Die Geisteswissenschaften. Wilhelm Dilthey. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Dilthey
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837370
Скачать книгу
als das Korrelat der Erfahrung, in dem Zusammenwirken einer Gliederung unserer Sinne mit der inneren Erfahrung gegeben ist, entspringt aus der hierdurch bedingten Verschiedenheit der Provenienz ihrer Bestandteile eine Unvergleichbarkeit innerhalb der Elemente unserer wissenschaftlichen Rechnung. Sie schließt die Ableitung von Tatsächlichkeit einer bestimmten Provenienz aus der einer anderen aus. So gelangen wir von den Eigenschaften des Räumlichen doch nur vermittels der Faktizität der Tastempfindung, in welcher Widerstand erfahren wird, zu der Vorstellung der Materie; ein jeder der Sinne ist in einen ihm eigenen Qualitätenkreis eingeschlossen; und wir müssen von der Sinnesempfindung zu dem Gewahren innerer Zustände übergehen, sollen wir eine Bewußtseinslage in einem gegebenen Moment auffassen. Wir können sonach die Data in der Unvergleichlichkeit, in welcher sie infolge ihrer verschiedenen Provenienz auftreten, eben nur hinnehmen; ihre Tatsächlichkeit ist für uns unergründlich; all unser Erkennen ist auf die Feststellung der Gleichförmigkeiten in Aufeinanderfolge und Gleichzeitigkeit eingeschränkt, gemäß denen sie nach unserer Erfahrung in Beziehungen zueinander stehen. Dies sind Grenzen, welche in den Bedingungen unseres Erfahrens selber gelegen sind, Grenzen, die an jedem Punkte der Naturwissenschaft bestehen: nicht äußere Schranken, an welche das Naturerkennen stößt, sondern dem Erfahren selber immanente Bedingungen desselben. Das Vorhandensein dieser immanenten Schranken der Erkenntnis bildet nun durchaus kein Hindernis für die Funktion des Erkennens. Bezeichnet man mit Begreifen eine völlige Durchsichtigkeit in der Auffassung eines Zusammenhangs, so haben wir es hier mit Schranken zu tun, an welche das Begreifen anstößt. Aber, gleichviel ob die Wissenschaft ihrer Rechnung, welche die Veränderungen in der Wirklichkeit auf die Bewegungen von Atomen zurückführt, Qualitäten unterordne oder Bewußtseinstatsachen: falls diese sich ihr nur unterwerfen lassen, bildet die Tatsache der Unableitbarkeit kein Hindernis ihrer Operationen; ich vermag sowenig einen Übergang von der bloßen mathematischen Bestimmtheit oder der Bewegungsgröße zu einer Farbe oder einem Ton als zu einem Bewußtseinsvorgang zu finden; das blaue Licht wird von mir durch die entsprechende Schwingungszahl so wenig erklärt, als das verneinende Urteil durch einen Vorgang im Gehirn. Indem die Physik es der Physiologie überläßt, die Sinnesqualität blau zu erklären, diese aber, welche in der Bewegung materieller Teile eben auch kein Mittel besitzt, das Blau hervorzuzaubern, es der Psychologie übergibt, bleibt es schließlich, wie in einem Vexierspiel, bei der Psychologie sitzen. An sich aber ist die Hypothese, welche Qualitäten in dem Vorgang der Empfindung entstehen läßt, zunächst nur ein Hilfsmittel für die Rechnung, welche die Veränderungen in der Wirklichkeit, wie sie in meiner Erfahrung gegeben sind, auf eine gewisse Klasse von Veränderungen innerhalb derselben, welche einen Teilinhalt meiner Erfahrung bildet, radiziert, um sie für den Zweck der Erkenntnis gewissermaßen auf eine Fläche zu bringen. Wäre es möglich, bestimmt definierten Tatsachen, welche in dem Zusammenhang der mechanischen Naturbetrachtung eine feste Stelle einnehmen, konstant und bestimmt definierte Bewußtseinstatsachen zu substituieren und nunmehr gemäß dem System von Gleichförmigkeiten, in welchem die ersteren Tatsachen sich befinden, das Eintreten der Bewußtseinsvorgänge ganz im Einklang mit der Erfahrung zu bestimmen: alsdann wären diese Bewußtseinstatsachen so gut dem Zusammenhang des Naturerkennens eingeordnet, als es irgend Ton oder Farbe sind.

      Gerade hier macht sich aber die Unvergleichbarkeit materieller und geistiger Vorgänge in einem ganz an deren Verstande geltend und zieht dem Naturerkennen Grenzen von einem durchaus anderen Charakter. Die Unmöglichkeit der Ableitung von geistigen Tatsachen aus denen der mechanischen Naturordnung, welche in der Verschiedenheit ihrer Provenienz gegründet ist, hindert nicht die Einordnung der ersteren in das System der letzteren. Erst wenn die Beziehungen zwischen den Tatsachen der geistigen Welt sich als in der Art unvergleichbar mit den Gleichförmigkeiten des Naturlaufs zeigen, daß eine Unterordnung der geistigen Tatsachen unter die, welche die mechanische Naturerkenntnis festgestellt hat, ausgeschlossen wird: dann erst sind nicht immanente Schranken des erfahrenden Erkennens aufgezeigt, sondern Grenzen, an denen Naturerkenntnis endigt und eine selbständige, aus ihrem eigenen Mittelpunkte sich gestaltende Geisteswissenschaft beginnt. Das Grundproblem liegt sonach in der Feststellung der bestimmten Art von Unvergleichbarkeit zwischen den Beziehungen geistiger Tatsachen und den Gleichförmigkeiten materieller Vorgänge, welche eine Einordnung der ersteren, eine Auffassung von ihnen als von Eigenschaften oder Seiten der Materie ausschließt und welche sonach ganz anderer Art sein muß als die Verschiedenheit, die zwischen den einzelnen Kreisen von Gesetzen der Materie besteht, wie sie Mathematik, Physik, Chemie und Physiologie in einem sich immer folgerichtiger entwickelnden Verhältnis von Unterordnung darlegen. Eine Ausschließung der Tatsachen des Geistes aus dem Zusammenhang der Materie, ihrer Eigenschaften und Gesetze wird immer einen Widerspruch voraussetzen, der zwischen den Beziehungen der Tatsachen auf dem einen und denen der Tatsachen auf dem anderen Gebiet bei dem Versuch einer solchen Unterordnung eintritt. Und dies ist in der Tat die Meinung, wenn die Unvergleichbarkeit des geistigen Lebens an den Tatsachen des Selbstbewußtseins und der mit ihm zusammenhängenden Einheit des Bewußtseins, an der Freiheit und den mit ihr verbundenen Tatsachen des sittlichen Lebens aufgezeigt wird, im Gegensatz gegen die räumliche Gliederung und Teilbarkeit der Materie sowie gegen die mechanische Notwendigkeit, unter welcher die Leistung des einzelnen Teils derselben steht. So alt beinahe, als das strengere Nachdenken über die Stellung des Geistes zur Natur, sind die Versuche einer Formulierung dieser Art von Unvergleichbarkeit des Geistigen mit aller Naturordnung, auf Grund der Tatsachen von Einheit des Bewußtseins und Spontaneität des Willens.

      Indem diese Unterscheidung von immanenten Schranken des Erfahrenes einerseits, von Grenzen der Unterordnung von Tatsachen unter den Zusammenhang der Naturerkenntnis andererseits in die Darlegung des berühmten Naturforschers eingeführt wird, empfangen die Begriffe von Grenze und Unerklärbarkeit einen genau definierbaren Sinn, und damit schwinden Schwierigkeiten, welche in dem von dieser Schrift hervorgerufenen Streit über die Grenzen der Naturerkenntnis sich sehr bemerkbar gemacht haben. Die Existenz immanenter Schranken des Erfahrens entscheidet in keiner Weise über die Frage nach der Unterordnung von geistigen Tatsachen unter den Zusammenhang der Erkenntnis der Materie. Wird, wie von Häckel und anderen Forschern geschieht, ein Versuch vorgelegt, durch die Annahme eines psychischen Lebens in den Bestandteilen, aus denen der Organismus sich aufbaut, eine solche Einordnung der geistigen Tatsachen unter den Naturzusammenhang herzustellen, dann besteht zwischen einem solchen Versuch und der Erkenntnis der immanenten Schranken alles Erfahrens schlechterdings kein Verhältnis von Ausschließung; über ihn entscheidet nur die zweite Art von Untersuchung der Grenzen des Naturerkennens. Daher ist auch Du Bois-R. zu dieser zweiten Untersuchung fortgegangen und hat sich in seiner Beweisführung sowohl des Arguments von der Einheit des Bewußtseins als das anderen von der Spontaneität des Willens bedient. Sein Beweis, »daß die geistigen Vorgänge aus ihren materiellen Bedingungen nie zu begreifen sind«6, wird folgendermaßen geführt. Bei vollendeter Kenntnis aller Teile des materiellen Systems, ihrer gegenseitigen Lage und ihrer Bewegung bleibt es doch durchaus unbegreiflich, wie einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoffatomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen. Diese Unerklärbarkeit des Geistigen bleibt ganz ebenso bestehen, wenn man diese Elemente nach Art der Monaden schon einzeln mit Bewußtsein ausstattet, und von dieser Annahme aus kann das einheitliche Bewußtsein des Individuums nicht erklärt werden.7 Schon sein zu beweisender Satz enthält in dem »nie zu begreifen« einen Doppelsinn, und dieser hat im Beweis selber ein Hervortreten zweier Argumente von ganz verschiedener Tragweite nebeneinander zur Folge. Er behauptet einmal, daß der Versuch, aus materiellen Veränderungen geistige Tatsachen abzuleiten (der gegenwärtig als roher Materialismus verschollen ist und nur noch in der Weise der Aufnahme psychischer Eigenschaften in die Elemente gemacht wird), die immanente Schranke alles Erfahrens nicht aufzuheben vermag: was sicher ist, aber nichts gegen die Unterordnung des Geistes unter das Naturerkennen entscheidet. Und er behauptet alsdann, daß dieser Versuch an dem Widerspruch scheitern muß, welcher zwischen unserer Vorstellung der Materie und der Eigenschaft der Einheit, die unserem Bewußtsein zukommt, besteht. In seiner späteren Polemik gegen Häckel fügt er diesem Argument das an dere hinzu, daß unter solcher Annahme ein weiterer Widerspruch zwischen der Art, wie ein materieller Bestandteil im Naturzusammenhang mechanisch bedingt ist, und dem Erlebnis der Spontaneität des Willens entsteht; ein »Wille« (in den Bestandteilen der Materie), der »wollen soll, er mag wollen oder nicht und das im geraden Verhältnis des Produktes der Massen und im umgekehrten des Quadrates der Entfernungen« ist eine contradictio in adjecto.8