Colin Jordans englischer Neonazismus war eine radikale Reaktion auf die vermehrte Präsenz Farbiger in der britischen Gesellschaft. Während die amerikanischen Nazis gegen die zunehmende Emanzipation der »einheimischen« schwarzen Unterklasse protestierten, fochten ihre britischen Gesinnungsfreunde wider die stetig anwachsende Immigration Farbiger aus den Staaten des New Commonwealth seit den frühen 50er-Jahren. Doch nicht alles an diesem rassischen Nationalismus war rein reaktiv. Es lebten in ihm auch Traditionen des britischen Vorkriegsfaschismus weiter, so ein aggressiver Antisemitismus und eine rückhaltlose Bewunderung für Hitler und den deutschen Nationalsozialismus. Diese Ideale kennzeichneten die politische Programmatik Colin Jordans von den Kriegsjahren bis in die 90er- Jahre und machten ihn zum Hauptvertreter des britischen Hitler-Kults nach 1945. Wer den militanten Nazi-Untergrund der Gegenwart besser begreifen will, sollte sich näher mit Colin Jordan und seinem Aufstieg zur neonazistischen Führerfigur beschäftigen. Rechtsterroristische Formationen unserer Tage wie Combat 18 und David Myatts National-Socialist Movement verehren Jordan als großes Vorbild, ähnlich wie viele gewalttätige Rechte in Amerika George Lincoln Rockwell vergöttern. Auch dass Jordans »Karriere« in unmittelbarem Zusammenhang mit der Massenmigration steht, verleiht den englischen Vorgängen paradigmatische Bedeutung für bestimmte Entwicklungen im heutigen Europa.
John Colin Campbell Jordan wurde 1923 in Birmingham geboren. Er besuchte die Warwick School, eine renommierte Privatschule im nahen Warwick. Dort gewann er ein Stipendium für das Studium der Geschichte an der Universität von Cambridge. Mittlerweile tobte der Weltkrieg. Jordan unterbrach sein Studium und meldete sich freiwillig zur Fleet Air Arm (»Marineluftflotte«). Er wäre gern Marinepilot geworden, belegte auch entsprechende Kurse, scheiterte aber in der Abschlussprüfung. Unverdrossen ließ er sich zur Royal Air Force versetzen, um weitere Flugerfahrung zu sammeln. Ende 1944, behauptete er später, habe sich sein politisches Weltbild fertig entwickelt; er habe erkannt, dass England einen ungerechten Kampf kämpfe, und sei für einen Verhandlungsfrieden mit Deutschland eingetreten. Da als Flieger noch nicht voll einsatzfähig, wurde Jordan zurückgestellt. Man teilte ihn dem Royal Army Medical Corps zu, dem Sanitätscorps des britischen Heeres, wo er als Fachlehrkraft wirkte. Nach der Entlassung aus der Armee setzte er ab 1946 sein Studium am Sidney Sussex College in Cambridge fort. Und wie viele seiner Kommilitonen, die gleich ihm zwischendurch im Krieg waren und als schon reifere junge Erwachsene auf den Campus zurückkehrten, engagierte sich auch Colin Jordan im Universitätsleben außerhalb der Lehrveranstaltungen. So trat er in die Redaktion der Universitätszeitung Varsity (»Uni«) ein, desgleichen in den hochschuleigenen Debattierclub, wo er bald das große Wort führte. Er verließ das College 1949 mit einem guten Abschluss.2
Schon während seiner Universitätsjahre in Cambridge knüpfte Colin Jordan Kontakte zu mehreren nationalistischen und neofaschistischen Gruppen und warb vor Ort eifrig für rechte Ideen, streckte die Fühler aber auch ins Überregionale aus. An der Hochschule selbst gründete er den University Nationalist Club. Er trat ein in die antisemitische British Peoples Party (»Britische Volkspartei«), kurz BPP, und wurde bald in ihren Vorstand gewählt. Zu diesem Verbund ein knapper Rückblick. Die BPP war im Sommer 1939 von dem rührigen Faschisten John Beckett gegründet worden. 1937-38 hatte der Mussolini-Bewunderer Beckett bereits die Vorgängerorganisation geleitet, die National Socialist League (»Nationalsozialistische Liga«), gemeinsam mit einem anderen nicht unprominenten Rechtsradikalen, William Joyce. Dieser begabte Rhetoriker und Hitler-Verehrer floh 1939 nach Deutschland und machte von Berlin aus während des Krieges englischsprachige Rundfunkpropaganda für die Nazis. Dem affektierten Sprechton der britischen Oberschicht, dessen er sich dabei bediente, verdankte er seinen Spitznamen »Lord Haw-Haw«. Die Feindwerbung verzieh man ihm daheim nicht; 1946 wurde Joyce wegen Hochverrats hingerichtet. Die BPP nun pflegte weiter faschistisches Gedankengut, ohne wie die National Socialist League allzu explizit auf das braune Deutschland Bezug zu nehmen. Man rückte soziale Aspekte in den Vordergrund, namentlich ein bestimmtes Wirtschaftskonzept, das, von dem Schotten Clifford H. Douglas ersonnen, seit den 20er-Jahren bei den Rechtsextremen aller Welt im Schwange war und Social Credit hieß. Dieses Konzept verlangt, das monetäre System (»credit«) so umzubauen, dass es dem gesellschaftlichen Wohlstand und Fortschritt (»social«) dient. Raffendem Kapital, Zinsknechtschaft und Spekulation, kurz, der omnipotenten Herrschaft des Geldes wird der Kampf angesagt. Ein kompliziertes Umverteilungssystem soll allen Individuen ein auskömmliches Leben garantieren. Solcher »Antikapitalismus rechtsrum« erschien im England jener Jahre gesellschaftsfähiger als eine offener Parteinahme für das Dritte Reich. Diese vermied die BPP sorgfältig und forderte stattdessen lieber Friedensverhandlungen mit Deutschland: ganz im Sinne des Herzog von Bedford, eines prominenten englischen Pazifisten, unter dessen aristokratischer Patronage die BPP stand. So überlebte man Kriegsende und Internierung. Colin Jordan versuchte bald wieder, die rechte Sache im mittelenglischen Raum zu fördern. Nach seinem Weggang aus Cambridge gründete Jordan noch rasch in seiner Geburtsstadt den Birmingham Nationalist Club und leitete ihn eine Weile, bis er nach Leeds weiterzog, wo er mehrere Jahre an einer Schule unterrichtete. In jener Zeit profilierte er sich als furioser Antikommunist, der sich mit einem nicht minder furiosen Antisemitismus verband. 1955 erschien sein erstes Buch, Fraudulent Conversion. The Myth of Moscow’s Change (»Unterschlagung. Der Mythos von Moskaus Meinungswandel«). Darin behauptete er, die Sowjetunion werde unvermindert von Juden gesteuert; auch wenn die antisemitischen Ausfälle der späten Stalin-Jahre und die pro-arabische Linie der jüngsten sowjetischen Außenpolitik andere Schlüsse nahelegen mögen. Der Titel ist doppelsinnig: fraudulent conversion (wörtlich: »betrügerische Aneignung«), bezeichnet den Straftatbestand der »Unterschlagung«; nun gehört die Verdächtigung, die Juden wollten durch Arglist die Welt in ihren Besitz bringen, ja zu den klassischen Topoi der antisemitischen Propaganda. Nimmt man jedoch den Untertitel hinzu und bedenkt eine weitere Bedeutung des verwendeten Substantivs, lässt sich fraudulent conversion auch lesen als »vorgetäuschter Kurswechsel«. Es gebe nämlich keinen, meint Jordan. Die Zwistigkeiten zwischen Kommunismus und Zionismus seien nur ein innerjüdischer Strategiestreit um den besten Weg zur Erlangung der Weltherrschaft.3
Eine seiner Bekanntschaften aus Cambridger Zeit sollte Jordans Mentor werden: der eingefleischte Antisemit Arnold Spencer Leese (1878-1956). 1929 hatte dieser die Imperial Fascist Ligue (»Faschistische Liga des Britische Imperiums«) gegründet, eine kleine, kaum zweihundert Mitglieder umfassende Partei, die sich, was prodeutsche und antisemitische