»Weib! Du, die Du mein Haus verlassen, die Du mich zum Gegenstand des Gelächters gemacht, die Du Deine Kinder ins Elend gestoßen hast, Teuflin, die Du bist! Es gibt nichts, das Du nicht tun würdest, um mich auf meine alten Tage zu demütigen, zu erniedrigen, zu quälen. Geflohen bist Du von mir, auf daß ich allein sterbe. O Gott! Ein bittrer Tag war es für mich und meine Kinder, als Du zum erstenmal Deine heißhungrigen Augen auf diese entsetzliche, diese furchtbare, diese verruchte, diese mörderische Scheuer warfst. Es gibt keine Schändlichkeit, vor der Du zurückschreckst, wenn die Aussicht besteht, einen Nickel dabei zu verdienen. Du bist so tief gesunken, daß nicht einmal Deine leiblichen Brüder etwas mit Dir zu tun haben wollen. Weder Mensch noch Biest ist so sehr gefallen!«
Am Herd, in der Speisekammer, im Eßzimmer standen die plattfüßigen trägen Negerinnen und kicherten:
»Das is' nen Mann, jo, der kann red'n.«
Eliza kam schlecht mit den Schwarzen aus. Wie alle Leute aus der Gegend begegnete sie Negern mit Abneigung und Mißtrauen. Zudem war sie keine Dienstboten gewöhnt und verstand nicht, sie zu behandeln. Sie keifte, zankte, nörgelte den ganzen Tag, hatte Angst bestohlen zu werden, Angst, daß die Mädchen die Zeit, für die sie sie bezahlte, vertrödelten, quengelte, schalt, nannte sie dumm, faul, gefräßig und zog ihnen, wo sie nur konnte, eine Kleinigkeit am Lohn ab.
So kam es, daß sie oft morgens ohne Dienstboten dastand. Die Negerinnen waren nach Feierabend brummend nach Haus gegangen; es fiel ihnen nicht ein, am nächsten Morgen wieder zu erscheinen. Die Kleinlichkeit und Zanksucht der Herrin von Dixieland war im ganzen Negerviertel verrufen; es wurde immer schwerer, Mädchen zu finden, die für Eliza arbeiten wollten. Wenn sie frühmorgens ohne Hilfe dastand, rief sie vollkommen bestürzt Helene an, jammerte ihr die Ohren voll und bat um Beistand:
»Tatsächlich, Kind, ich weiß nicht, was ich anfangen soll. Ich könnte diesen nichtsnutzigen Niggerweibern den Hals umdrehen. Da steh ich. ganz allein und das Haus voll Gäste.«
»Aber, Mama, wie beim Himmel fängst Du's nur an, daß Dir die Nigger davonlaufen? Bringst Du's nicht fertig, sie im Haus zu halten? Bei andern Menschen bleiben sie doch jahrelang!«
Aber so aufgebracht sie auch war, sie verließ Gants Haus und kam und half ihrer Mutter und sorgte dafür, daß im Betrieb nichts fehlte. Die Pensionsgäste mochten sie sehr; sie sagten, sie sei »Ein feiner Kerl«. Jedermann dachte und sagte so. Sie gewann alle Welt durch ihr rückhaltloses, weiträumiges, dominierendes Wesen. Eine brennende Lebenslust zehrte an ihrer schwachen Gesundheit; das machte sie hysterisch und brachte sie oft zum Kollaps. Sie war fast zwei Meter lang, hatte große Hände und Füße, hagere, gerade Beine und ein knochiges, zügiges Gesicht mit einem langen, vollen Kinn, das ein wenig herabhing, so daß man die goldspurigen Zahnreihen sah. Trotz der Hagerkeit wirkte das Gesicht nicht hart oder grob; es wirkte herzhaft, ergeben, seelenvoll, feinfühlig, verletzt, bitter, hysterisch: manchmal war es strahlend und schön.
Ihrer Charakteranlage nach konnte sie zwangsläufig nicht anders, sie mußte sich für andre rackern und plagen. Sie begehrte schaumschlägerisches Lob dafür. Unbedingt lebensnotwendig war ihr die Empfindung, daß ihre Mühen nicht genug geschätzt und anerkannt würden. Hart und hysterisch sprach sie über Elizas Unerkenntlichkeit:
»Da braucht nur eine Kleinigkeit nicht zu stimmen, und schon hängt sie am Fernsprecher und flennt. Ich hab's doch weiß Gott nicht nötig, daß ich zu ihr ins Haus geh und wie ein Nigger schaff, damit ihre billigen Kostgänger versorgt sind. Nicht wahr, das siehst Du ein?«
»Ja«, pflichtete Eugen, ihr demütiger Zuhörer, bei.
»Aber lieber würde sie verrecken, als das zugeben. Hat sie deswegen auch nur Dankeschön zu mir gesagt?« Hier lachte sie, und ihr guter Humor gewann einen Augenblick die Oberhand über die Hysterie. »Hat sie deswegen auch nur einmal Scher-Dich-zum-Teufel zu mir gesagt?«
»Nein«, quietschte Eugen und bekam Lachkrämpfe.
Sie mimte Eliza. »Hm! Wieso! Willst Du sofort gehorchen, Kind!« sagte sie, von der Burleske selber entzückt.
Eugen knöpfte sich Hemdkragen und Hosenbund auf und wälzte sich am Boden vor Lachen.
»Hör auf, Helene, hör auf! Ich lach mich ja tot.«
»Hm, wieso, Kind! Willst Du sofort gehorchen!« mimte sie grinsend weiter, als wolle sie, daß er sich totlachen solle.
Nichtsdestoweniger, ob Eliza Dienstboten hatte oder nicht, täglich erschien Helene in Dixieland, um bei dem Mittagessen zu helfen. Und wenn Gant und die Buben in der Pension anstatt zu Hause zu Nacht aßen, kam sie sogar zweimal. Sie kam, weil die Gier zu dienen sie verzehrte, weil ihr Bedürfnis, mehr zu geben, als sie zurückempfing, Befriedigung brauchte, und schließlich weil – trotz ihres Gantschen Hohns auf die »Scheuer« und auf die »billigen Kostgänger« – das Geschäft, das Tellergeklapper, die Fütterung, die Tischgespräche sie anregten und begeisterten.
Ganz wie Gant, ganz wie ihr Bruder Lukas brauchte sie Ausdehnungsmöglichkeit, Aufregung und Betrieb, um zu leben. Sie wollte beherrschen, unterhalten, etwas gelten, wollte Mittelpunkt der Gesellschaft sein. Kleine Aufforderung genügte, und sie sang für die »billigen Kostgänger«. Sie hatte einen ziemlich großen, schwingenden, etwas harten Sopran und hämmerte mit schwerem, sehr genauem Anschlag auf das klapprige Pianoforte im Boardinghouse ein. Sie konnte klassische, kitschige und komische Lieder. Eugen erinnerte sich an weiche, kühle Sommernächte, die Versammlung der Hausgäste und an: »Ich frag mich, wen ihr Mund nun küßt …«, das Gant immer wieder bestellte, an: »Lieb mich, und die Welt ist mein …«, an: »Erst wenn der glutheiße Wüstensand kalt wird …«, an »Lieb' Altchen, das Rotkehlchen über Dir singt …«, an »Das End' des vollkommen glückseligen Tags« und schließlich an »Alexanders Ragtime Band«, das auch Lukas einmal, zur Qual der Hausgenossen, sechs Wochen lang einstudiert und unter donnerndem Beifall auf dem Sängerwettstreit der Schüler zum besten gegeben hatte.
Später dann saß man in der kühlen Dunkelheit auf der großen Veranda. Gant wippte heftig im Schaukelstuhl, redete mächtig. Seine große Stimme schallte in die stille Nachbarschaft. Er trug mit strömender Redegewalt seine Lösung der Staatsprobleme vor, ließ seine vorurteilsvollen, aber kühnen Meinungen zu Tagesfragen und den Neuigkeiten der Stunde erdröhnen:
»… Und was haben wir getan, Gentlemen? In offner Seeschlacht, die nicht länger als zwanzig Minuten dauerte, haben wir ihre Kriegsflotte ins Meer versenkt, – unter Gewehr- und Schrapnellfeuer erstürmten Teddy und seine Rauhreiter den Hügel bei Santiago –, der Krieg, wie Sie wohl wissen, war in ein paar Monaten gar. Ohne jeden bereicherungssüchtigen Hintergedanken waren wir in den Kampf gezogen; wir gingen in diesen Krieg, weil eine große Nation die Unterjochung eines kleinen Nachbarvolks nicht länger dulden durfte –, und dann haben wir mit einem Hochsinn, der des größten Volks unter der Sonne wohl würdig ist, dem geschlagnen Feinde zwanzig Millionen Dollar gezahlt. Herrgott!! War das nicht eine glorreiche Geste?! Glauben Sie, glauben Sie im Ernst, irgendeine andere Nation hätte das fertiggebracht?«
»Nein«, sagten die Hausgäste mit Nachdruck. Nicht immer zwar teilten sie seine politischen Ansichten … – Teddy Roosevelt war der fehllose Nachfahr der Cäsar, Napoleon, Lincoln – aber sie merkten sehr wohl, daß Gant »ein Kopf« war, daß er es als Politiker weit gebracht haben würde.
In dieses auserwählte Gebirg kam der große Schwall der brandenden, drängenden Welt wie küssende Wellen, die zuerst leise ans Gestad schaukeln, zurücklaufen und dann noch einmal stärker anschwappen.
Zu den Elementareinsichten, die Elizas primitives Denken ausmachten, gehörte die, daß Leute, die in dürrer Wüste darben, nach Oasen Ausschau halten, daß Durstige trinken wollen, daß Leute, die in der drückenden Luft der Ebnen ersticken, das Gebirg aufsuchen, um Erleichterung, Erholung, Heilung, neuen Lebensauftrieb zu finden. Ihr Urteil hatte jene treffliche Zielsicherheit ins Schwarze, die in Eugens Vaterland heutzutage – nachdem die Pflaumen gepflückt sind – unter dem Namen »Vision« geht.
Straßen,