Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-Clarke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicholas Goodrick-Clarke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843801706
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bestimmte Bedingungen erfüllte, etwa eine amtliche Arbeitserlaubnis vorweisen konnte). Am 1. Juli 1962 hielt das NSM auf dem Londoner Trafalgar Square eine Kundgebung vor ungefähr viertausend Leuten ab, denen Colin Jordan zurief: »Mit jedem Tag öffnen mehr Menschen ihre Augen und erkennen, dass Hitler recht hatte. Sie erkennen, dass wir im Weltkrieg das falsche Volk befehdet haben. Nicht Hitler und die deutschen Nationalsozialisten hätten wir bekämpfen müssen, sondern unseren wahren Feind, das Weltjudentum und seine Verbündeten in diesem Land.« John Tyndall hielt eine ähnlich fulminante antisemitische Brandrede: »In unserer demokratischen Gesellschaft lebt der Jude wie eine giftige Made, die sich von einem Körper ernährt, dessen Fäulnis bereits weit vorangeschritten ist.«

      In der öffentlichen Wahrnehmung überschatteten bald das offene Bekenntnis zur nazistischen Ideologie und der bösartige Antisemitismus den Programmpunkt »Bekämpfung der farbigen Invasion«, der reale Ängste der einheimischen Bevölkerung aufgriff und die Jordans Partei durchaus Wahlerfolge hätte bescheren können. Doch statt auf brandaktuelle Themen setzte man lieber auf Parolen von gestern. Das NSM trug schlicht die Gedankenwelt des Arnold Leese und seiner Imperial Fascist Ligue aus den 30er-Jahren in die Gegenwart hinein. So passierte nicht viel mehr, als dass man Juden und Linke attackierte und die Attackierten sich wehrten. Schon am Ende der Trafalgar-Square-Kundgebung kam es zu Handgreiflichkeiten. Jüdische Bürger stürmten in großer Zahl die Bühne, begleitet von Kommunisten und Mitgliedern der radikalpazifistischen Campaign for Nuclear Disarmament (»Kampagne für nukleare Abrüstung«, kurz CND). Das NSM rühmte sich später, dass ihre Demonstration vom 1. Juli 1962 den Startschuss zu den Rassenkrawallen geliefert habe, die in diesem Jahr das Land erschüttern sollten; denn so sei der ethnische Konflikt, den die herrschenden Kreise gern kaschierten, endlich offensichtlich geworden. Nicht selten waren rechte Veranstaltungen Auslöser der Gewalttätigkeiten. So demonstrierten den Juli hindurch auch Oswald Mosley und sein Union Movement. Wo immer sie sich blicken ließen – auf dem Trafalgar Square, im East End der Hauptstadt oder in Manchester – stets provozierten sie Tumult. Anfang August tobten drei Tage lang Rassenunruhen in Dudley bei Birmingham; wieder gab es viele Festnahmen.

      Nach der Spaltung der BNP mühten sich Tyndall und Jordan weiter, Sturmtruppengeist in die Reihen des NSM zu bringen. Im April und Mai 1962 konnten die Ermittler des Staatsschutzes regelmäßig beobachten, wie Jordan in den North Downs, einem Hügelgelände in der südenglischen Grafschaft Surrey, seine Spearhead-Einheit trainierte. Zum Manöver gehörte ein simulierter Angriff auf einen alten Aussichtsturm in Leith Hill bei Dorking. Das Selbstverständnis und das strategische Konzept des NSM ließen solch paramilitärischen Drill unverzichtbar erscheinen. Schließlich wollte man es machen wie die Nazis in den 20er-Jahren, die sich einst erfolgreich durch derlei für die Eroberung der Macht ertüchtigten. Jordan und Tyndall waren fasziniert von der romantisch-verwegenen Idee, im Falle einer nationalen Krise mit bewaffneten Kampftrupps zuzuschlagen. Aber die Spearhead-Manöver geschahen auch, weil beim internationalen Sommertreffen der rechten Bewegungen, welches Jordan im August 1962 in England zu veranstalten gedachte, das britische Kontingent den Nazis aller Welt mustergültige Leistungskraft und Einsatzfähigkeit vorführen sollte.

      Colin Jordan trieben hauptsächlich zwei Motive, ein solches Meeting einzuberufen. Erstens ging es ihm um Öffentlichkeitsarbeit für das NSM und um die Werbung neuer Mitglieder. Dies erschien dringend notwendig, denn zu Beginn hatte Jordan eine recht überschaubare Anhängerschaft. Nach der Abspaltung von der BNP waren ihm nur zwanzig Aktivisten geblieben, darunter John Tyndall, Denis Pirie und Roland Kerr-Ritchie. Die Trafalgar-Square-Demonstration hatte das NSM ins Scheinwerferlicht gebracht und eine Weile dort gehalten; doch der Anfangserfolg, so viel war Jordan klar, würde, wenn weiter nichts geschähe, bald verpuffen. Das NSM brauchte mehr Mannstärke, schon um nicht rettungslos hinter die konkurrierende BNP zurückzufallen, die es inzwischen auf ca. eintausend aktive Gefolgsleute brachte. Darüber hinaus aber – und damit kommen wir zum zweiten Motiv – hatte Jordan auch globale Perspektiven im Blick. Indem er eingeschworene Antisemiten und Farbigenfeinde aus aller Welt unter der Ägide seines NSM versammelte, konnte er, so sein Kalkül, an die Spitze einer internationalen Nazi-Bewegung rücken.

      Der Höhepunkt des Camps aber kam erst am Nachmittag, als man sich wieder dem eigentlichen politischen Geschäft widmete. Alle Delegierten wurden zur Beschlussfassung versammelt. Die Anwesenden riefen eine neue nazistische Internationale ins Leben, die World Union of National Socialists, kurz WUNS. Das Gründungsdokument erhielt den Namen Cotswold Agreement (»Übereinkunft von Cotswold«), nach dem Distrikt, zu dem die Örtlichkeit Guiting Wood gehört. Es hielt fest, dass Jordan, Rockwell und die Führer der nationalsozialistischen Parteien aus den anderen Ländern eine Konföderation gebildet hätten, eben die WUNS, deren primäre Nahziele folgende seien:

      1 1. Bildung einer monolithischen, schlagkräftigen, international aktionsfähigen politischen Organisation zur Bekämpfung und endgültigen Vernichtung des internationalen jüdisch-kommunistischen und zionistischen Machtapparates, der Verrat und Subversion in alle Lande bringt.

      2 2. Bildung einer monolithischen, schlagkräftigen, international aktionsfähigen politischen Organisation zur Bekämpfung und endgültigen Vernichtung des internationalen jüdisch-kommunistischen und zionistischen Machtapparates, der Verrat und Subversion in alle Lande bringt.

      3 3. Schutz von Privatbesitz und freiem Unternehmertum vor kommunistischem Klassenkampf.

      Als ein Fernziel postulierte man die »Einheit aller Weißen in einer nationalsozialistischen Weltordnung mit vollständiger Apartheid der Rassen«. Dergleichen Forderungen stießen wohl bei keiner der nationalistischen oder sonstwie rechtsradikalen Gruppen auf nennenswerten Widerspruch. Paragraph 7 des Zusatzprotokolls jedoch kodifizierte unmissverständlich die spezifisch »braune« Ausrichtung der WUNS: »Organisationen und Einzelpersonen, welche unsere Treue zu den Ideen Adolf Hitlers oder die Tatsache, dass wir Nationalsozialisten sind, in Frage stellen, können kein Mitglied werden.« Ein anderes Fernziel klang noch makabrer: Man wolle, hieß es, »eine gerechte und endgültige Regelung des Judenproblems finden und in die Tat umsetzen«. Damit stellte sich die WUNS explizit in die Tradition der Hitler’schen »Endlösung«. Die Delegierten des Gründungskongresses, siebenundzwanzig an der Zahl, wählten Jordan zum »Weltführer« und Rockwell zu seinem Stellvertreter und Nachfolger.