Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Wolfe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075830562
Скачать книгу
Haß auf alles Schlampige, Ungeregelte, Zerstreute hatte. Eliza hatte die Eigenschaft, alte Stücke Bindfaden, leere Konservenbüchsen und Flaschen, Altpapier und Trödelkram aller Art aufzubewahren. Ihre manische Erwerbswut – eine verhältnismäßig damals noch unentwickelte Geisteskrankheit – machte ihn rasend.

      »Mein Gott! Schmeiß doch das Gelump weg!« schrie er in ungeheucheltem Ärger und wollte sich darüber hermachen..

      »Untersteh Dich«, keifte sie scharf, »Du weißt nicht, wie man diese Sachen mal gut brauchen kann.«

      Vielleicht war es gegen alle Regel, daß hier größte Ordnungsliebe und frömmste Rücksicht auf den Ritus zu der abschweifenden, unruhigen, lebenshungrigen Natur gehörten, während die praktisch-alltägliche Person mit ihrer ungezügelten Besitzsucht ständig das Chaos beschwor.

      Gant hatte die Leidenschaft des echten Wanderers, dessen, der von einem festen Punkt her schweift. Er brauchte die Ordnung, die Abhängigkeit von einer Heimat. Er war ein Familienmensch. Die gesammelte Kraft und Wärme der Familie bedeutete ihm Leben schlechthin. Nach seiner pünktlichen Morgentirade gegen Eliza ging er daran, die schlafenden Kinder zu wecken. Er konnte das Gefühl, als einziger aus den Federn zu sein, nicht ertragen.

      Der Weckruf, den er am Fuß der Treppe stehend komisch-grollend ausstieß, hatte die Formel:

      »Steve! Ben! Grover! Luke! Ihr verdammten Schlingel! Aufstehn!! Was soll aus Euch werden? Ihr werdet Euer Lebtag zu nichts taugen!« Er fuhr mit seinem Gebrüll fort, als ob die Buben ihm oben wach und aufmerksam zuhörten. »Als ich so alt war wie Ihr, da hatte ich morgens um diese Zeit vier Kühe gemolken, einen Haufen Hausarbeit geschafft und war dreizehn Kilometer durch tiefen Schnee zur Schule gepilgert!«

      Tatsächlich, so oft er seine Schulzeit beschrieb, schilderte er eine mit Eis und meterhohem Schnee bedeckte Landschaft. Er schien in Polarländern zu sein.

      Eine Viertelstunde später erhob er wieder sein Gebrüll. »Ihr verbummelten Taugenichtse. Wenn alle Fußböden unter Euch durchbrechen, dann schlaft Ihr im Keller weiter!«

      Oben war dann bald ein hurtiges Getrampel von Füßen zu hören. Nackt, ihre Kleiderbündel unterm Arm, kamen die Buben einer nach dem andern die Treppe herunter. Vor dem lodernden Kaminfeuer zogen sie sich an.

      Beim Frühstück war Gant meist, von sporadischen Klageausbrüchen abgesehen, fast glänzender Laune. Sie futterten mächtig. Gant legte ihnen große Stücke Beefsteak auf die Teller. Sie aßen gebackene Eier, heiße Biskuits, Marmelade, Schmoräpfel und tranken Kaffee dazu. Gant schritt nach seiner Werkstatt zu gleicher Zeit, wenn die Jungen, noch kauend und schluckend, mit dem letzten Klingelzeichen ins Schulhaus eilten.

      Zum Mittagessen kam er heim und ließ sich über die Neuigkeiten des Tages vernehmen. Gegen Abend versammelte sich die Familie. Gant kam, schichtete sein großes Kaminfeuer, übte seine Schelttirade und ließ sie dann dreiviertel Stunden lang auf Eliza los. Dann aßen sie recht vergnügt zu Nacht.

      So verging der Winter. Eugen war drei Jahre alt. Sie kauften ihm Fibeln und große Tierbilderbücher mit Reimfabeln, die er bald auswendig wußte. Er hielt die Bücher in der Hand und tat so, als könne er lesen. Gant war begeistert. Er unterstützte den Betrug. Alle Leute hielten es für außerordentlich, daß ein Kind so früh lesen könne.

      Im Frühling fing Gant wieder zu saufen an. Nach zwei oder drei Wochen hörte sein Durst auf. Er nahm beschämt das geregelte Alltagsleben wieder auf. Aber Eliza plante eine Veränderung.

      Man schrieb 1904. Die Weltausstellung in St. Louis wurde in Gang gebracht. Sie sollte ein Schaubild der Geschichte der Zivilisation werden, größer und besser und schöner, als je eines gezeigt wurde. Viele Leute aus Altamont wollten hinfahren. Die Aussicht, Preise und Profit miteinander zu verbinden, faszinierte Eliza.

      »Weißt Du was?« begann sie eines Abends und ließ die entfaltete Zeitung sinken. »Mir ist's, als sollte ich zusammenpacken und hinfahren.«

      »Wohin?«

      »Ei, nach St. Louis«, antwortete sie. »Wenn es gut geht dort, könnten wir überhaupt ganz hinziehen.« Sie wußte, daß der Gedanke, neu anzufangen und das Glück woanders zu versuchen, einen mächtigen Zauber auf Gant ausübte. Vor Jahren schon – damals als er seine Partnerschaft mit Will Pentland aufgab – hatten sie davon gesprochen.

      »Was willst Du denn dort anfangen? Und wie sollen die Kinder durchkommen?«

      »Na! Das ist doch einfach!« kramte sie behaglich aus. Sie schürzte nachdenklich die Lippe und lächelte gerissen. »Ich werde ein großes, gutgebautes Haus mieten und eine Pension aufmachen. Wenn ich tüchtig die Werbetrommel rühr, wird's schon nicht hapern. Die Leute von hier kommen gewiß gern zu mir.«

      Gant wurde tragisch. »Barmherziger Heiland!« heulte er. »So etwas! Ich bitte Dich, tu's nicht.«

      »Sei doch nicht närrisch! Es ist nichts dabei, wenn man Pensionäre ins Haus nimmt. Hochanständige Leute hier im Städtchen haben zahlende Gäste!« Sie wußte, daß sein Stolz leichtverletzlich war. Die Vorstellung, man könne denken, daß er nicht instand sei, für die Seinen zu sorgen, war ihm unerträglich. Er brüstete sich oft damit, ein guter Fürsorger zu sein. Außerdem ging es ihm sehr gegen den Strich, wildfremde Leute gegen Entgelt aufzunehmen. Er haßte Pensionäre.

      Eliza, die das alles wußte, verstand seine Einstellung nicht. Vermögen zu besitzen und Einkommen aus diesem Vermögen zu beziehen, war die Religion ihrer Familie. Sie, die Frau, übertraf die Männer ihrer Sippe insofern, als sie sogar Geld aus ihrem Heim herausschlagen wollte. Kein anderer Pentland hätte das gekonnt. Ihr aber fehlte jeder Sinn für das Private, für die besondere Eigentümlichkeit des Heims.

      Sie hatte Eugen gestillt, bis er drei Jahre alt war. In diesem Winter wurde er entwöhnt. Etwas in ihr hörte auf; etwas anderes begann.

      Schließlich setzte sie's durch. Manchmal sprach sie gedankenvoll und verführerisch zu Gant von ihrem Plan. Manchmal benutzte sie ihn als Rückdrohung, wenn er seine Schelttiraden hielt. Was sie eigentlich in St. Louis ausrichten wollte, war ihr unklar. Sie spürte, daß dort ein Anfang zu machen sei. Schließlich setzte sie's durch.

      Gant erlag der Lockung des Neulands. Er sollte zunächst zwar zu Hause bleiben, aber dann, wenn alles gut ging, würde er nachreisen. Die Aussicht, eine Zeitlang seine Ruhe zu haben, begeisterte ihn. Er träumte, die Freizügigkeit, die Unabhängigkeit, der Zauber der Jugend würden wiederkommen. Er blieb zurück, aber die Welt des Einsamen war voll von unsichtbaren Schatten. Daisy war im letzten Schuljahr. Sie blieb bei ihm. Daß Helene mitging, War ihm ein großer Schmerz. Sie war fast vierzehn.

      Anfang April reiste Eliza ab. Die aufgeregten Kinder umschwärmten sie. Sie trug Eugen auf dem Arm. Der Betrieb befremdete und begeisterte ihn. Er war neugierig, ungeheuer gespannt. Tarkintons und Duncans kamen Lebwohl zu sagen. Es gab Tränen und Küsse. Die ganze Nachbarschaft war über die neue Wendung des Gantschen Familiengeschicks bestürzt. Mistress Tarkinton sah Eliza sorgenvoll an.

      Eliza lächelte mit nassen Augen. Sie genoß es, die Sensation des Tages zu sein. »Man kann ja nie wissen«, sagte sie, »aber wenn es uns gut geht, werden wir wohl ganz nach St. Louis ziehen.«

      »Oh! Sie kommen wieder«, bestand Mistress Tarkinton gutherzig und treu. »Es ist nirgends so schön wie hier.«

      Sie nahmen die Tram zum Bahnhof. Ben und Grover hockten vergnügt nebeneinander und bewachten einen großen Korb mit Reiseproviant. Helene ordnete nervös ein Bündel von Paketen und Päckchen. Eliza blickte scharf auf die langen, geraden Beine des Mädchens und dachte an den halben Fahrpreis.

      »Schau hin!« sagte sie. Sie kicherte in die Hand und gab Gant einen leisen Rippenstoß, »Lenchen wird sich kleinmachen müssen.« Dann wandte sie sich an das Kind: »Sag mal, bist Du nicht furchtbar groß für ein Mädchen unter zwölf?«

      Helene richtete sich nervös auf.

      »Wir hätten eine ganze Fahrkarte für sie nehmen sollen«, brummte Gant.

      »Ach was! Kein Mensch wird sich drum scheren!«

      Gant brachte sie an den Zug. Der tüchtige Pullmanschaffner, ein Neger, sorgte für behagliches Unterkommen.

      »Geben