Er hämmerte mit den Fäusten gegen die starke Tür. Doch es rührte sich nichts. Rander drehte sich zu Carol Hastings um, die am vergitterten Fenster stand. Sie sah hinaus auf den Wasserarm, der hart an diesem alten Farmhaus vorbeiführte. Es roch nach brackigem Wasser, es roch nach Blüten und nach Tod. Sie schien es deutlich zu spüren. Hastig wandte sie sich zu ihm um.
»Was werden sie mit uns machen?« wiederholte sie noch einmal. »Ich halte dieses Warten nicht länger aus. Man plant doch etwas.«
»Aufregen ist sinnlos«, gab Rander zurück. »Wir leben, das ist doch die Hauptsache. Die ›Strandhaie‹ werden mit uns reden wollen. Schön, sollen sie. Ich werde ihnen Vorschläge machen. Ich denke nicht daran, aufzustecken.«
»Wo mögen wir sein, Mike?«
»Irgendwo in den Everglades. Davon werden Sie doch schon gehört haben, oder?«
»Natürlich, ich war oft hier. Aber da sah alles ganz anders aus.«
»Kunststück, Sie dürften im zivilisierten Teil der Sümpfe gewesen sein. Zypressengärten und so weiter. Hier stecken wir mitten im Sumpf. Man riecht es ja mit jedem Atemzug.«
»Sollten wir nicht versuchen, auszubrechen, Mike?«
»Wir würden nicht weit kommen. Aussichtslos. Wenn sich hinter der Tür auch nichts rührt, Carol, bewacht werden wir doch.«
»Ich habe schreckliche Angst. Ich hätte nicht abspringen sollen.«
»Sie haben genau richtig gehandelt, als Sie nicht weiter mitmachen wollten, Carol. Sie hatten es mit Gangstern zu tun.«
»Die mich dafür nun bestrafen werden.«
»Unsinn, Carol.« Viel Überzeugungskraft stak nicht in seinen Worten. Natürlich machte Rander sich keine Illusionen. Er wunderte sich nur, warum die Gangster nicht schon gehandelt hatten. Was bezweckten sie mit diesem Festhalten?
Ein Entgegenkommen war im Moment ausgeschlossen. Rander hatte sich den niedrigen Raum genau angesehen. Die Wände bestanden aus starken Bohlen. Die Tür ebenfalls. Das Gitter am Fenster war zwar verrostet, doch es saß fest im Mauerwerk. Ohne Hilfsmittel war hier nichts auszurichten.
Mike Rander dachte immer wieder an seinen Butler.
Die Anspielungen der beiden krummbeinigen Gangster waren deutlich genug gewesen. Parker mußte etwas Böses passiert sein. An das Schlimmste wagte Mike Rander nicht zu denken. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Josuah Parker nicht mehr lebte.
Rander stand neben Carol Hastings am Fenster und schaute hinaus auf den brackigen Wasserarm. Was hatte er nun davon, daß er die Betriebsgeheimnisse der ›Strandhaie‹ kannte. Er wußte von Carol, daß der Chef der Gangster der Parkplatzwächter Lew Sheridan war. Er wußte ferner, daß Ruth Soldan sehr aktiv mitmachte, daß ein Teil ihrer Girls ungewollt als Lockvogel agierte.
Ihm war bekannt, daß die beiden krummbeinigen Gangster Vettern waren. Lonsdale und sein Gegenstück bildeten zusammen mit den beiden Muskelmännern und dem Vormann John den Kern der Gangstertruppe. Will Chandels hatte im Auftrag Lew Sheridans die Opfer herausgesucht und vorgeschlagen.
Was nutzte dieses Wissen jetzt?
Mike Rander war von einer lähmenden Gleichgültigkeit erfaßt worden. Im Grunde hing es mit seinem Butler zusammen. Das Wissen darum, daß ihm etwas passiert sein mußte, machte ihn müde und ließ ihn resignieren.
Carol Hastings wich plötzlich einen Schritt zurück und schlug mit beiden Händen um sich.
»Was ist?« fragte Rander und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart.
»Bienen«, sagte Carol. »Mein Gott, es müssen ganze Schwärme sein.«
Rander lächelte schwach.
»Schließen wir wieder das Fenster«, sagte er. »Fehlt noch, daß uns auch die Bienen herumjagen. Mein Bedarf ist gedeckt.«
»Mike, sollten wir nicht den Schrank vor die Tür rücken?« schlug sie vor, nachdem Rander das Fenster geschlossen hatte.
»Was versprechen Sie sich davon?«
»Man könnte uns zumindest nicht holen.«
»Na gut, schieben wir den Schrank vor die Tür«, lenkte er ein. »Das vertreibt wenigstens die Zeit. Hoffentlich schaffen wir es, Carol?«
»Wir müssen es schaffen«, sagte sie energisch. »Ich lasse mich nicht umbringen, Mike. Sie haben sich sehr verändert. Eigentlich bin ich enttäuscht.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Als Sie zu mir kamen, waren Sie viel energischer. Da wußten Sie noch genau, was Sie wollten.«
»Stimmt schon …!«
»Seitdem Sie wissen, daß Ihrem Butler etwas passiert ist, haben Sie richtig abgeschaltet. Können Sie ihm damit helfen? Doch wohl nicht! Wir müssen jetzt an uns denken.«
»Waschen Sie mir ruhig den Kopf«, erwiderte Mike Rander. »Sie haben ja recht, Carol. Kommen Sie, versuchen wir’s mit dem Schrank. Parker würde nicht anders handeln.«
»Das wollte ich Ihnen gerade sagen, Mike. Ihr Butler hätte bestimmt nicht aufgesteckt. So, wie Sie ihn mir geschildert haben, kann ich auch nicht glauben, daß ihm etwas passiert ist. Sagten Sie nicht selbst, daß er voller Tricks ist?«
»Schon gut, Carol, ich spiele wieder mit.«
»Ich glaube, wir müssen uns beeilen«, stieß Carol plötzlich hastig aus. »Hören Sie das Motorboot? Lonsdale scheint Verstärkung zu bekommen. – Schnell, Mike, jede Minute ist kostbar …!«
*
Vor ihrer Fahrt in die Everglades hatten sie das Motorboot genau durchsucht.
An Bord befanden sich Lew Sheridan, Vormann John und die beiden Muskelmänner. Zwischen den Männern war ein gespanntes Verhältnis. Sie hatten sich zwar wieder vertragen, doch sie trauten einander nicht mehr über den Weg. Der Vorfall in Ruth Soldans Büro war nicht vergessen. Er spukte noch in ihren Hirnen herum.
Ruth Soldan war in Miami-Beach zurückgeblieben. Sie konnte sich von ihrem Wasserballett nicht trennen. Das wäre unnötig auf gefallen. Lew Sheridan war mit dieser Lösung vollkommen einverstanden. Die Frau störte ihn nur.
Immer wieder vergewisserten sie sich, ob sie verfolgt wurden. Sie hatten den Okeekobee-Kanal als Wasserweg gewählt. Das Motorboot schob sich mit halber Kraft durch die grüne Wildnis. Vom Kanal zweigten viele kleine Wasserwege ab. Der Betrieb auf dem Kanal und den Seitenstraßen war recht lebhaft. Wer Miami-Beach besuchte, der versäumte es auf keinen Fall, dieses Naturschutzgebiet zu besuchen. Die Natur befand sich hier noch im Urzustand. Es gab riesige Sümpfe mit verschwiegenen Seen, tausende von Wasservögeln, Wälder und dann plötzlich wieder kunstvoll gebaute Wasserarenen, in denen Bootsrennen, Wasserski und Alligatorenkämpfe geboten wurden.
Jeder Besucher kam hier auf seine Kosten. Der naturliebende Tourist, der Abenteurer, der Genießer, und schließlich auch der Besucher, der sicher von seinem Führer durch all diese Betriebsamkeit geschleppt wurde.
Nach einstündiger Fahrt verließ das Motorboot den breiten, gepflegten Wasserweg und schob sich vorsichtig in einen dicht bewachsenen Kanal hinein. Bäume und Zweige standen so dicht, daß John und Lew Sheridan die hohe Bordantenne einfahren mußten. Die Fahrt des Motorbootes ging noch mehr herunter. Im Schrittempo glitt es an den grünen Dschungelwänden entlang. Man glaubte sich im tiefsten Amazonas-Dschungel.
Lew Sheridan kannte sich hier sehr genau aus.
Immer wieder änderte er den Kurs des Bootes. Seine drei Begleiter verloren bald jede Orientierung. Sie machten einen recht bedrückten Eindruck. Als reine Asphaltpflanzen fürchteten sie sich instinktiv vor dieser Wildnis.
Das Boot passierte kleine Seen, breite Wasserarme, um dann wieder mit voller Kraft durch die zähe Masse von Wasserrosen