Er sah mit einem leichten Lächeln auf. »Was ist es?«
Ein Augenblick Schweigen.
»Ich weiß es nicht«, bemerkte sie schlicht. »Es ist etwas, das Sie zu verstecken scheinen. Aber ich kann es manchmal in Ihren Augen sehen, wenn Sie auf ein Geräusch reagieren. Das hat etwas Reines, Wildes. Wie ein Wolf. Oder ein Tiger. Es ist, als hätten Sie diesen fantastischen Instinkt, der einfach weit über dem der anderen liegt. Ich … ich weiß wirklich nicht, wie ich es beschreiben soll, und ich weiß nicht, ob ich davor Angst haben oder bloß froh sein sollte, dass Sie auf unserer Seite stehen.«
Hunter sah auf sie hinab und schwieg.
Er blinzelte und dachte darüber nach, was sie gesagt hatte.
Tatsächlich wusste er es selbst nicht genau.
Bobbi Jo lag still in ihrem Zelt und betrachtete Hunters Lager, ohne den großen, schwarzen Wolf vergessen zu können, der an seiner Seite ruhte. Er schien nur zu dösen und wirkte selbst im Halbschlummer wachsam. Hunter war in seinem Unterschlupf schon eingenickt. Ihr war aufgefallen, dass er in Sekunden eingeschlafen war, als er sich hingelegt hatte, auch wenn sie vermutete, er konnte weit länger wach bleiben als sie alle, wenn er wollte.
Sie fragte sich, was für ein Mann er im Herzen war und was er hier draußen in der Wildnis gefunden hatte. Vielleicht die Einfachheit des Lebens, die ihm in der Zivilisation fehlte, aber sie glaubte es nicht. Es war mehr. Tiefer. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich hingezogen. Auch wenn sie im Einsatz stets versuchte, sich von solchen Gedanken freizumachen, konnte sie nicht anders, als das Gefühl anzuerkennen.
Sie hatte sein Dossier gelesen und war mit dem vertraut, was man über seine Vergangenheit wusste. Vom Leben, das er geführt hatte, bevor er in der Öffentlichkeit in Erscheinung trat, war wenig bekannt.
Ja, ein ungewöhnlicher Mann …
Sie blinzelte. Dann streckte sie die Hand aus und nahm zärtlich ihre Waffe in die Hand, hatte dabei irgendwie das Gefühl, dass die Stärke, der Wille und der Kampfgeist dieses rätselhaften Mannes mehr wert waren als sie alle zusammen mit ihren Waffen.
Zusammengekauert, die monströsen Pranken zu Fäusten geballt, starrte er auf das Camp, beobachtete alles, was er im schädelbleichen Licht des Mondes sehen konnte. Still und unbewegt sah er den großen Mann, der die Gruppe anführte. Der Mann, der mit so bemerkenswerten Fähigkeiten die Fährte verfolgte. Dann betrachtete er den schwarzen Wolf, der an der Seite des Mannes lag.
Selbst im Schlaf wirkte er hellwach. Seine Ohren standen aufrecht und sein Gesicht war dem Feuer abgewandt. Man konnte nicht sagen, ob er den Waldrand beobachtete. Die dunklen Wolfsaugen verschmolzen mit der tiefen Schwärze seines Gesichts, aber er wirkte angespannt, als käme er nie ganz zur Ruhe. Er wusste, das war eine Kreatur, die möglicherweise einen heftigen Kampf liefern würde. Vielleicht ebenso wild, wie der Grizzly, den er am Morgen getötet hatte.
Aber die Wunden aus diesem verbissenen Kampf waren bereits verheilt; nur eine dünne, rosafarbene Narbe erinnerte daran. Mit einer beängstigend verkümmerten menschlichen Intelligenz – wie hatte noch sein Name gelautet? – schätzte er, beinahe jede Wunde würde in einem Tag verheilen, die hybride DNA seines Körpers synthetisierte irgendwie Stoffe, die Zellteilung und Blutregeneration beschleunigten.
Langsam stand er auf und betrachtete weiter konzentriert das Camp, sein Umriss hob sich vom Himmel ab.
Nein, heute Nacht griff er sie nicht an. Er würde warten. Er würde sie morgen durch den Wald führen, ihnen gestatten, näherzukommen. Sie anlocken und glauben lassen, sie trieben ihn in die Enge, nur, um den Spieß umzudrehen. Dann, wenn das Katz-und-Maus-Spiel zu Ende war, würde er angreifen, mehrere töten und ihnen dann wieder entkommen.
Er hatte keine Angst vor Verletzungen oder den Soldaten oder dem Wolf. Auch, wenn er irgendwie den Mann fürchtete.
Sie würden erbittert kämpfen, so wie sie es alle taten, aber die titanische Kraft seines Körpers, die enorm geschärften Sinne und die überlegene Intelligenz wären mehr als genug, um sie zu vernichten.
Ja, sie alle auszulöschen.
Er knurrte, als er sich umdrehte und in der Nacht verschwand.
Kapitel 7
Bobbi Jos Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
»Was sehen Sie?«
Hunter bewegte sich nicht, als er intensiv die Fährten beobachtete. Der Boden war weicher auf dem Bergkamm und er konnte einzelne Abdrücke erkennen – Schleifspuren, wo er rastlos hin- und hergegangen war, durstig. Hunter drehte den Kopf, um herunter auf das Camp zu sehen. Er versuchte einzuschätzen, wie lange das Biest sie während der Nacht beobachtet hatte.
»Hunter?« Bobbi Jo lehnte sich nach vorne. »Was sehen Sie?«
»Es war hier.«
»Es war hier? Wie lange?«
»Vier Stunden vielleicht.« Hunter legte konzentriert die Stirn in Falten. »Heute am frühen Morgen.«
Sie schlich näher und kniete sich neben ihn. Ihr blondes Haar fiel nach vorn und bedeckte halb das Gesicht, als sie lange Zeit schweigend die Trittsiegel studierte. Dann sah sie auf und blickte sich um, wobei sie den Kopf in einem präzisen Muster bewegte. »Was ist dieses Ding, Hunter?« Ihre Stimme hatte den Klang unterdrückter Angst. »Das ist nicht normal.«
Hunter bewegte sich nicht.
Einem weniger begabten Spurenleser hätten die Fußabdrücke nur verraten, dass es da gewesen war. Andere sahen, wo es sich genähert und entfernt hatte. Aber Hunter las noch mehr heraus, nutzte dazu Fähigkeiten, die so lange ein Teil von ihm waren, dass sie sich kaum mehr von Instinkten unterschieden.
Er nahm wahr, wie lange es an Ort und Stelle gestanden hatte, bis es die Füße vom Fleck bewegte, und konnte dadurch abschätzen, wie geduldig es war. Er erkannte an dem leicht verwischten Abdruck, dass es über einen nahezu perfekten Gleichgewichtssinn verfügte und sachte und leise die Klauen in den Lehm gedrückt hatte, während seiner schweigenden Nachtwache, und an welcher Stelle es am längsten gestanden hatte. Er drehte den Kopf, um aufs Camp hinabzublicken. Und von der Felskante aus erkannte er, was es am genauesten beobachtet hatte. Was für es höchste Priorität hatte. Und er wusste, dass er es war.
Ein leises Knurren, wie unterirdisches Donnergrollen, ertönte hinter Hunter.
Es war weniger ein Knurren, als eine finstere Vibration der Atmosphäre – ein dunkles Grummeln, erfüllt von einer reinen und wilden tierischen Essenz. Sie hatten keine Pause gemacht, waren stundenlang schnell unterwegs gewesen, dem Biest auf den Fersen. Hunter drehte den Kopf und warf einen Blick nach hinten. Er sah Ghosts Reißzähne, die über die Lefzen ragten. Ein Knurren verzerrte das Gesicht unterhalb der funkelnden, schwarzen Augen.
»Was ist los, Ghost?«
Von einer gewaltigen, tief innewohnenden Kraft erfüllt, machte Ghost einen Schritt nach vorn. Und das Knurren wurde noch tiefer, wurde zu einer Art grollenden Röhren, als komme es aus einer Höhle.
Dann ergriff ein leichtes Zittern der Anspannung den großen, dunklen Körper und Hunter drehte den Kopf, um genauer zu inspizieren, was vor ihnen lag.
Mit dem Support-Team hinter und Bobbi Jo neben sich, suchte Hunter zwischen den dicht zusammenstehenden Weißpappeln und den Nadelbäumen, die eine fast undurchdringliche, schwarze Wand bildeten. Er war sicher, dass die Kreatur diesen Pfad gewählt hatte, um nach Süden zu gehen; das war offensichtlich. Die Spuren wiesen darauf hin, dass sie nicht gezögert, sondern sich entschlossen vorwärtsbewegt hatte.
Die Waffe fest in der Hand erhob sich Hunter aus der Hocke und ging näher heran. Auch wenn die Sonne noch hoch am Himmel stand, war die Dunkelheit hier fast vollkommen. Sie erinnerte ihn an den dreistöckigen Dschungel in Südamerika, wo das Sonnenlicht nie durch die riesigen Bäume bis zum Boden drang.
Mit