Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-Clarke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicholas Goodrick-Clarke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843801706
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Rechtsradikalen außerhalb Deutschlands überwiegend penetrant nazifreundlich artikuliert. Eines der prominentesten Beispiele: der bereits genannte Oswald Mosley (1896-1980), der 1932 die British Union of Fascists gründete, sich dann als Lobredner Hitlers hervortat und von seiner Regierung verlangte, dem braunen Deutschland einen Verhandlungsfrieden anzubieten, wofür er 1940 interniert wurde. Die faschistische Nachkriegs-Internationale hingegen achtete im Allgemeinen peinlich darauf, nicht mit Hitler, der SS, dem Nationalsozialismus und dem Holocaust in Verbindung gebracht zu werden. Ausgerechnet Mosley hatte diese Taktik vorgegeben. Der britische Oberfaschist beugte sich dem Zeitgeist insoweit, als er nun einen europäischen Einheitsstaat predigte, den er schon 1948 im Wahlprogramm seines Union Movement gefordert hatte. Die meisten englischen Rechtsextremen folgten Mosleys Linie; bei Nationalisten freilich und vielen unorganisierten Faschisten erntete sie heftigen Widerspruch. Man konnte erwarten, dass die Radikalen dieser Rücksichtnahmen irgendwann überdrüssig würden. Im Frühling 1962 war es so weit. Colin Jordan, schon viele Jahre Aktivist in der rechten Szene, seit zwei Jahren Chef einer eigenen Partei, des National Socialist Movement (der »Nationalsozialistischen Bewegung«) und bald der maßgebliche Neonaziführer Englands, bekannte sich offen zu Adolf Hitler. Sein Verbund zitierte im Erscheinungsbild ohne jede Scham alte Nazi-Requisiten, so Braunhemden, Kniehosen und Schaftstiefel; dazu wurde – auf deutsch – »Sieg Heil« und »Juden raus« gebrüllt und das Horst-Wessel-Lied gesungen. Freilich wollten auch die ungenierten Neubraunen eine Weltbewegung sein. Daher bildeten im August 1962 Nazigruppen aus sieben Ländern die World Union of National Socialists, kurz WUNS, als selbst ernannte Nazi-Internationale. Unter den Gründern: prominente Vertreter(innen) des rabiaten Ariertums wie George Lincoln Rockwell und Savitri Devi.

      Colin Jordans englischer Neonazismus war eine radikale Reaktion auf die vermehrte Präsenz Farbiger in der britischen Gesellschaft. Während die amerikanischen Nazis gegen die zunehmende Emanzipation der »einheimischen« schwarzen Unterklasse protestierten, fochten ihre britischen Gesinnungsfreunde wider die stetig anwachsende Immigration Farbiger aus den Staaten des New Commonwealth seit den frühen 50er-Jahren. Doch nicht alles an diesem rassischen Nationalismus war rein reaktiv. Es lebten in ihm auch Traditionen des britischen Vorkriegsfaschismus weiter, so ein aggressiver Antisemitismus und eine rückhaltlose Bewunderung für Hitler und den deutschen Nationalsozialismus. Diese Ideale kennzeichneten die politische Programmatik Colin Jordans von den Kriegsjahren bis in die 90er- Jahre und machten ihn zum Hauptvertreter des britischen Hitler-Kults nach 1945. Wer den militanten Nazi-Untergrund der Gegenwart besser begreifen will, sollte sich näher mit Colin Jordan und seinem Aufstieg zur neonazistischen Führerfigur beschäftigen. Rechtsterroristische Formationen unserer Tage wie Combat 18 und David Myatts National-Socialist Movement verehren Jordan als großes Vorbild, ähnlich wie viele gewalttätige Rechte in Amerika George Lincoln Rockwell vergöttern. Auch dass Jordans »Karriere« in unmittelbarem Zusammenhang mit der Massenmigration steht, verleiht den englischen Vorgängen paradigmatische Bedeutung für bestimmte Entwicklungen im heutigen Europa.