(2) Reichweite der Nichtkontrolle – pervasiveness: universell versus spezifisch
Eine weitere Attributionsdimension ergibt sich aus dem Begriffspaar »universell versus spezifisch«. Bei einem universellen (auch: globalen) Attributionsstil werden die Ursachen von nichtkontrollierbaren Ereignissen sehr weit und allgemein gefaßt. Dies bedeutet: Die Ursachen für die Nichtkontrolle sind für die Person allgegenwärtig (z. B. »ich habe nie und nirgends Geschick in sozialen Beziehungen«), eine sehr umgrenzte Erfahrung von Nichtkontrolle kann umfassende Hilflosigkeit auslösen. Eine universelle Attribution führt also zu einer Generalisierung der Hilflosigkeit auf vielfältige Lebenskontexte, während eine spezifische Attribution auf die Konfiguration spezifischer Situationen beschränkt bleibt.
»Manche Menschen können ihre Probleme säuberlich in Schubladen ablegen und uneingeschränkt in ihrem Leben fortfahren – und das selbst dann, wenn die Probleme einen wichtigen Lebensaspekt beeinträchtigen (den Job; die Liebesbeziehung). Bei anderen bricht das ganze Lebensgebäude zusammen; ihre Wirklichkeit wird zur Katastrophe; sobald ein Faden ihres Lebens reißt, löst sich die gesamte Textur auf. In anderen Worten: Menschen, die für ihr Versagen universale Erklärungen geben, geben sich in Gänze auf, wenn sie in einem Bereich Schiffbruch erleiden. Menschen, die spezifische Erklärungen liefern, mögen in einem Lebenssektor hilflos sein, in den anderen Lebensbereichen hingegen bleiben sie robust und setzen ihr Leben geradeaus fort« (Seligman 1991, S. 46).
(3) Zeitliche Stabilität der Hilflosigkeitsursachen – permanence: stabil versus variabel
Die dritte Attributionsdimension »stabil versus variabel« schließlich bezieht sich auf die Stabilität und die Konstanz der Nichtkontrollbedingungen in der Dimension der Zeit. Stabile Ursachen, die als langlebig und wiederkehrend erlebt werden, führen zu einer Chronifizierung der Hilflosigkeitserfahrungen. Nichtkontrollerfahrungen, deren Ursachen hingegen kurzlebig und vorübergehend erscheinen, führen zu nur transitorischen Belastungen und gehen in den weiteren Lebensvollzügen vielfach ohne verletzende Spuren verloren.
»Versagen macht jedermann zumindest momentan und für eine befristete Zeit hilflos. Es ist wie ein Schlag in den Magen. Es schmerzt, aber der Schmerz schwindet – bei manchen Menschen fast auf der Stelle. Bei anderen bleibt der Schmerz ein konstanter Wegbegleiter. Diese Menschen bleiben hilflos für Tage oder sogar Monate – auch schon nach nur kleinen Betrübnissen. Nach größeren Lebensniederlagen kehren sie vielleicht nie mehr in die Zonen des Lebensgelingens zurück« (Seligman 1991, S. 45).
Die kognitive Landkarte, die aus der Addition dieser drei Dimensionen von Attributionen entsteht, nennt Seligman »Erklärungsstil« (explanatory style). Erklärungsstile sind das Produkt der biographischen Lerngeschichten einer Person, sie sind das Kondensat ihres bisherigen Erlebens und Bearbeitens von belastenden Lebensereignissen. In einer neueren Veröffentlichung (sie trägt den programmatischen Titel »Erlernter Optimismus« – Learned Optimism; Seligman 1991) stellt der Verfasser zwei Extremausprägungen von Erklärungsstilen einander gegenüber: den »optimistischen Erklärungsstil« und den »pessimistischen Erklärungsstil«. Der optimistische Erklärungsstil trägt die Ausprägung »externale/spezifische/variable Attribution«. Dieses komplexe Attributionsmuster – so die Forschungsbefunde – wirkt wie ein immunisierender Schutzschild. Menschen, die ein solches Interpretationsschema entwickelt haben, sehen die Ursachen für belastende Lebensereignisse in anderen Personen, Situationen, Lebensstrukturen, sie sind frei von selbstwertmindernden Zuschreibungen von Schuld und Verantwortlichkeit an die eigene Person. Sie definieren Hilflosigkeitserfahrungen als singuläre, situationsspezifische, umgrenzte Ereignisse und unterstellen ihnen nur transitorische Relevanz. Der pessimistische Erklärungsstil hingegen trägt die Ausprägung »internale/universale/stabile Attribution«. Dieses kognitive Muster ist nach Seligman ein signifikanter Prädiktor für generalisierte Hilflosigkeit. Die Untersuchungsbefunde einer Vielzahl von Forschungen dokumentieren, daß die Zuschreibung aversiver Ereignisse insbesondere auf stabile Defizit-Merkmale der eigenen Person und auf unzureichende Lebensgeschicke (internal-personenbezogene Attribution – z. B. »ich war schon immer und überall unfähig, eine enge Beziehung zu leben«) eine Schlüsselrolle in der Generalisierung von Hilflosigkeitserfahrungen einnimmt. Kommt die Erwartung einer universalen Wirksamkeit der hilflos machenden Ursachen und die Annahme ihrer Stabilität über Raum und Zeit hinzu, so eröffnet sich in der Selbstwahrnehmung der Person ein Erwartungsraum umfassender Hoffnungslosigkeit.
Die Gegenüberstellung von »optimistischem« und »pessimistischem Erklärungsstil« ist eine Schwarz-Weiß-Zeichnung. Um nicht in die Falle einer unzulässigen Verallgemeinerung zu tappen, ist ein differenzierender Blick – insbesondere auf die »pessimistische« Seite – notwendig. Betrachten wir die drei Bausteine des »pessimistischen Erklärungsstils« noch einmal in einem etwas differenzierenden Licht:
Internale Attribution: Internalität ist ein inhaltlich heterogenes Konstrukt. Wir können hier zwei Medaillenseiten unterscheiden: die verhaltensbezogen-internale Attribution und die persönlichkeitsbezogen-internale Attribution. Die verhaltensbezogen-internale Attribution bezieht sich auf potentiell veränderbare personale Ursachen. Die Person begründet die Nichtkontrolle eines Lebensereignisses mit dem mangelnd kompetenten Einsatz verfügbarer Bewältigungsressourcen, mit restriktiven situativen Rahmenbedingungen (z. B. Zeitdruck) oder mit der mangelnden Zugänglichkeit/Mobilisierbarkeit prinzipiell verfügbarer sozialer Ressourcen. In all diesen Fällen führt die Person die negativen Ereignisse auf konkrete und veränderbare personale Handlungsmuster zurück; sie kann ihr künftiges Handeln ändern und so eine Wiederholung des Ereignisses verhindern. Anders im Fall der persönlichkeitsbezogen-internalen Attribution: Hier sieht die Person die Ursachen der Nichtkontrolle in einem Muster von defizitären Persönlichkeitsmerkmalen und mangelnd effizienten Kompetenzen, ein Muster, das einer Veränderung (zumindest in absehbaren Zeithorizonten) verschlossen ist und die Erfahrung einer signifikanten personalen Unterlegenheit transportiert. Die Folge dieser Selbst-Attribution von Schwäche und mangelndem Lebensgeschick aber ist eine signifikante Beschädigung der Selbstwerterfahrung.
Universale Attribution: Die empirische Evidenz spricht für den Befund, daß die Ausprägung der Attribution auf der Dimension »Universalität versus Spezifität« an die Qualität des auslösenden Ereignisses gebunden ist. Hilfreich ist hier die Einführung der Kategorie »Lebenszentralität«. Sie gibt Auskunft über die Bedeutsamkeit und die Relevanz der Nichtkontrollierbarkeit eines Ereignisses im subjektiven Sinnhorizont der Person. Ist die Lebenszentralität gering, betrifft das belastende Ereignis also nur periphere Relevanzzonen, so gelingt es der Person mit größerer Wahrscheinlichkeit, diese kritische Lebenserfahrung »einzukapseln« und in den weiteren Lebensvollzug zu integrieren – sie lernt, mit »kleinen Niederlagen« zu leben. Und umgekehrt: Ist das auslösende Ereignis von hoher subjektiver Bedeutsamkeit, so steigt das Risiko, daß die Erfahrung der eigenen Ohnmacht in Form eines negativen »Halo-Effektes« in andere Lebensbereiche getragen wird und die Hilflosigkeitserfahrung sich generalisiert.
Stabile Attribution: Die Erwartung im Hinblick auf die zeitliche Stabilität der die Hilflosigkeit auslösenden Ursachen ist zunächst einmal Funktion der Auftretenshäufigkeit des unkontrollierbaren Ereignisses.