Gemeinsam betraten sie das Stadthaus, erkundigten sich nach Leutnant Handy und fuhren anschließend mit dem Lift in den vierten Stock. Sie hatten Glück, denn der Polizeioffizier, ein leitender Beamter des Kriminal-Departements, war erst vor wenigen Minuten zurückgekehrt und befand sich in seinem Büro.
»Hallo, Mister Rander?« fragte Leutnant Handy und sah erstaunt auf, als Rander und Parker das Office betreten hatten. »Tag, Parker!«
»Ich hatte große Sehnsucht nach Ihnen«, lächelte Mike Rander verschmitzt. »Was gibt’s denn Neues in der Stadt?«
»Was soll es schon geben?« fragte Handy zurück. »Täglicher Kleinkram, täglicher Ärger. Nur um das herauszufinden, haben Sie mich besucht?«
»Warum so mißtrauisch?« erkundigte sich Rander harmlos.
»Ich kenne doch Sie und Parker«, sagte Handy lächelnd. »Was liegt denn nun wirklich vor, Rander?«
»Sie fanden vor knapp einer halben Stunde einen Toten im ›Lonely-Theater‹, ja?« schickte Rander voraus. »Sagt Ihnen das was, daß Parker und ich in dem Kriminalstück waren?«
»Da sind Sie aber auf der falschen Fährte«, entgegnete Handy auflachend. »Stimmt übrigens, man hatte einen Mann in der Passage restlos fertiggemacht.«
»Ist der Mann Ihnen bekannt?« fragte Rander mit neutraler Stimme.
»Warum interessiert Sie das?« erwiderte Handy. »Hatten Sie mit dem Toten zu tun?«
»Wie soll denn der Mann heißen?« fragte Mike Rander. »Ich habe nur zufällig gehört, daß in der Passage ein Mann ermordet worden ist.«
»Wir haben keine Ahnung, wer der Mann ist«, erwiderte Leutnant Handy.
»Er ist nicht im Familienalbum, und in seinen Taschen befindet sich auch nichts, was uns weiterbringen könnte. Sie sehen mich allerdings erstaunt, Mister Parker!«
»Sie sind erstaunt?« fragte Butler Parker vorsichtig. »Darf man sich nach dem Grund erkundigen?«
»Sie tragen keinen Mantel, Ihre steife Melone fehlt. Mich hat’s fast vom Schlitten gehauen, als ich Sie gesehen habe. Vielleicht interessiert es Sie, der Tote trug eine Melone und einen dunklen Mantel. Ihre Sachen, Parker!«
»Deshalb sind wir ja hier«, schaltete sich Mike Rander ein. »Wir wollten einen Diebstahl anmelden, Handy.«
»Diebstahl?«
»So ist es allerdings«, übernahm Butler Parker weiter das Gespräch. Nach dem Hinweis, den Rander gegeben hatte, konnte er allein weitermarschieren.
»Man hat meinen Mantel gestohlen und mir dafür diesen Lumpen zurückgelassen.«
Der Butler legte das Paket auf den Schreibtisch des Leutnants und riß die Umhüllung auf.
»Das müssen Sie mir der Reihe nach erzählen«, meinte Handy verblüfft.
»Wir waren zusammen im Lonely-Theater«, begann Parker. »Es wurde ein Kriminalstück uraufgeführt. Es war ein gräßliches Stück, es wimmelte nur so von Toten, und doch wußte man von Anfang an, wer der Mörder war. Im zweiten Akt erschien der Mörder und hatte einen …«
»Sie wollten mir erzählen, wie Ihnen der Mantel gestohlen worden ist«, ermahnte ihn der Polizeioffizier.
»Ich werde Ihnen den Fall präzis erklären«, schickte Butler Parker voraus. »Wir saßen also in der linken Seitenloge des Theaters, und in Anbetracht des grausam schlechten Stücks entschlossen Mister Rander und ich uns, frühzeitig das Haus zu verlassen. Können Sie mir folgen?«
»Klar, machen Sie schon weiter«, sagte Handy etwas ärgerlich.
»Also, wir wollten frühzeitig das Haus verlassen und gingen in den rückwärtigen Teil der Loge, wo die Einzelgarderobe ist. Als ich meinen Mantel vom Haken nehmen wollte, fehlte er. Dafür fand ich diesen Putzlappen.«
»Sie haben nicht gemerkt, daß der Dieb in die Loge gekommen ist?« wollte Handy wissen.
»Aber Leutnant«, protestierte der Butler. »Dann hätte ich noch meinen Mantel und Sie den Dieb.«
»Haben Sie den Mantel schon durchsucht?« fragte der Leutnant.
»Aber natürlich nicht«, erwiderte Butler Parker entrüstet. »Trauen Sie mir zu, daß ich solch einen Arbeitnehmer auch nur mit den Fingerspitzen berühre?«
»Ulkiger Zufall«, sagte Handy mißtrauisch. »Verschweigen Sie mir auch nichts?«
»Handy, machen Sie sich nicht lächerlich«, mischte sich Rander in die Unterhaltung. »Wie denken Sie über den Fall?«
»Der Mann wurde ermordet, als er das Theater verlassen wollte«, sagte Handy nachdenklich. »Er wurde ermordet, als der zweite Akt noch lief. Um einen kleinen Gauner scheint es sich nicht zu handeln. Wahrscheinlich wollte er mit den Sachen Parkers vor irgendwelchen Leuten, die ihm auf der Spur waren, verschwinden. Kleiderdiebe und Gauner erschießen sich nicht gegenseitig.«
»Sie kennen den Mann wirklich nicht?« erkundigte sich Mike Rander.
»Wir haben nicht den kleinsten Anhaltspunkt«, sagte Handy kopfschüttelnd. »Seine Anzugtaschen waren wie leergefegt. Den Mantel lassen Sie uns hier.«
»Damit hätten wir unsere Pflicht getan«, erklärte Mike Rander in verabschiedendem Ton. »Hören wir von Ihnen, wenn sich etwas getan hat?«
»Klar, ich rufe Sie dann an«, gab der Polizeioffizier zurück.
»Ob Handy den Toten wirklich nicht kennt?« fragte Butler Parker, als sie das Stadthaus verlassen hatten.
»Bis jetzt sieht’s so aus«, erwiderte Rander. »Fahren wir doch gleich mal rüber zu Glubb. Vielleicht kann der uns auf die Sprünge helfen.«
Butler Parker steuerte den schweren Wagen mit gewohnter Meisterschaft durch die City. Nach knapp zehn Minuten hatten sie den Stadtteil erreicht, der am See lag. Nach Durchfahren einiger Querstraßen erreichten sie die Gate Street.
»Nicht so schnell«, sagte Mike Rander. »Stop, Parker, wir sind schon vorbei. Nein, lassen Sie den Wagen hier stehen.«
Sie gingen ein paar Schritte zurück und standen vor einem schmiedeeisernen Gartentor. Parker drückte die Klinke herunter, die Tür gab nach. Das Haus, ein ebenerdiger, langgezogener Bau, war nach vorn heraus nicht beleuchtet. Als sie vor der Haustür standen, versuchte Parker es noch einmal mit der Klinke und hatte wieder Glück.
»Im Haus brennt kein Licht«, sagte Mike Rander. »Parker, wir können uns in aller Ruhe umsehen.«
»Das Haus ist bewohnt«, erwiderte Butler Parker. »Im Keller scheint man Holz zu sägen. Hören Sie, Mister Rander!«
»Der Holzsäger ist ein Phänomen.« Rander grinste. »Beim Sägen schläft er sogar. Hier aus dem Nebenzimmer kommt das Schnarchen, Parker …«
*
Butler Parker wollte gerade etwas erwidern, als eine Tür aufging und Licht angedreht wurde. Im Türrahmen zu einem Nebenzimmer stand ein junges Mädchen. Sie trug einen Morgenmantel, den sie sich nachlässig übergeworfen hatte.
»Guten Abend, meine Dame«, sagte Butler Parker mit einem seiner Meinung nach vertrauenerweckenden Ton. »Sie werden, wie ich Ihrem Gesichtsausdruck entnehmen kann, gewiß einigermaßen erstaunt sein, uns hier zu sehen.«
Das Mädchen im Morgenmantel gab vor Verblüffung ihre Absicht auf, laut zu schreien. »Guten Abend«, erwiderte sie nach einer kurzen Schaltpause.
»Guten Abend«, erwiderte Butler Parker noch einmal.
»Wer sind Sie, was wollen Sie?« fragte die Frau dann mit gepreßter Stimme. »Ich kenne Sie nicht. Wie kommen Sie in das Haus?«
»Wir kommen von der Liga zur Wahrung der Rechte von rechtlosen und rechtgläubigen Eingeborenen«, sagte Butler Parker. Er zuckte mit keiner Miene, als er seinen blühenden Unsinn zum