Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
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sagte sie und schürzte die Lippe. »Möchtest Du ein paar Eier haben?«

      »Ja«, sagte er, »mit ein paar Scheiben knusprig gebräunten Specks und mehreren Bratwürstchen.«

      Er schritt durchs Speisezimmer und über die Diele.

      »Steve! Ben! Lukas! Ihr verdammten Gauner!« gellte er. »Aufstehn!«

      Beinah gleichzeitig stampften ihre Füße auf den Boden. »Papa ist zurück!« schrien sie.

      Mister Duncan sah zu, wie die Butter in das frischbackne, warme Frühstücksbrötchen einsickerte. Er blickte auf, schräg durch die Gardine. Da sah er aus Gants Schornstein dicken, schweren wolkigen Rauch aufsteigen.

      »Er ist wieder da«, sagte er befriedigt.

      Als er den Rauch sah, im gleichen Augenblick, sagte Tarkinton, der Farbenhändler:

      »W. O. ist zurück.«

      So kehrte er heim, der ins Land gen Westen geschweift war, Gant, der Weitgewanderte.

      VIII

      Eugen tummelte sich nun auf den endlosen Wiesen des sexuellen Erlebens. Seine sinnliche Wahrnahme war vollkommen. Im Augenblick, wenn ihn etwas beeindruckte, dann verhaftete sich auch die ganze Umwelt samt dem Hintergrund in ihm mit Farbe, Wärme, Geruch, Laut und Geschmack. So brachte ihm später der Duft besonnten Löwenzahns warme Grashänge im Frühling, einen ganz bestimmten Tag, einen Platz auf der Wiese, das Rascheln jungen Erlenlaubs ins Gedächtnis zurück. Oder: so oft er an Gullivers Reisen dachte, erwachte er wieder zum Erlebnis des hellen, windigen Märztags, an dem er das Buch zum erstenmal las: das Kaminfeuer knisterte, Mandarinen dufteten nach dünner Exotik, der Schnee draußen tropfte und gluckerte unter lauen Windstößen, die Erde roch stark im Tauwetter, es war gut, in große, frostige Winteräpfel hineinzubeißen.

      Über die Grenzen des Heims hatte er sich hinausgewagt. Er war noch nicht ganz sechs, als er aus eignem Antrieb zur Schule ging. Eliza hatte es ihm abgeschlagen; aber sein um ein Jahr älterer Spielgefährte Max Isaacs war schulpflichtig, und Eugens Herz zog sich zusammen bei dem Gedanken, daß er nun wieder allein sein solle. Eliza war nicht umzustimmen; sie spürte, daß das Schulleben langsam und endgültig die Bande, die ihren Jüngsten an sie fesselten. lösen würde. Aber als sie dann eines frischen Septembermorgens beobachtete, wie er schlau aus dem Tor schlüpfte und zur nächsten Straßenecke rannte, wo der andre kleine Junge auf ihn wartete, unternahm sie nichts, um ihn zurückzubringen. Etwas Gespanntes in ihr riß; sie sah ihn verstohlen zurückblicken und weinte. Sie weinte seinetwegen. In der Stunde nach der Geburt hatte sie in seinen dunklen Augen die grandios tiefe, ewig brütende, unendliche Einsamkeit gesehen. Sie wußte, daß ein Fremdling aus der Nacht ihres Schoßes gekommen war, einer, der einsam vor sich und der Welt in den verlornen Beziehungen zur Ewigkeit leben würde. O verloren!

      In eigne Wachstumsschmerzen verstrickt, hatten Eugens Geschwister wenig Zeit für ihn. Lukas, der Nächstjüngste, war fast sechs Jahre älter. Gelegentlich quälten sie ihn mit jener kleinlichen Grausamkeit, mit der ältere Kinder jüngeren zusetzen. Es reizte sie, wenn er, aus tiefen Träumen gerissen, in wahnwitzigem Jähzorn ein Tranchiermesser ergriff und sie verfolgte oder in blinder Wut mit der Stirn gegen die Wand stieß.

      Sie hielten ihn für nicht ganz richtig, für überzwerch, für »quer«. Die Jungen predigten die klebrige Feigheit der Kinderherde. Wenn ihre Quälereien aufkamen, dann behaupteten sie, sie wollten »einen rechten Kerl« aus Eugen machen. Eugen empfand wachsende Zuneigung für Ben, der behutsam im Haus herumstelzte, störrisch redete, die Brauen zusammenzog, das Geheimnis des Lebens wahrte. Auch Ben war ein Fremdling. Ein tiefer Instinkt zog ihn zu dem kleinen Bruder. Viel von seinem bescheidnen Lohn als Zeitungsträger gab er aus, um Geschenke für Eugen zu kaufen oder ihm sonst eine Freude zu machen. Er ermahnte den Kleinen mürrisch, puffte ihn zuweilen, aber vor den anderen verteidigte und schützte er ihn.

      Da er den Jungen stundenlang beim Schein des Kaminfeuers über Bilderbüchern brüten sah, zog Gant den billigen Schluß, daß Eugen Bücher gern mochte … und baute darauf die vage Illusion, er wolle einen Juristen aus ihm machen und ihn in die Politik schicken. Da würde er dann Gouverneur, Senator und schließlich Präsident der USA werden. Immer wieder erzählte er ihm die plumpe amerikanische Legende von den Knaben vom Land, die große Männer im Staat wurden, weil sie eben Knaben vom Land, arme und fleißige Farmerbuben waren. Eliza jedoch dachte, Eugen würde einmal Gelehrter, Wissenschaftler, Professor werden. Sie glaubte, sie selbst hätte die Neigung zum Lesen in wohlweislicher Absicht in Eugens Gemüt gestiftet, eine fixe Idee, die Gant reichlich verdroß.

      »Den ganzen Sommer, als ich ihn trug, habe ich jede freie Minute gelesen«, behauptete sie, und mit dem behaglich-selbstvertrauenden Lächeln, das sie stets aufsetzte, wenn sie von den Pentlands sprach, bemerkte sie dazu: »Ich will Dir was sagen, es ist leicht möglich, daß alles in der dritten Generation herauskommt.«

      »Verdamm' die dritte Generation!« schnauzte Gant wütend.

      »Na, nun aber hör mal«, sagte sie gedankenvoll und streckte den Zeigefinger zur Bekräftigung aus, »da muß ich Dir dann doch sagen, daß alle Welt dachte, aus seinem Großvater wäre ein großer Gelehrter geworden, wenn –«

      »Barmherziger Heiland!« brüllte Gant los. Er sprang auf, schritt hämisch lachend im Zimmer auf und ab. »Ich hab's ja im voraus gewußt! Sicher« – er leckte aufgeregt seinen Daumen –, »wenn da überhaupt ein Verdienst zu erkennen ist, dann ist es bestimmt nicht meines. Lieber würdest Du verrecken, als so was zugeben. Lieber prahlst Du mit diesem elenden alten Gespenst von Deinem Vater, diesem Kerl, der in seinem ganzen Leben nie eine anständige Tagesarbeit geschafft hat.«

      »Na, das würde ich dann doch nicht von ihm behaupten; jedenfalls, wissen kannst Du es nicht«, fing Eliza wieder an und schürzte schnell die Lippe.

      »Jesus mein Gott! Welch eine Travestie!« schrie Gant ungebärdig. »Ärgere Furien hat selbst die Hölle nicht als ein gekränktes Weib!« Er wiederholte es mehrmals und lachte dabei bitter und gezwungen.

      In der Dunkelheit seiner Seele befangen, wie ein fremder Gast in einer lärmenden Schenke, brütete Eugen beim Schein des Kaminfeuers über Büchern. Luftige Phantasiegebilde bauten sich in ihm auf. In Strömen bunter Bilder badete seine Seele. Er durchstöberte die Büchergestelle und fand Schätze. Er fand »Mit Stanley in Afrika«, reich vom Geheimnis des Dschungels, von kriegerischem Erlebnis, schwarzer Schlacht, sausendem Speer, dem schlangenknotigen Wurzeldickicht der Urwälder, den Dörfern aus Strohhütten, Gold, Elfenbein. Er fand Stoddards »Lektüren«, in dem die meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Europas und Asiens abgebildet waren. Er fand »Das Buch der Wunder«, in dem die Großtaten des technischen Zeitalters in bezaubernden Zeichnungen standen: – Santos Dumont in seinem Ballon; flüssige Luft, die aus seinem Kessel ausgegossen wird; sämtliche Kriegsflotten der Erde, die nach der Berechnung von Sir William Crookes durch 30 Gramm Radium 60 Zentimeter über den Meeresspiegel gehoben würden; Darstellungen vom Bau des Eiffelturms und des New Yorker Bügeleisenbaus, das Automobil, das mit einem Stock gelenkt wird; das Unterseebot. – Nach dem Erdbeben von San Franzisko erschien ein Kolportageschinken über die Katastrophe: auf der billigen, giftgrünen Einbanddecke sackten Türme zusammen, taumelten Glockenstühle in der Luft, rutschten vielstöckige Häuser in den aufgähnenden, flammenzüngelnden Rachen der Erde. Ein andres Werk dieser Art hieß »Paläste voll Sünde« oder »Der Teufel in der guten Gesellschaft«. Es war angeblich von einem frommen Millionär verfaßt, der sein Vermögen darangegeben hatte, unter der Schminke die Krätze auf der Haut der Hochgestellten zu entblößen; reizvolle Bilder zeigten den Verfasser, wie er, den Zylinder auf, eine Straße hinunterging, in der viele großartige Paläste voll Sünde standen.

      Aus dieser Galerie abgerißner Bilder baute seine brütende Phantasie die Welt. Die verlornen, dunkeln Engel aus Dorés Milton schwebten in die weiträumige Höhle der Hölle, die unter dieser Erde von aufstrebenden und zusammensackenden Türmen, von Maschinenwundern und eisengepanzerten, traumverwobnen Ritterromanzen lag. Und wenn er daran dachte, daß er einmal hinausziehen würde in diese schöne epische Welt, in der am weitesten von daheim das bunte Leben am hellsten strahlte, dann errötete er; so sehr stieg ihm das Blut zu Kopf.

      Er