkündete er und lächelte schief.

      Die Frau blickte stumm von seinem Daumen zu ihrem, sah dem Affen schließlich ins Gesicht und begann zu zittern. Tränen liefen ihr über die Wangen. Mit einem erstickten Schluchzen hockte sie sich auf den Boden, presste das Handtuch vor ihr Gesicht und begann herzzerreißend zu weinen.

      Der Affe trat einen Schritt zurück, sah auf die Frau herab und rollte die Augen.

      „Okay“, murmelte er, „das hätte besser laufen können.“

      Er setzte sich vorsichtig neben sie und legte ihr zögernd und unbeholfen die Hand auf den Rücken. Dabei gab er ein leises Gemurmel von sich, von dem er hoffte, dass es beruhigend klang. So verharrte er, bis das Schluchzen langsam verklang und die Frau verstummte. Lange hockte sie regungslos neben ihm, bis schließlich ihre gedämpfte Stimme durch das Handtuch drang.

      „Ich verstehe diesen Ort nicht. Er ist so fremdartig. Es ist wie ein schlechter Traum. Ich sehe laufend seltsame Dinge und ständig kommen neue Bilder dazu, aber nichts davon ergibt Sinn. Ich erinnere mich nicht einmal an meinen Namen. An meinen eigenen Namen.“

      Sie hob den Blick und sah den Affen an. Er sah ihre beiden leuchtend grünen Augen direkt vor sich und spürte Panik in sich aufsteigen.

      „Weißt du vielleicht meinen Namen?“, fragte sie hoffnungsvoll.

      Oje, dachte er und sah hektisch umher, auf der Suche nach einer Antwort.

      Name …, Name …, Name …, dachte er hektisch.

      Durch eine Lücke im Blättervorhang konnte er auf den Weg hinaussehen. Von einem der höheren Astpfade hingen dichte Vorhänge aus Blumen herab. Riesige trichterartige Blüten in Gelb und Rosa.

      Ach was soll‘s.

      „Lilien?“, fragte er.

      Die junge Frau blinzelte.

      „Lilien, Lil … Lilian …“

      Sie schien den Namen vorsichtig zu kosten. Dann lächelte sie zum ersten Mal. Dem Affen wurde flau im Magen.

      „Lilian!“, rief sie. „Ja, das funktioniert.“