»… erwarten all die letzte schwere Stunde.
Des Ruhmes Pfad, er führt nur bis zum Grab.«
Eliza aber hielt grimmig fest an dem, was sie besaß.
Gant, trotz seines Hasses auf Bodenbesitz, war stolz darauf, daß er ein eigenes Haus hatte, und liebte jeden Gegenstand, mit dem er werken und wirken konnte, und alle Dinge, die ihm Behagen verschafften. Unbegrenzter Wohlstand hätte gut zu ihm gepaßt. Er hätte gern große Gelder in der Bank und in der Tasche gehabt, wäre gern großzügig gereist, freigebig aufgetreten. Er hatte stets eine ganz ansehnliche Summe in der Tasche. Zweimal war er im Rausch bestohlen worden. Wenn er betrunken heimkam, dann verteilte er oft seine Banknoten unter die Kinder, gab jedem zehn, zwanzig, fünfzig Dollar und nötigte sie: »Nehmt nur; nehmt! Gott verdammt das ganze Geld.« Aber am nächsten Tag war er unverfroren genug, es zurückzuverlangen. Helene sammelte es bei den oft nicht sehr willfährigen Jungen ein. Am nächsten Tag gab sie es ihm zurück. Sie war nun fünfzehn oder sechzehn, fast zwei Meter hoch aufgeschossen, hager, grobknochig, mit großen Händen und Füßen. In ihrem offnen, großzügigen Gesicht lauerte die hysterische Sucht nach ständiger Aufregung.
Das Band zwischen Vater und Tochter knüpfte sich täglich fester. Sie war nervös, heftig, reizbar und schimpfte gern, ganz wie er. Sie betete ihn an. Er spürte ihre Ergebenheit und erwiderte sie. Das kränkte Eliza sehr. Wenn er betrunken war, wütete er gegen Eliza und lobte Helene maßlos. Eliza, tief verletzt, merkte, daß er im Rausch seine wahre Gesinnung offenbarte. Sie mußte ihm aus dem Weg gehn und sich in ihr Zimmer einschließen, während die Tochter ihn mit Erfolg bändigte.
Zwischen Eliza und Helene blieben Reibungen nicht aus. Es kam zu scharfen, schroffen Worten. Es war ihnen schwer, unter einem Dach zu wohnen; das Haus war zu eng für sie beide. Ganz abgesehen von der uneingestandenen Nebenbuhlerschaft um Gants Gunst, konnte das Mädchen die Fühlweise und Äußerungsart der Mutter kaum ertragen. Elizas langsame, lippenschürzende Rede, die Tongebung ihrer Stimme, ihre Milde und Langmut, die tiefe, gefüge Stille ihres Wesens versetzten Helene oftmals in Wut.
Sie aßen ungeheuerlich. Eugen fing an, ein Augenmerk auf die Jahreszeiten und die Gerichte zu haben. Im Herbst kellerten sie große, frostige Äpfel ein. Gant kam früher heim und brachte ganze Schweine vom Metzger, die er, eine lange Arbeitsschürze vorgebunden, mit seinen mageren, behaarten Armen in Fässern einpökelte. Die Speisekammerdecke hing voll von geräucherten Schinken. Große Gemäße mit Mehl standen am Boden. Die Bretter der tiefen Gestelle bogen sich von Eingemachtem in Gläsern: Kirschen, Pfirsiche, Pflaumen, Erdbeeren, Quitten, Birnen. Alles, was Gant anfaßte, gedieh. Im Frühjahr schon standen seine Gartenbeete schön. Krauser Kopfsalat, dicke rote Radieschen, schwere Tomaten trug ihm die schwarze, mulmige Erde. Der Kirschbaum hing voll. Süße aufgesprungene Pflaumen trommelten ins Gras. Der Apfelbaum war überladen. Die Erde war fruchtbar für ihn wie ein mächtiges Weib.
Im Frühling kamen die kühlen tauigen Vormittage, voll von hurtigem Wind und betäubender Bluht. Eugen spürte in sehnsüchtig-verwirrtem Einsamsein zum erstenmal, wie das Wachstum der Erde der steigenden Jahreszeit entgegenschwillt.
Wenn sie morgens aufstanden, roch das Haus nach vielen köstlichen Frühstücksspeisen. Mittags kamen Braten, Gemüse, Salate, saftiges Obst auf den Tisch, Abends gab es Beefsteak, Schweinskoteletten, Pfannkuchen, Fisch, junge Hühner. Zum Erntedankfest Ende November, und zu Weihnachten wurden jedesmal vier Truthühner gekauft und wochenlang vorher noch gemästet. Eugen, der sie mehrmals am Tag mit Mais fütterte, konnte es nicht ertragen, beim Schlachten zugegen zu sein. Ihr erregtes Gullern echote dann schon in ihm. Wochen im voraus fing Eliza an zu backen. Die ganze Arbeitskraft der Familie drehte sich um den großen Ritus des Fests. Kurz vor den Feiertagen kamen dann noch in großen Büchsen und Schachteln die Süßigkeiten aus dem Feinkostladen ins Haus. Zur Freude an den Hausmacherspeisen gesellte sich die Magie fremden Leckerzeugs: glasierte Datteln, getrocknete Feigen, runzlige Rosinen; Mandeln, Maronen und Paranüsse; Zuckerwerk und Pralinen; Orangen und Mandarinen aus Florida.
Das Tranchiermesser klang auf dem Wetzstahl, wenn Gant sich zu Braten und Geflügel niedersetzte. Die Teller wurden gereicht, er legte selber vor. Eugen saß auf einem hohen Stühlchen neben dem Hausherrn. Er aß, bis sein kleiner, geschwollener Bauch wie das Fell auf einer Pauke gespannt war. Sein aufmerksamer Erzeuger gickste ihn mit dem großen Finger in den Magen, und erst, wenn keine Delle mehr entstand, erlaubte er ihm, aufzuhören.
»Da ist noch 'ne schlappe Stelle!« dröhnte er und legte dem Söhnchen nochmals tüchtig vor. Daß die Kinder diese Behandlung überstanden, war ein Zeichen für ihre trefflichen Mägen und für Elizas gute Küche.
Gant aß gierig und unvorsichtig. Fisch hatte er leidenschaftlich gern. Dabei schluckte er jedesmal Gräten. Das kam Hunderte von Malen vor, aber immer wieder sah er mit verzweifeltem Geheul auf, während ihm ein halbes Dutzend Hände auf den Rücken klopfte. Schließlich bekam er Luft und sagte noch ganz außer Atem: »Diesmal war ich aber wirklich am Ersticken!«
Eliza war verärgert. »Um Gottes willen! So gib doch mal endlich auf Gräten acht. Wenn Du so schnell ißt, bleibt Dir natürlich was im Hals stecken.«
Die Kinder setzten sich erleichtert wieder auf ihre Plätze.
Gant hatte die deutsche Liebe zum Überfluß. Immer wieder erzählte er von den vollen Scheuern, der geschöpflichen Fülle des Lebens auf der Farm seiner Mutter in Pennsylvanien.
Auf seiner Reise nach Kalifornien, in New Orleans, bezauberten ihn die Masse und die Billigkeit tropischer Früchte. Ein Straßenhändler bot ihm einen Riesenstock Bananen für fünfundzwanzig Cent an. Gant kaufte ihn auf der Stelle. Später, als er im Zug über den Kontinent fuhr, fragte er sich verzweifelt, was er mit den Bananen anfangen solle.
VII
Jene Fahrt nach Kalifornien war Gants letzte große Reise. Er fuhr, als er sechsundfünfzig war, zwei Jahre nach Elizas Rückkehr aus St. Louis. In seinem mächtigen Körper spukten bereits Alter und Tod. Unausgesprochen, unbestimmt wußte er, daß er in der Falle des bürgerlichen Lebens gefangen saß, daß sein Wandertrieb schließlich Elizas furchtbarem Willen, etwas von der Erde zu besitzen, unterliegen würde. Zum letztenmal flackerte jener alte Hunger in ihm auf, von dem seine grauen Augen einst dunkler geworden waren, der den Knaben in neues Land, dem Lächeln eines Engels aus Stein, entgegengeführt hatte.
Nach einer Wanderschaft von 15000 Kilometern kehrte er in das öde, kahle, unfruchtbare Gefängnis der Berge zurück. Es war ein grauer Tag gegen Ende des Winters. Wie oft war er in den mehr als 8000 Nächten seines Lebens mit Eliza zwischen 1 Uhr nachts und 5 Uhr früh in nüchternem, zurechnungsfähigem Zustand wach gewesen? Im ganzen nicht mehr als neunzehnmal.
Einmal, als Leslie, Elizas erstes Kind, geboren wurde. Einmal, als sie 26 Monate später an Kindercholera starb. Einmal als Totenwache für seinen Schwiegervater, den alten Major Tom Pentland. Einmal bei Lukas' Geburt. Einmal im Zug nach St. Louis, kurz vor Grovers Tod. Einmal als der alte »Onkel« Thaddäus Evans, ein ihm ergebner Neger, im Theater starb. Einmal im März 1897, bei der Leiche eines Nachbars, des alten Majors Isaacs. Dreimal hintereinander, im Juli 1897, als Eliza, völlig ausgezehrt vom Typhus, fast gestorben wäre. Einmal im April 1903, als Lukas todkrank mit Typhus lag. Einmal als Totenwache für seinen Schwager Greely Pentland, 26 Jahre alt, skrofulös und schwindsüchtig, Witzbold und Nägelschnipsler, Scheckfälscher im kleinen, Gefängnisvogel auf sechs Wochen. Dreimal hintereinander, vom 11. bis 14. Januar 1905, vom Rheumatismus in der rechten Seite, als Teilhaber, seiner eignen Kümmernis und in der Rolle des Anklägers seiner selbst und seines Gottes. Einmal im Februar 1896 als Totenwache bei der Leiche des elfjährigen Nachbarsohns Sandy Duncan. Einmal im September 1895 im Stadtgefängnis, voll Scham und voll Reue. Einmal, am 17. Juni 1896, in einem Zimmer von Keeleys Trinkerheilstätte in Piedmont. – – – Und schließlich