»Man bedarf Ariadnes Faden, um sich aus diesem Labyrinth heraus zu finden,« scherzte Dolores, als sie, um die Ruine herumbiegend, durch einen verdeckten, übermauerten Gang plötzlich an den Rand des Hexenloches, zu Füßen des Wasserfalles gelangten.
»Das macht die Übung,« erwiderte Ruß. »Aber ich meine, Sie müßten den Park doch von früher her noch kennen?« –
»Ich entsinne mich einiger Einzelheiten,« nickte sie, »besonders aber der Ruine und des häßlichen schwarzen Tümpels hier. Der verstorbene Onkel konnte es nicht laut genug der Welt verkünden, daß ich ein Satanskind sei, und Fräulein Köhler meinte, man müßte mich zur Probe da hinein werfen, denn nur der Böse könne mich daraus erretten.«
Doktor Ruß lachte leise vor sich hin.
»Und für diese freundliche Gesinnung erhöhten Sie der alten Klatschbase ihr Gehalt und schenkten ihr ein Geschmeide?« fragte er.
»Ach, das ist ja lange her,« entgegnete Dolores ebenfalls lachend.
»Ja, ja, und es hat sich seitdem vieles verändert,« nickte Ruß. »Als Sie den Falkenhof verließen, gingen Sie da direkt nach Brasilien zurück?«
»Nein, wir lebten in Italien, bis mein Vater wieder in die Gesandtschaft zu Rio de Janeiro eingereiht wurde. Es hatte ihm viel Mühe gekostet, und als wir wenig Wochen dort waren, starb er.« –
»Ach ja, und dann erbten Sie jene großen Güter,« ergänzte der Doktor seine Begleiterin. Er war endlich auf dem Punkte angelangt, nach dem er gezielt.
»Ja, zu spät für meinen Vater,« bestätigte Dolores.
»So ist es also wahr, was Frau Fama ausposaunt, daß es Diamanten sind, die Sie auf Ihren Feldern ernten?« meinte Ruß in scherzendem Tone.
»Und Reis, Zuckerrohr und Tabak,« nickte sie harmlos.
»Also doch Diamanten,« beharrte der Doktor auf diesem einen Punkt. »Diamantfelder – das klingt für uns, die wir dem Boden nur schwarze Diamanten, d. h. Kohlen abringen können, wie ein Märchen.«
»Als ob sie bei uns wie Kartoffeln wüchsen,« lachte Dolores amüsiert. »Man muß oft Tage lang graben, ehe man etwas findet!« –
»Ei freilich, soviel wissen wir hier auch,« erwiderte Ruß behaglich lachend, denn er wußte nun, daß es Diamantfelder seien, welche Dolores besaß. »Es frägt sich bei derartigen Besitzungen nur, ob der Ertrag die Arbeit lohnt.« –
»O ja, denn wir finden auch Smaragden,« entgegnete sie sorglos, indem sie sich bückte, eine Blume zu pflücken, die sie dem Strauß in ihrer Hand einreihte.
Dann wandelten sie weiter auf dem schattigen, kühlen Waldespfade, der sich dann erweiterte und durch eine scharfe Biegung urplötzlich einem kleinen Schlößchen gegenüber endete, das wie ein Traum aus vergangener Zeit in einem Labyrinth von Rosen und hohen, grünenden Bäumen lag.
»Monrepos,« rief Dolores überrascht, »ich dachte nicht, daß es dem Falkenhof so nahe liegt. Freilich, man vergißt im Lauf der Jahre vieles!«
Monrepos war wohl ein ehemaliges Jagdschloß, denn daran mahnten die steinernen Pikeure rechts und links am Aufgange zu dem hohen Parterre, über das sich nur noch eine Etage aufbaute, welche von seltsam geformten, barock verschnörkelten Mansarden gekrönt wurde. Über der Eingangsthür ward ein fürstliches Wappen von pausbäckigen Engelchen gehalten, von denen man nur künstlich die üppig wuchernden Kletterrosen fern hielt, die bis zu den Mansarden emporragten und jetzt unzählige Knospen aufwiesen, die schon halb erschlossen waren. Vor dem Schlößchen verbreiteten mächtige Linden einen wahrhaft köstlichen Schatten, in welchem barocke Gartenmöbel zum Sitzen einluden, und auf dem Rasenplatz davor blies in steinernem Bassin ein von Nymphen umgebener Meergott aus einer Muschel einen starken Wasserstrahl in die Höhe, der seine glitzernden Wasserperlen auf die herrlichen Rosenstämme sprühte, welche den Platz in dichten Reihen umstanden.
Dolores erinnerte sich wohl des Rokokoschlößchens, das sie von fern oft betrachtet hatte, als sie, ein Kind noch, dem Falkenhof als Bewohnerin angehörte, aber sie wußte nichts von seinem Besitzer.
»Monrepos ist Privateigentum des Herzogs von Nordland,« erklärte Doktor Ruß. »Er hat es von einer Verwandten geerbt, welche in unser Königshaus geheiratet hatte, und es gehört nun zu seinen Lieblingsplätzen. Hier bringt der Herzog mit seinem Sohne, dem Erbprinzen, und seinen beiden Töchtern Jahr für Jahr ein paar Sommermonate zu, ganz wie ein einfacher Privatmann, und nur wenig Auserlesene, die er als Freunde betrachtet, erweitern den zwanglosen Familienkreis, in dem jedes seinen Neigungen lebt. Zu denen des Herzogs gehört die Rosenkultur, und er arbeitet wie ein einfacher Gärtner unter seinen Lieblingen, die aber auch seine Mühe lohnen und von seltener Schönheit sind. Man erwartet die herzogliche Familie in wenig Tagen hier – ich hörte, zu den wenigen Eingeladenen auf Monrepos gehöre dieses Jahr Richard Keppler, der berühmte Maler.«
Hier erinnerte sich Dolores der Einladung, die Falkner dem Künstler damals im Atelier überbracht – sie hatte nicht geglaubt, daß er ihr so nahe sein würde, sie hätte es auch um seinetwillen nicht gewünscht. Und Falkner, war er auch zu dem exklusiven Kreise in Monrepos berufen? Sie hätte sich eher im Hexenloch gesehen, als die Frage dem Manne an ihrer Seite vorgelegt, der mit scharfem Blicke ihre Züge studierte, als wollte er aus ihnen ihre Seele herauslesen. Doch was kümmerte es sie am Ende – die Bewohner von Monrepos und dem Falkenhof standen ja einander so fern wie der Nord- und Südpol, besonders jetzt, da sie die Herrin des letzteren war.
»Gehen wir weiter,« sagte sie, sich vom Schlosse abwendend, und Doktor Ruß folgte ihr mit leisem Kopfschütteln.
»Kennen Sie Keppler persönlich?« fragte er lauernd.
»Ich kenne und achte ihn als Mensch, wie ich ihn als Künstler bewundere,« entgegnete Dolores warm und unbefangen, ein Umstand, der ihren Begleiter zu verwundern schien, um so mehr, als sie nun begann, ganz unbefangen über des Malers Werke zu plaudern, die seinen Ruhm auf der ganzen Erdkugel begründet.
»Ich bin namentlich für seine Porträts begeistert,« bemerkte Ruß. »Sie haben neben frappanter Ähnlichkeit so viel geistigen Gehalt, wie das Original selbst, und ich weiß, daß er am liebsten solche malt, bei denen er diesen Gehalt findet. Nebenbei aber idealisiert er so fein, wie eben nur ein Künstler, wie er, vermag.«
»Es kann jedermann stolz darauf sein, von ihm gemalt zu werden,« pflichtete Dolores bei, »und ich bin es auch in der That.«
»Ah, Keppler hat Ihr Porträt gemalt?«
»Ja, als Satanella,« erwiderte Dolores. »Es war eine Caprice von ihm, die Kombination von Rot und Gold so darzustellen, daß sie künstlerisch wirkte, und ich meine, er hat das Problem gelöst. Kennen Sie die Oper, Doktor Ruß? Wenn nicht, so müßte ich Ihnen das Kostüm beschreiben, um Ihnen die Aufgabe für den Künstler klar zu machen.«
»Ja, ich war in der Residenz, um diese Sensation machende Oper zu hören,« sagte der Doktor langsam. »Aber ich hätte Sie im Leben nicht wieder erkannt.«
»Nicht?« fragte Dolores amüsiert. »Das