»Sie haben das schon ganz richtig getan«, antwortete der Butler nachdenklich. »Jetzt möchte ich allerdings wissen, wie ich mein eigenes Problem lösen kann. Ich brauche unbedingt einen Wagen.«
»Mister Parker, darf ich Ihnen meinen Wagen anbieten?«
»Sie haben einen Wagen?«
»Nun, er ist nicht gerade ein Prachtstück, aber er fährt.«
»Ich nehme selbstverständlich dankend an«, erwiderte Parker sehr zufrieden. »Wo kann ich mir den Wagen abholen? Was wird denn Ihre Mutter zu diesen Dingen sagen? Ich kann mich des traurigen Gefühls nicht erwehren, daß Sie etwas gegen mich hat.«
»Sie ist schrecklich nervös und überängstlich«, antwortete Vera.
»Ihr Zustand muß mit dem Tod Dr. Flanders Zusammenhängen. Seit dieser Zeit traut sie sich kaum noch auf die Straße. Mister Parker, ich habe eine fürchterliche Angst, daß Mammy etwas passieren könnte.«
»Warum sollte ihr etwas passieren?« versuchte Parker sie zu beruhigen.
»Nun, Zack, der mit Flander zusammenarbeitete, wurde auch ermordet. Und Mutter war doch die engste Mitarbeiterin des Doktors. Nach menschlichem Ermessen müßte doch auch sie sehr gefährdet sein.«
»Haben Sie schon mit Longer darüber gesprochen?«
»Ach, der Sheriff«, sagte sie etwas verächtlich, »der ist doch froh, wenn er in Ruhe gelassen wird. Ich habe das Gefühl, daß er von Blander bestochen worden und von ihm abhängig ist.«
Parker ließ sich noch einiges berichten und fuhr dann mit dem Buick, den Vera ihm ausgeliehen hatte, vor das Hotel. Er parkte den Wagen so, daß er ihn vom Fenster aus im Auge behalten konnte. Mike Rander hatte nur auf diesen Moment gewartet. Er kam Parker schon auf der Treppe entgegen.
»Wir sollten uns zuvor in den Wagen setzen«, schlug er vor, »dann wissen wir wenigstens, daß er nicht noch einmal unklar gemacht werden kann.« Blander, Heswell und seine Männer standen an den Hotelfenstern und sahen ausdruckslos zu, wie Parker und Rander wenig später das Restaurant Stimsons verließen. Parker, der wie üblich das Steuer übernommen hatte, fuhr durch den Ort und parkte den Wagen unterhalb einer Felsnase dicht hinter Wech-Lake. Von hier aus konnten sie mit dem mitgeführten Nachtglas erkennen, was sich in Wech-Lake tat.
Nach einer knappen halben Stunde war der Wagen von Sheriff Longer zu erkennen, der den Ort in langsamer Fahrt verließ. Sofort nach seiner Abfahrt setzten sich zwei weitere Wagen in Bewegung, in denen Blander, Heswell und die übrigen Männer saßen. Sheriff Longer, der diese Abfahrt im Rückspiegel gesehen haben mußte, steigerte daraufhin das Tempo und fuhr bald an Rander und Parker vorbei, ohne diese aber sehen zu können. Ähnlich verfuhren Blander und seine Leute. Sie alle waren bald in der Dämmerung verschwunden.
»Kaum zu glauben«, meinte Rander zweifelnd, »daß Blander so offen Vorgehen wird.«
»Selbst wenn er wollte, würde er wenig erreichen«, erwiderte der Butler. »Darf ich Sie, Mister Rander, zu einem kleinen Spaziergang ermutigen?«
»Was ist los?«
»Mister Rander, ich muß gestehen, daß ich Ihnen gegenüber nicht gerade mit offenen Karten gespielt habe«, antwortete der Butler. »Halten Sie das bitte der Eitelkeit eines alten Mannes zugute.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Joe Prite befindet sich nicht im Wagen des Sheriffs.«
»Wo sonst soll er stecken?«
»Er befindet sich nach wie vor im kleinen Gefängnis in Wech-Lake.«
»Hat Longer Ihnen das verraten?«
»Bewußt nicht, aber ich ahne das, Longer hat uns alle an der Nase herumführen wollen. Er wird uns das später gern bestätigen.«
»Ich lasse mich überraschen. Und was wollen wir jetzt tun, Parker?«
»Wir sollten uns um Joe Prite kümmern«, sagte der Butler. »Obwohl Sheriff Longer ihn gut untergebracht hat, befürchte ich doch das Eingreifen des Chefs der Gangster. Ich möchte fast wetten, Mister Rander, auch der Gangsterboß weiß, was gespielt wird.«
»Wissen Sie etwa, wer der Bursche ist?«
»Mir fehlt nur noch ein Geständnis«, antwortete Butler Parker ernst. »Sie werden überrascht sein, wenn er sich demaskiert hat.«
*
Sie ließen den Wagen stehen und gingen auf Umwegen nach Wech-Lake. Da sie nicht weit zu gehen hatten, war der kleine Ort bald erreicht. Rander, der die Geheimniskrämerei seines Butlers mehr als hinreichend kannte, stellte keine weiteren Fragen. Das hier war Parkers Fall, und er sollte auch die Trümpfe so ausspielen, wie sie ihm günstig erschienen.
Sie hielten es immer so, denn sie verstanden sich ausgezeichnet und entwickelten gegeneinander auch niemals einen ungesunden Ehrgeiz.
Parker führte den Strafverteidiger geschickt an das Büro des Sheriffs heran, und sie legten sich hinter einem kleinen Busch in den Hinterhalt. Von hier aus hatten Sie einen tadellosen Überblick über das Gebäude, konnten vor allen Dingen aber die beiden Türen des Jails gut überschauen.
Erst als es vollkommen finster geworden war, erhoben sie sich und huschten zur rückwärtigen Tür des Hauses. Butler Parker, der erstaunliche Dinge in seinem Leben gelernt hatte, öffnete das komplizierte Schloß der Tür mit bewunderungswürdigem Geschick. Ein Außenstehender hätte Parker in seiner dunklen Kleidung für einen Einbrecher halten müssen. Als sie das Gebäude betreten hatten, verschloß der Butler wieder die Tür. Er übernahm die Führung, betrat den Arbeitsraum des Sheriffs und ging achtlos an dem Gitterkäfig vorbei, in dem Joe Prite gesessen hatte. Rander hatte dicht aufgeschlossen, um in der Dunkelheit nicht den Kontakt zu verlieren.
Plötzlich blieb der Butler stehen.
Ein feiner dünner Lichtstrahl sickerte durch seine schützenden Finger, die er um das Glas der Taschenlampe gelegt hatte. Er leuchtete den Boden ab und brummte zufrieden, als er die Umrisse einer Falltür erkannt hatte. Gemeinsam wuchteten sie die Tür auf und stiegen über eine Steigleiter nach unten in den Kellerraum. Sie waren sehr leise, als würden sie bereits beobachtet.
Parker ging sehr methodisch und langsam vor.
Er leuchtete auch hier unten sehr vorsichtig herum, öffnete dann die Tür und ließ den vollen Schein der Lampe auf ein längliches Paket fallen, das sich als Joe Prite herausstellte.
Sheriff Longer hatte den Gangster erstklassig verschnürt und wehrlos gemacht. Selbst ein Knebel war nicht vergessen worden. Prite hatte das Licht wahrgenommen, und seine Augen weiteten sich entsetzt. Er schnellte sie wie ein Fisch auf dem Trockenen hoch, und man sah ihm deutlich die riesige Angst an, die er hatte. Er glaubte wohl, von seinem Boß besucht zu werden.
Parker und Rander gaben sich nicht zu erkennen. Sie huschten an Prite vorbei und verbargen sich hinter einem Regal, in dem staubige Einmachgläser und Konserven lagen. Sie hockten sich beide auf eine umgestürzte Kiste und warteten.
Der Butler verfügte über die Geduld eines Asiaten. Er sah nicht einmal auf seine Armbanduhr. Rander hingegen war doch etwas nervös geworden. In immer kürzer werdenden Abständen sah er auf seine Uhr, doch die Zeit verstrich nur langsam. – Hin und wieder hörte man die Bewegungen Prites, der sich unruhig und ängstlich herumwälzte und stöhnte. Gerade Prite wußte nicht, was eigentlich gespielt wurde. Er mußte in der Dunkelheit Höllenqualen ausstehen.
Rander ergriff Parkers Arm, als plötzlich dumpf und weitab das Heulen einer Sirene zu hören war. Parker antwortete nicht, er wollte jedes Risiko vermeiden. Er wußte, daß er es mit einem sehr raffinierten Gegner zu tun hatte, der sehr vorsichtig sein würde.