Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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ein paar Worte, wenn es nicht anders ging, und verzog sich dann wieder ins Büro, wo es nach Pferden und Sattelleder roch. Er war Besitzer eines Mietstalls. Sie hatte zwei Kinder von ihm, beides Mädchen. Verstohlen – unnötigerweise verstohlen – bewegte sie sich in der leisen verleumderischen Luft des Industrienests, beging vorsichtig Ehebruch mit dem Besitzer einer Baumwollspinnerei, einem Bankier, einem Holzgroßhändler. Mit ihrem zärtlichen, blonden Lächeln schritt sie behutsam an dem schlauen Lächeln der Bürger vorbei, wohl wissend, daß ihr Ruf ihr längst den Boden unter den Füßen entzogen hatte, daß ihr Name bei Kaufleuten und Angestellten mit einem eindeutigen Grinsen und Zwinkern genannt wurde. In Gesellschaft bezeigten ihr die Herren eine noch ausgesuchtere Höflichkeit, als sie sonst in den Südstaaten Damen gegenüber üblich ist, aber hinter der öligen Verbindlichkeit der Masken glänzten die Augen ihr Einladungen zu.

      Als Eugen sie zum erstenmal sah und sich ihrer bewußt wurde, spürte er sofort, daß diese Frau nie mit Männern erwischt, immer aber von Männern erkannt werden würde. Er liebte sie verzweifelt. Sie war das lebende Symbol seiner Sehnsucht: die riesenhafte, mythische Gestalt der Liebenden und Mutter, alterslos und ewig herbstlich, die Immer-Wartende, die Weizenhaarige, die Großbrüstige, die Blondgliedrige, die in den Feldern der Ernte geht … Ceres und Helena war sie, reife, unerschöpfliche, verjüngende Kraft, die dunkle Amme, die allen Trübsinn, alle Entzauberung einlullt … Der Frühling, das scharfe Messer, hatte Eugen durchbohrt. Mädchen lachten im Dunkel. Die heftigen Erwartungen der Jugend drängten. Unlöschbar brannte das Verlangen in ihm. Etwas entschied ihn stets für ältere Frauen.

      Als Mistress Selborne zum erstenmal nach Dixieland kam, zählte ihre älteste Tochter sieben Jahre; die jüngste war fünf. Jede Woche empfing sie einen kleinen Scheck von ihrem Gatten und einen ansehnlichen von dem Holzgroßhändler. Sie hatte eine schwarze Dienerin mitgebracht. Sie war großzügig und offenhändig zu der Negerin und zu den Töchtern. Dieses Verschwenden aus selbstverständlicher Fülle faszinierte Helene, zog sie zu der älteren Frau.

      Und nachts horchte Eugen auf die süße leise Stimme dieser Frau. Er vernahm die Sinneslockung ihres sprudelnden Lachens, wenn sie auf der dunklen Veranda mit irgendeinem Handlungsreisenden oder einem Kaufmann aus der Stadt saß. Das Blut gerann ihm vor eifersüchtiger Sittlichkeit; er war bitter gekränkt, dachte an ihre kleinen schlafenden Töchter; eine leidenschaftliche Brüderlichkeit für den betrognen Gatten wallte in ihm auf. Er träumte sich in die Rolle des sühnenden Helden, rettete sie in einer Stunde großer Gefahr, machte sie reumütig mit ernsten Vorwürfen, nahm als ein Reiner die Liebe an, die sie ihm bot.

      Morgens dann, wenn sie vorüberging, sog er den Saatduft ihres frischgebadeten Leibes ein, spähte verzweifelt in das zärtlich-sinnliche Gesicht; versuchte sich vorzustellen, wie dieses Gesicht, das alles sagte und nichts verriet, im Dunkeln aussehe.

      Steve kehrte nach einjähriger Wanderschaft aus New Orleans zurück. Der alte Aufschneider. Dieselbe Weinerlichkeit.

      »Ha, ich hab's nicht nötig zu arbeiten«, prahlte er. »Ich bin gescheit und laß andere für mich schuften.« Diese trotzige Bemerkung bezog sich auf seinen Ruf als »Wechselfälscher«. Obschon er nie die Courage gehabt hatte, jemand andern als seinen Vater – und auch diesen nur um den Betrag kleiner Schecks – zu schädigen, hielt er sich für einen großen Schwindler.

      Er war jetzt Anfang der Zwanzig, mittelgroß, mit knolligem Gesicht und grauer Haut; er hatte eine angenehme leichte Tenorstimme. Eugen war entsetzt, sooft sein ältester Bruder heimkehrte. Er ekelte sich vor ihm. Die Schwachen und Wehrlosen, also vor allem Eugen und Eliza, hatten am meisten unter Steve zu leiden. Mehr als die Roheit, die Versoffenheit, haßte Eugen das Feige und Verstohlne an ihm, mehr als die Gewalttätigkeit die schlabberigen Versöhnungsszenen.

      Immer wieder versuchte Gant, seinen Ältesten ins Brot zu stellen. So schickte er ihn eines Tags auf einen ländlichen Friedhof, um dort ein kleines Grabmonument aufzubauen. Eugen mußte als Handlanger mit. Steve schaffte eine Stunde lang in der brennenden Sonne. Er wurde zusehends mißmutiger. Die Hitze war drückend, das geile Unkraut roch scharf, Steve hatte überhaupt eine unüberwindliche Abneigung gegen Arbeit. Eugen wartete gespannt auf den Ausbruch, der kommen mußte.

      »Was stehst Du da rum«, heulte der große Bruder auf und schlug den Kleinen mit einem schweren Schraubenschlüssel aufs Schienbein. Eugen taumelte vor Schmerz zu Boden. Augenblicklich war Steve wie verwandelt, nicht aus Reue, sondern aus Angst, er könne den Kleinen so schwer verletzt haben, daß die Mißhandlung aufkäme.

      »Du hast Dir doch nicht wehgetan, Brüderchen, sag schnell, daß Du Dir nicht wehgetan hast«, fing er mit zitternder Stimme an und tätschelte Eugen mit seinen unreinen gelben Händen. Und dann folgte eine der weinerlichen Versöhnungsszenen, die Eugen so entsetzlich waren. Steve flennte, blies Eugen seinen faulen Atem ins Gesicht, bettelte, flehte ihn an, zu Hause nichts von der Roheit zu sagen. Eugen erbrach sich heftig, der ranzige Körpergeruch Steves, sein klebriger, ungesunder Schweiß, der Nikotingestank der braungefleckten Hände machten ihm übel.

      Aber die Art, wie Steve den Kopf trug, etwas in seinem herausfordernden Schlenkergang beschworen das Gespenst seiner zerstörten Jungenhaftigkeit. Manchen Frauen gefiel er. Er hatte Glück, insofern er es fertigbrachte, daß Mistress Selborne während ihres ersten Sommers in Dixieland seine Geliebte wurde. Nachts flatterte ihr volles beschwingtes Lachen von der Veranda ins Dunkel, sie streifte mit Steve durch die Straßen, sie gingen zum Vergnügungspark in Riverside und über die grellen Lichter des Rummelplatzes hinaus auf den dunkeln, sandigen Pfaden am Fluß.

      Als sie sich dann mehr und mehr mit Helene befreundete und den Abscheu der Familie vor Steve gewahr wurde, als sie einzusehen begann, wie sehr sie ihrem Ruf geschadet hatte durch die Beziehung mit diesem Prahlhans, der ihren Namen in allen Kneipen ausquatschte, um sich seiner Eroberung zu rühmen, ließ sie ihn mit stillschweigender, zärtlicher Unabänderlichkeit fallen. Wenn sie nun, Sommer um Sommer, wiederkam, begegnete sie ihm kühl mit einem unschuldigen, unwissenden Lächeln, überhörte seine unzüchtigen Anspielungen und seine plumpen Drohungen, die bittern Offenbarungen, die er hinter ihrem Rücken machte. Ihre Zuneigung zu Helene war echt; sie wußte jedoch gut, daß sie strategischen Nutzen aus der Freundschaft zog. Helene machte sie mit gutaussehenden jungen Männern bekannt, gab ihr zu Ehren in Gants Haus oder in Dixieland Einladungen und Tanzpartien, half ihr in allen Intrigen, sorgte dafür, daß sich die Dinge im Privaten, in der Stille, im Dunkel abspielen konnten. Gereizt verteidigte sie die Freundin, als die üble Nachrede begann.

      »Was wissen Sie über ihr Tun und Lassen? Überhaupt nichts. Ich rate Ihnen, nehmen Sie sich mit diesem Gerede in acht. Alles mißgünstiger Klatsch. Außerdem hat sie einen Gatten, der sie in Schutz nehmen wird. Eines Tags jagt der Ihnen 'ne Kugel durch den Kopf und dann …«

      Oder etwas vorsichtiger: »Na also, ich schere mich nicht um das Geschwätz. Mir gefällt sie sehr, ich mag sie. Sie ist eine süße Person. Und letzten Endes, was weiß man denn für sicher? Nichts. Was kann man ihr nachweisen? Nicht das geringste!«

      Im Winter machte Helene nur kurze Besuche bei Mistress Selborne. Begeistert kam sie aus Süd-Carolina zurück, schwärmte von ihrem Empfang, den Partien, die die Freundin ihr zu Ehren gegeben hatte, dem Essen, der großartigen Gastfreundschaft. Mistress Selborne lebte in derselben Stadt wie Joe Gambell, Daisys Verlobter. Der kleine Angestellte erging sich in vielsagenden Anspielungen über die Dame, ihr gegenüber aber benahm er sich höchst unterwürfig, verwirrt und sehr ergeben. Nach seiner Verheiratung nahm er ohne Einwand die Geschenke, Kleider und Lebensmittel an, die sie ihm ins Haus schickte.

      Daisy heiratete im Sommer, nachdem Eliza Dixieland erworben hatte. Die Hochzeit war im Juni. Sie fand im großen Speisesaal der Pension in großem Stile statt. Gant und seine zwei Ältesten standen belämmert und grinsend in ihren ungewohnten Smokinganzügen herum. Die Pentlands, eine Sippe, die stets an Hochzeiten und Begräbnissen teilnimmt, schickten Geschenke und kamen. Will und Pett schenkten ein schweres Tranchierbesteck.

      »Ich hoffe doch, daß Ihr immer was zum Zerlegen auf dem Tisch haben werdet«, sagte Will, tranchierte einen Braten in der Luft und zwinkerte Joe Gambell zu.

      Eugen erinnerte sich an Wochen irrsinniger Vorbereitungen; unendliche Kleideranproben, an Daisy, die vor Hysterie ihre Fingernägel anstarrte, bis sie blau wurden. Schließlich kam der