Doch bald stand wieder eine Spaltung an, ähnlich der früheren zwischen BNP und NSM. John Tyndall wollte einen britischen Nationalsozialismus, der auf Patriotismus und weißen Rassenstolz fußte und aktuelle Probleme in den Blick nahm. Die Jordan so teure offene Hitler-Verehrung, meinte Tyndall, wirke zunehmend anachronistisch und sei obendrein ein politisches Handikap. Zusätzlich mag ihn die demütigende Erfahrung, dass er seine Verlobte an Jordan verlor, zum Bruch mit dem langjährigen Kampfgefährten motiviert haben. Im August 1964 gründete Tyndall sein Greater Britain Movement, die »Bewegung für das Größere Britannien«, kurz GBM. (Das Schlagwort »Greater Britain« – gemeint ist Großbritannien plus Kolonialreich – benutzt der imperialistische und nationalistische Diskurs in England seit fast anderthalb Jahrhunderten, um zu artikulieren, dass Großbritannien in seinen Kolonien – den ehemaligen wie den noch bestehenden – weiterhin bestimmenden Einfluss nehmen solle.) Die neue Splittergruppe hatte etwa 130 Mitglieder und ein eigenes Magazin namens Spearhead. Nach ihrer bitteren Trennung blieb zu klären, welche Vereinigung denn künftig als britische Sektion der WUNS zu gelten habe: Jordans NSM oder Tyndalls GBM. George Rockwell wurde von beiden Parteichefs heftig umworben – und entschied sich instinktiv für Jordan; ihm hatte imponiert, dass der Birminghamer sich seit seinen politischen Anfängen stets ungeniert zum Nationalsozialismus bekannt hatte und jetzt Tyndalls Plan, das Hakenkreuz nicht mehr als Symbol der Bewegung zu verwenden, als anrüchig bezeichnete. Über die Frage, wie offen man auf nazistische Ikonographie zurückgreifen dürfe, sollte man sich innerhalb der extremen Rechten Englands auch später noch oft zerstreiten.14
Die relative Sicherheit, die ihm Rockwells Gunst gewährte, gab Jordan Gelegenheit zu dem Versuch, sich als maßgeblicher Theoretiker des modernen Nationalsozialismus im angloamerikanischen Raum zu profilieren. Die erste Nummer des WUNS-Hausblattes National Socialist World präsentierte 1966 einen Grundsatzartikel aus der Feder Jordans, der, wie es hieß, die Hitler’sche Ideologie vom »philosophischen Standpunkt her würdigen« wollte und sie, erwartbar, zur »allumfassenden Weltanschauung« adelte. Den Nationalsozialismus, behauptete Jordan, hätten weder die Niederlage des Dritten Reiches noch die Ächtung, die er anschließend habe erdulden müssen, gänzlich ausgetilgt. Das werde auch niemals gelingen, denn er sei »identisch mit dem Selbsterhaltungswillen des edleren Menschen, seinem Hang zum Gesunden und zum Starken, seinem Verlangen nach Schönheit im Leben«. Vorbilder erblickt Jordan in Platons Griechenland und nicht minder im alten Rom, seinem Bürgerrecht, seinem zivilen und militärischen Staatsdienst. Es wäre ein Wunder, wenn er in dieser Reihe nicht auch die nordischen Stämme nennen würde, bei denen Blutsbande von jeher, so weiß der Theoretiker, eine hohe Bedeutung besäßen. Für Jordan ist der Nationalsozialismus »eine naturgetriebene, organische Revolte gegen die gedanklichen Konstrukte des Liberalismus und Demokratismus und gegen die Gesellschaft, die sie uns beschert haben; eine Gesellschaft, in der Geld das einzige Band zwischen den Menschen bildet; die einem zügellosen Individualismus das Wort redet; die den Menschen als eine volklose, austauschbare Einheit innerhalb der Weltbevölkerung betrachtet, und die ihre metaphysische Rechtfertigung aus einem verrotteten Christentum bezieht, das nur noch einen kränklichen und schwächlichen ›Humanitarismus’ zu predigen vermag«. Der neue Nationalsozialismus, behauptete Jordan, sei viel mehr als nur ein politisches Konzept, nämlich eine weltweite Wiedergeburt der arischen Rasse und ein Wiedererwachen völkischen Zusammengehörigkeitsgefühls über nationale Grenzen hinweg.15
Nach dem Bruch 1964 blieb Jordan eingefleischter Nazi, während Tyndall den Tarnmantel des britischen Nationalismus über sein früheres Hitlerianertum zog. Jordan beteiligte sich indirekt, aber erfolgreich an den Parlamentswahlen 1964: Im Wahlkreis Smethwick bei Birmingham unterstützte er den konservativen Kandidaten Peter Griffiths mit einer derart effektiven xenophoben Kampagne, dass der Tory seinem nicht eben unprominenten Labour-Kontrahenten, Patrick Gordon-Walker, den seine Partei gern als Außenminister im nächsten Kabinett gesehen hätte, eine Niederlage bescherte. Jordan kopierte bei seinen Aktionen die Happening-ähnlichen PR-Methoden seines Vorbildes George Rockwell und ließ einige seiner Leute in Affenkostümen demonstrieren, um die rassistische Botschaft zu vermitteln. Im Januar 1965 startete Jordan bei den Nachwahlen in Leyton (nordöstlich von London) einen Feldzug auf eigene Rechnung gegen Gordon-Walker und trug dazu bei, dass der extrem integrationistische Kandidat wieder keinen Sitz erhielt. Aber die radikale Rechte mochte sich nicht darauf verlassen, was innerhalb der parlamentarischen Spielregeln möglich war, und versuchte sich nun zwei Jahre am Terrorismus. Kommandos, die sich personell aus Jordans NSM, Fountaines BNP und Tyndalls GBM rekrutierten, griffen jüdische Einrichtungen an. Bei einer Brandbombenattacke auf eine Talmudhochschule im Nordlondoner Vorort Stoke Newington kam ein Student ums Leben. Mitglieder des NSM wurden wegen Anschlägen gegen Synagogen in den Londoner Distrikten Clapton, Ilford, Kilburn und Bayswater verhaftet. Jordans Frau Françoise Dior, Französin aus reichem Hause (und Nichte des berühmten Modedesigners Christian Dior), musste 1968 für achtzehn Monate ins Gefängnis, weil sie gemeinsam mit anderen geplant hatte, Feuer an eine Synagoge zu legen.16
Der nationalistische Mainstream jedoch setzte weiterhin auf Stimmzettelerfolge. Und die Chancen schienen so schlecht nicht zu stehen. 1966 gewann die entschieden immigrantenfreundliche Labour Party einmal mehr die Parlamentswahlen; und die Tories schlugen gegenüber den Einwanderern plötzlich auch integrative Töne an, so dass rechts eine Menge Platz frei wurde. Den wollten die xenophoben Parteien besetzen, indem sie die Wähler einsammelten, denen der immigrationspolitische Konsens der Großen nicht passte. Diesen Prozess in Gang zu bringen, fiel nun gerade dem bisher eher glücklos agierenden John Tyndall zu. Enttäuscht darüber, dass sein Idol George Lincoln Rockwell nicht ihn, sondern Jordan zum offiziellen britischen Vertreter der WUNS ernannt hatte, sagte Tyndall schweren Herzens seinen früheren Bestrebungen, Führer einer neuen nationalsozialistischen Bewegung zu werden, ade und widmete sich fortan der Aufgabe, innerhalb der radikalen Rechten Englands neue Brücken zu bauen. Seine Mühe blieb nicht ohne Erfolg. Unterstützung fand er bei dem alterfahrenen Kämpen Arthur K. Chesterton, der sich selbst bereits an einem Netzwerk rechter Gruppen versucht hatte. Und so vereinten sich Tyndalls GBM, Chestertons League of Empire Loyalists, Beans British National Party und Beauclairs Racial Preservation Society (»Gesellschaft zur Rassenerhaltung«) im Februar 1967 zur National Front, kurz NF. Seinen einstigen Kombattanten Colin Jordan freilich schloss Chesterton gleich vorab von den Fusionsverhandlungen aus: mit seinem unverhohlenen Nazi-Kopistentum passte er in die entstehende Formation nicht hinein; er hätte sie, fürchtete man, nur öffentlich blamiert. Der NSM-Chef spielte daher keine Rolle bei der viel versprechenden Entwicklung der NF zur nationalistischen Stimme Englands, zur »vierten Partei« im politischen Leben Großbritanniens (neben Labour, den Tories und den Liberalen). Ohne ihn, den einstigen »Weltführer«, erzielte die britische Rechte in den 70er-Jahren bedeutsame Wahlerfolge, indem sie geschickt die Überfremdungsängste der Einheimischen mobilisierte.17 Jordan blieb ein nazistischer Untergrundkämpfer.
Wie stark war sein NSM überhaupt? 1966 hieß es in einem Polizeibericht, die Partei habe während ihrer ganzen Geschichte insgesamt 187 Vollmitglieder besessen; hinzugekommen